Berlin Dass die Opposition kein gutes Haar an dem grünen Bundesagrarminister Cem Özdemir lässt, überrascht nicht. Nach einem Jahr Özdemir im Ministeramt fällt ihre Bilanz eher schlecht aus. Vor genau einem Jahr, am 8. Dezember 2021, wurde Cem Özdemir zum Bundesagrarminister ernannt.
Überraschend ist aber, dass sogar Umweltorganisationen, die den Grünen nahe stehen, oder auch die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (AbL) eine eher maue Bilanz ziehen.
Mehr Pragmatismus gefordert
Korrekturbedarf sieht der Deutsche Bauernpräsident Joachim Rukwied insbesondere beim Pflanzenschutz. Özdemir müsse dringend seine bisherige Position zu den Brüsseler Pflanzenschutzvorschlägen überdenken, mit der er auf europäischer Ebene isoliert sei.
„Der EU-Vorschlag zur Halbierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes über ein Verbot in sensiblen Gebieten ist der völlig falsche Weg, weil dieser drastische Einbußen der heimischen Produktion zu Gunsten einer wachsenden Importabhängigkeit zur Folge hätte“, warnte Rukwied. Er erwarte in dieser Frage auch in der Bundesregierung Pragmatismus, nachdem sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bereits von den Plänen der EU-Kommission distanziert habe.
Zu langsam geht es Rukwied bei der Weiterentwicklung der Tierhaltung. Hier fehle es der Ampelkoalition am politischen Willen für eine hinreichende Finanzierung.Bei Erneuerbaren Energien richte die geplante Erlösabschöpfung großen Schaden an, indem investierende Landwirte und finanzierende Banken abgeschreckt würden, so Rukwied.
Viele Chancen für bäuerliche Betriebe verpasst
Noch deutlicher äußert sich die AbL. „Mutlos, zu wenig, zu langsam, zu viele Zugeständnisse gegenüber der Agrarindustrie und der Bauernverbandsspitze“, so fasst AbL-Bundesgeschäftsführer Georg Janßen das erste Jahr Agrarpolitik des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unter der neuen grünen Hausleitung zusammen.
Gelegenheiten, die längst überfälligen Veränderungen in der Agrarpolitik und Landwirtschaft einzuleiten, hätte es aus Sicht der AbL-Bundesvorsitzenden Elisabeth Fresen durchaus gegeben. Ihrer Meinung nach hatte Özdemir die große Chance, die Versäumnisse der Vorgängerregierung bei der Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) zu korrigieren. Er habe sie ohne erkennbare Haltung und nennenswerte Verbesserungen einfach ziehen lassen, kritisiert Fresen. Aktuell profitieren laut Fresen von der GAP einmal mehr vor allem industrialisierte Großbetriebe, nicht die bäuerliche Landwirtschaft mit ihren „wertvollen Leistungen für lebendige ländliche Räume.“
Bioland: Schonfrist ist vorbei
Unzufrieden ist die AbL auch mit dem Umbau der Tierhaltung. „Mit den Vorschlägen der Borchert-Kommission lag bei Amtsantritt des Ministers ein schlüssiges und breit getragenes Gesamtkonzept für einen gesellschaftlich akzeptierten Umbau der Tierhaltung samt Kennzeichnung vor“, so AbL-Vorsitzender Martin Schulz. Anstatt dieses umzusetzen, habe die Hausleitung des BMEL sich dafür entschieden Klientelpolitik für wenige zu machen. Ganz nach dem Vorbild der Vorgängerregierung, nur in Grün. Gleichzeitig nehme Özdemir billigend in Kauf, dass eine durchaus nötige Reduktion von Tierzahlen durch die massenhafte Aufgabe bäuerlicher Betriebe vonstatten gehe, so Schulz.
Auch für Ökoverbände ist Özdemirs Schonfrist vorbei. „Nach diesem Eingewöhnungsjahr mit den vielen Ankündigungen und Anstößen muss der Agrarminister jetzt liefern“, verlangt Bioland-Präsident Jan Plagge. 2023 müsse das Jahr der Umsetzungen werden. Die aktuell noch vielen Unklarheiten bei vielen der Vorhaben des Agrarministers müssten dafür aufgelöst werden.
