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Welternährung

Greenpeace wettert gegen "Essen im Tank"

Josef Koch
Josef Koch
am Dienstag, 19.04.2022 - 15:44

Umweltorganisation macht Stimmung gegen Biokraftstoffe.

greenpeace-ADM-Hamburg

Hamburg -  Getreide und Pflanzenöle sollten nach Ansicht von Greenpeace als Lebensmittel zur Verfügung stehen und nicht zu Biokraftstoffen verarbeitet werden. Daher hängte die Umweltorganisation kurz vor Ostern an den Hochsilos der Hamburger ADM-Ölmühle ein großes Banner mit der Aufschrift „Kein Essen in den Tank!“ auf. Damit forderte Greenpeace die Bundesregierung auf, die Beimischung von Biokraftstoffen zu Diesel und Benzin umgehend zu beenden. Deutschland dürfe nicht länger zulassen, dass Nahrungsmittel für Biokraftstoffe verheizt werden, während Millionen Menschen anderswo das Nötigste zum Leben fehle.

Sollen Getreide und Rapsöl daher kurzfristig nicht mehr zu Biokraftstoffen verarbeitet werden?

Auswahlmöglichkeiten

Auch Özdemir hat Zweifel

Erst vor Kurzem hatte auch Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) im Gespräch mit Agrarjournalisten den Einsatz von Nahrungsmitteln in Biokraftstoffen angezweifelt. Allein aus Ernten in Deutschland werden laut Greenpeace jährlich rund 2 Mio. t Getreide und 1 Mio. t Pflanzenöl zu Biokraftstoffen verarbeitet. Für Biodiesel und Bioethanol in deutschen Tanks sollen auf gut 1,2 Mio. ha Getreide und Ölpflanzen im In- und Ausland wachsen.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) geht innerhalb Deutschlands von einer bisherigen Anbaufläche für Agrarrohstoffe, die auch in die Biokraftstoffproduktion gehen können, von etwa 750.000 ha aus.

Kurzfristige Umnutzung schwierig

Nach Angaben der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe (FNR) wurden 2020 rund 575.000 ha Raps für Biodiesel und Pflanzenöl angebaut. Das entspricht 2,1 Mio. t Raps. Für Ethanol wurden gut 200.000 ha Ackerkulturen angebaut, vor allem 1,4 Mio. t Getreide. Dass sich die Flächen kurzfristig umnutzen lassen, bezweifelt das BMEL. Laut einer Ministeriumssprecherin ist eine Änderung in diesem Jahr nicht absehbar, da die Aussaat bereits erfolgt ist und beispielsweise Flächen auch durch Rapspflanzen und andere Pflanzen gebunden sind.

Die Vorteile von Biokraftstoffen erwähnt Greenpeace nicht: Sie tragen vor allem im Verkehr zu einer Verringerung der Treibhausgasemissionen bei. Allein 2020 wurden laut Thünen-Institut 11 Mio. t CO2 eingespart, weil durch die Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote) weniger fossile Kraftstoffe verbraucht wurden. Würde die THG-Quote abgesenkt, gefährdet dies laut BMEL „mittelbar die Erreichung der Klimaziele“. Ohnehin sei die THG-Quote mit 7 % im europäischen Vergleich sehr niedrig. Laut BMEL ist die Absenkung der Höchstgrenze daher jedenfalls kurzfristig nicht geplant, die Bundesregierung will entsprechende Optionen aber prüfen.

Heimische Eiweißfuttermittel als Nebenprodukt

Indes gehen die Biokraftstoffhersteller von einer sinkenden Produktion aus. Aufgrund der hohen Preise für Raps und Getreide lohnt sich die Herstellung in naher Zukunft kaum noch. Und einen weiteren Vorteil der Biokraftstoffproduktion lassen die Greenpeace-Aktivisten unerwähnt: Es fallen zusätzlich einheimische, gentechnikfreie Eiweißfuttermittel an. Dies macht deutsche Bauern von Importen unabhängiger.

Daneben fällt als Koppelprodukt bei der Biodieselherstellung Glycerin an. Die Basischemikalie ist in Desinfektionsmitteln, Arzneien, Waschmitteln und Kosmetika enthalten, wie der Biokraftstoffverband mitgeteilt hat.

Hinweis

In einer früheren Fassung vom 14. 4. gab es einen Widerspruch zwischen den Zahlen des Bundeslandwirtschaftministeriums und denen von Greenpeace zu den Anbauzahlen für Biokraftstoffe. Dieser ist nicht zutreffend. Die Abweichung begründet sich auf verschiedenen Bezugsbasen.

Greenpeace leitet die benötigte Anbaufläche aus dem deutschen Verbrauch von Biokraftstoffen ab. Damit beziehen sich die genannten 1,2 Mio. ha auf Flächen im In- und Ausland, die für den deutschen Verbrauch nötig sind. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hingegen nennt die Anbaufläche für Biokraftstoffe nur in Deutschland. Importe sind nicht berücksichtigt.

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