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Gesetzgebung

Insektenschutz: Auswirkungen unbekannt

Verwirrung
Simon Michel-Berger Portrait 2019
Simon Michel-Berger
am Donnerstag, 28.11.2019 - 08:15

Immer mehr zeigt sich, dass keiner weiß, was das Aktionsprogramm Insektenschutz für die Landwirte bedeutet – weder der Bund, noch die Länder.

Auf einen Blick

Der Bund hat das Aktionsprogramm Insektenschutz in hoher Geschwindigkeit beschlossen und zentrale Pflöcke eingeschlagen, ohne wirklich mit den Ländern oder gar den Verbänden geredet zu haben. Irgendwann will man das Nachholen und erst dann kann man sagen, was genau das Programm für die Landwirtschaft bedeutet. In der Zwischenzeit beschwichtigt das BMEL die Bauern – passt aber die eigenen Kalkulationen potenziell betroffener Flächen deutlich nach oben an.

Bundesumweltminsterium spricht mittlerweile von 1,3 Mio Hektar

Aktionsprogramm

Vergangene Woche sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner bei einer Veranstaltung in Montabaur, dass vom Aktionsprogramm Insektenschutz (API) „maximal 1,3 Millionen Hektar“ betroffen sein würden. Damit weicht sie deutlich von einer Zahl ab, die ihr Staatssekretär Hermann Onko Aeikens in einem Schreiben an den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, im September genannt hatte. Aeikens hatte von „rund 158.000 Hektar“ Ackerland in Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Gebieten geschrieben. Der DBV war von 2,3 Mio. ha ausgegangen, die über alle Auflagen und Gebietskategorien des API erfasst werden könnten.

Auf Nachfrage erklärte eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL), dass man im Ressort derzeit von folgenden betroffenen Flächen ausgehe: Rund 160.000 ha sollen in FFH-Gebieten betroffen sein. Um bis zu 740.000 ha geht es in Vogelschutzgebieten. Das BMEL betont, dass hier die Länder zwar Einschränkungen vornehmen können aber nicht müssen, teilweise bereits solche Restriktionen vorhanden und flächendeckende Einschränkungen insgesamt „unwahrscheinlich“ seien.

BMU schweigt zu Flächen

Im Bundesumweltministerium (BMU) will man sich nicht zu Flächen äußern. Dort heißt es nur: „Der Umfang der betroffenen Ackerflächen lässt sich derzeit noch nicht bemessen, da es insbesondere auch davon abhängen wird, inwieweit die Länder Beschränkungen für Vogelschutzgebiete erlassen werden.“ 
Der DBV weist diesbezüglich darauf hin, dass der vorliegende Wortlaut des API zu dem weitgehenden Verbot des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in FFH- und Vogelschutzgebieten die Folgenabschätzung rechtfertigt.  Hierbei seien die anderen Schutzgebietskategorien des Naturschutzrechts noch nicht einmal berücksichtigt.

Insgesamt hat sich das BMEL deutlich der Schätzung des DBV von rund 2 Mio. ha potenziell betroffener Fläche (bereinigt um rund 300.000 ha Gewässer und sonstige Flächen in FFH-Gebieten) angenähert. Am meisten auseinander liegt man noch bei der Einschätzung betroffenen Grünlands. Der DBV geht hier aufgrund der nur sehr vagen Formulierung im API zur Unterschutzstellung von „artenreichem Grünland“ als Biotop von betroffenen 900.000 ha aus und beruft sich dabei auf die Kategorie des Bundesamtes für Naturschutz für Grünland mit sogenanntem „hohem Naturwert“.

Für den Biotopschutz bei artenreichem Grünland geht das BMEL von „maximal 200.000 ha“  aus und bezieht sich hier auf die FFH-Lebensraumtypen „magere Flachlandmähwiesen“ und „Berg-Mähwiesen“.  Zudem wären rund 100.000 ha Streuobstwiesen und 125.000 ha Gewässerrandstreifen ebenfalls potenziell betroffen. Auch hier gäbe es in den Ländern zumindest teilweise bereits Beschränkungen.

Aus Sicht des DBV sollten, unabhängig von einer engeren Eingrenzung der flächenmäßigen Betroffenheit, Wirtschaftsgrünlandflächen nicht unter Biotopschutz gestellt werden. Um nicht die Landwirte zu bestrafen, die seit Jahren artenreiches Grünland im Sinne des Naturschutzes erhalten, sollten diese über Vertragsnaturschutz und nicht über Verbote und Unterschutzstellung gesichert werden.