Greenpeace: „Starke Worte- schwache Taten“
Nicht viel besser fällt die Bilanz von Greenpeace aus. Sie betitelt ihr Bilanz mit „Starke Worte -Schwache Taten“. Tierwohl, Höfesterben, Klimaschäden durch Anbau und Tierhaltung – bei seinem Antritt als Bundeslandwirtschaftsminister versprach Cem Özdemir im Dezember 2021, die dringenden Probleme der Landwirtschaft anzupacken und wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen. Nach Auffassung der Umweltorganisation gab es kaum konkrete politische Umsetzungen, dazu nur wenig Bereitschaft zur Konfrontation, innerhalb der Koalition als auch im Umgang mit Verbrauchern und Landwirten.
Nabu sieht Licht und Schatten
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) sieht neben viel Schatten auch etwas Licht in der einjährigen Tätigkeit des zweiten grünen Agrarministers Deutschlands. Verbandspräsident Jörg-Andreas Krüger lobt das vorgelegte Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz mit seinem 4 Mrd. Euro-Budget für das Wiederherstellen von Mooren, Meeren und Wäldern. Positiv sieht er auch das Bemühen der Regierung, mit Artenhilfsprogrammen besondere Auswirkungen der Energiewende auf sensible Tierarten zu kompensieren.
Demgegenüber bekräftigt der Nabu-Präsident seine Kritik an der beschlossenen Ausnahmeregelung, im Jahr 2023 auf obligatorischen Stilllegungsflächen unter bestimmten Voraussetzungen einen Anbau einiger landwirtschaftlicher Kulturen zu ermöglichen. Er wirft der Bundesregierung vor, „unter Druck der Ernährungs- und Agrarindustrie die wenigen Fortschritte der jüngsten EU-Agrarreform in letzter Minute zurückgedreht“ zu haben.
BMEL-Bilanz: 20 Verfahren durchgebracht
Indes fällt Özdemirs Bilanz ganz anders aus. Den Einstieg in dem Umbau der Tierhaltung, den Beginn des neuen Förderprogramms „Klimaangepasstes Waldmanagement“, die Einreichen des Nationalen Strategieplans zur Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) sowie die 180 Mio. €-Krisenhilfe zählt er den Kernpunkten. Insgesamt habe das Bundeslandwirtschaftsministerium unter seiner Leitung in einem Jahr bislang 20 Rechtssetzungsverfahren durch den Bundesrat gebracht, darunter den Entwurf für ein Tierhaltungskennzeichnungsgesetz und zwei weitere Vorlagen sowie 15 Verordnungen und zwei Allgemeine Verwaltungsvorschriften, unter anderem zur Düngeverordnung.
Özdemit sieht es als Erfolg, drohende EU-Strafzahlungen von über 800 000 € täglich wegen der Nichtumsetzung der EU-Nitratrichtlinie „endgültig“ verhindert zu haben. Doch die EU-Kommission muss erst noch die aktuellen Gebietsausweisungen der Bundesländer prüfen und akzeptieren. Für Özdemir ist das kein Problem. Der Bund habe richtig mit Brüssel verhandelt, die Länder müssen die Vorgaben jetzt aber richtig umsetzen. Sollte Brüssel bei der Düngeverordnung was auszusetzen haben, sieht der grüne Özdemir den Schwarzen Peter damit bei den Ländern.
Das BMEL hebt zudem die Hilfen für die Ukraine hevor. Die Liste reicht hierbei von den Initiativen beim G7-Gipfel unter anderem für offene Märkte und die Unterstützung der Ukraine bei Agrarexporten. Zudem habe sein Haus den Transport von Lebensmittelspenden deutscher Unternehmen und Organisationen organisiert und zusätzlich 5 Mio. € über das Maßnahmenpakets „Agriculture für Peace“ bereitgestellt.