Länder kaum informiert

Auch wenn das BMEL seine Flächenschätzung deutlich nach oben korrigiert hat, sind sich BMEL und BMU darin einig, dass die Flächenschätzung des DBV „zu hoch“ sei. Woher diese Gewissheit kommt ist unklar. Denn einen intensiven Austausch mit den Ländern gab es in der Entwicklungsphase des API nicht.
Vor dem Beschluss des Bundeskabinetts Anfang September gab es nur einen einzigen offiziellen Termin, auf dem das BMEL mit den Ländern über das API gesprochen hat – einen mündlichen Bericht auf der Agrarministerkonferenz in Landau in der Pfalz am 12. April. Dazu heißt es in einer Protokollerklärung von acht Ländern, darunter Bayern, dass das API „die Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Pflanzenproduktion wie auch der Tierhaltung in Deutschland ernsthaft gefährden“ könne. Die Warnung bezieht sich auf die „Vorschläge zur weiteren Verschärfung der Zulassungs- und Anwendungsbedingungen für Pflanzenschutzmittel“. Allerdings beließen die Länder es zunächst bei dieser Kritik – und bis zur nächsten Agrarministerkonferenz in Mainz Ende September war das API bereits beschlossen.

Zur Frage, ob in BMU und BMEL vor Beschluss des API wenigstens Folgenabschätzungen durchgeführt wurden, widersprechen sich die Ministerien. Eine Sprecherin des BMEL sagte: „Die Folgenabschätzung wurde auf Basis des Inhalts der zu treffenden Maßnahmen im Vergleich zum gesamtgesellschaftlichen Ziel, den ‚Insektenschutz‘ zu stärken, durchgeführt.“ Sie fügte jedoch hinzu: „Eine Analyse der genauen Flächenzahlen war angesichts der offenen fachlichen Fragen zur Ausgestaltung der Regelungen nicht möglich.“ Im BMU bestätigt man die Durchführung einer Folgenabschätzung nicht, sondern sagt lediglich, dass die Auswirkung der vorgesehenen Maßnahmen auf die Landwirtschaft in der Abstimmung innerhalb der Bundesregierung „eine wesentliche Rolle gespielt“ hätte.

Wann holt der Bund die Diskussion mit den Ländern nach? Aus dem Bayerischen Landwirtschaftsministerium heißt es dazu: „Es wurde uns eine Länderanhörung zugesagt, bis jetzt aber nicht eingeleitet.“ Normalerweise erfolgen solche Anhörungen erst, wenn Gesetzesentwürfe auf dem Tisch liegen. Zwar könnten die Länder auch im Vorfeld auf eine solche Anhörung drängen – dazu gibt es aber, zumindest aus Bayern, bislang keine Anzeichen. Aus dem BMU heißt es nur: „Es ist zu erwarten, dass es zur Umsetzung in den Ländern Gespräche in den betreffenden Bund-Länder-Gremien geben wird.“

Konsequenzen für Bayern - am rätseln

Die Umsetzung des API könnte auch bestehende Fördermaßnahmen im Kulap oder Vertragsnaturschutz beeinträchtigen. Gefördert werden kann bekanntlich nur, was über gesetzliche Mindestanforderungen hinausgeht. Wenn der Bund diese Standards anhebt, gehen auch die Fördermöglichkeiten zurück. Das ist aus bayerischer Sicht besonders wichtig. Denn die Staatsregierung hat, im Rahmen des Gesetzespakets Artenschutz, finanziellen Ausgleich in Aussicht gestellt, wo es zu Beeinträchtigungen in der Bewirtschaftung kommt – etwa bei Gewässerrandstreifen oder Streuobstwiesen, die beide auch im API enthalten sind.

Unsicher ist man beim Thema anscheinend im Bayerischen Umweltministerium. Die Frage, welche Gespräche es im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses mit dem BMU gab, will man dort ebenso wenig beantworten wie Einschätzungen zu den betroffenen Hektaren oder gar zum Punkt, ob die Umsetzung des API die des Gesetzespakets zur Artenvielfalt teilweise aushebeln könnte. Eine Sprecherin erklärte lediglich: „Das API betrifft ein breites Spektrum von Maßnahmen, die alle Bereiche der Gesellschaft umfassen könnten. Es bleibt abzuwarten, welche Gesetzesänderungen im Hinblick auf das API auf Bundesebene vorgenommen werden. Das Bayerische Umweltministerium setzt sich dafür ein, dass die Ziele des API soweit möglich auf kooperativem Wege erreicht werden.“

Offen sind auch europarechtliche Fragen. Im Text des API ist von der „Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Bioziden mit besonderer Relevanz für Insekten“ die Rede, ohne aber zu definieren, welche diese sind. Da Pflanzenschutzmittel auf EU-Ebene zugelassen werden, müsste dort definiert werden, was „biodiversitätsschädigend“ bedeutet. Das geschieht aber derzeit nicht.