
Die Meinungen der Agrarbranche und der Parteien zur gestrigen EU-Studie zu neuen Gentechniken (29.4.) gehen wie erwartet weit auseinander. Die Verbände der deutschen Agrar-, Gartenbau- und Ernährungsbranche begrüßen die breit angelegte Befragung von Mitgliedstaaten, Stakeholdern und Wissenschaft zur Bedeutung von Innovationen in der Pflanzenzüchtung und wie diese künftig reguliert werden sollten. Ziel ist es, die Diskussion zur Zukunft der Landwirtschaft gesamtgesellschaftlich zu gestalten.
Veränderte klimatische Bedingungen, neue Schädlingsresistenzen und eine kontroverse politische Diskussion über den Einsatz von Betriebsmitteln stellenlaut Deutschem Raiffeisenverband die Landwirtschaft vor große Herausforderungen. Neue Züchtungstechniken wie etwa Genome Editing / CRISPR/Cas9 können einen Beitrag für eine gezielte und präzise züchterische Bearbeitung von Kulturpflanzen leisten. „Wir dürfen diese Chance in Deutschland und Europa nicht verspielen und brauchen mehr Wissenschaftsorientierung in der politischen Debatte“, fordert Dr. Henning Ehlers, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbandes e. V. (DRV).
DBV: Keine Patente auch bei neuen Züchtungstechniken
Auf positive Resonanz fällt die EU-Studie auch bei den Pflanzenzüchtern. Nach Einschätzung von Dr. Carl-Stephan Schäfer, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter e. V. (BDP) ergänzen neue Methoden der Pflanzenzüchtung die bisherigen Verfahren und können den Züchtungsprozess entscheidend verbessern. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Juli 2018 sei folgenschwer, da es sinnvolle Anwendungen unwahrscheinlich mache, so Schäfer.
Bereits im Vorfeld der Veröffentlichung der Studie sprach sich der Deutsche Bauernverband (DBV) für eine Novellierung des europäischen Gentechnikrechts aus. Er fordert, genomeditierte Organismen vom Geltungsbereich des Gentechnikrechts auszunehmen. So seien deren Veränderungen nicht von natürlich auftretenden Mutationen zu unterscheiden und könnten auch mithilfe konventioneller Züchtungsverfahren entstehen. Das Erteilen von Patenten auf Tiere und Pflanzen lehnt der DBV strikt ab. Dies gelte auch für neue Züchtungsmethoden. Sie dürfen nicht dazu führen, dass der Sortenschutz ausgehebelt werde.
AbL sieht Züchterprivileg in Gefahr
Ein Aushebeln des Sortenschutzes sehen die Kritiker dagegen als Gefahr. Nach Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) ist das Züchterprivileg in Gefahr. Schon jetzt hätten sich Bayer und Corteva viele Genlizenzen gesichert, um sie gegen Lizenzgebühren zur Verfügung zu stellen. Damit könnten sich neue Sorten verteuern, warnt die AbL. Annemarie Volling, AbL-Gentechnik-Expertin hält daher eine Regulierung auch der neuen Verfahren nach dem geltenden Gentechnikgesetz für notwendig. “Die Bundesregierung muss sich bei den Konsultationen für Vorsorge, Wahlfreiheit, Transparenz und Haftung einsetzen“, fordert Volling. Ihrer Meinung nach sind bislang die versprochenen trockenresistenten neuen Gentechnik-Pflanzen oder solche, die tatsächlich zur Nachhaltigkeit beitragen könnten, in weiter Ferne.
BÖLW: Ökolandbau nicht beinträchtigen
Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender Bund Ökologische Landwirtschaft (BÖLW), sieht in der EU-Studie den Beleg dafür, dass der Ökolandbau durch die neuen Züchtungstechniken nicht beeinträchtigt werden darf. Am geltenden, bewährten Gentechnikrecht könne man laut Löwenstein jedoch Verbesserungen vornehmen. Für ihn ist wichtig, eine unabhängige Prüfung der Gentechnik-Pflanzen einzuführen.
So dürfe in Zukunft nicht mehr den Gentechnik-Herstellern überlassen bleiben, die für die Zulassung erforderlichen Sicherheitsprüfungen selbst in Auftrag zu geben und auszuwählen, welche davon sie vorlegen wollen. Vielmehr müsse die Europäische Zulassungsbehörde selbst die Studien in Auftrag geben, so Löwenstein. „Auch muss garantiert werden, dass die Sicherheitsprüfung Langzeiteffekte ebenso in den Blick nimmt, wie sozio-ökonomische Wirkungen auf die Wirtschaft und auf Kundinnen und Kunden.“ Bioland-Präsident Jan Plagge sieht durch die EU-Studie einer Deregulierung neuer Gentechniken „Tür und Tor geöffnet“.
Wie die Parteien die Studie sehen
Exakt für die Deregulierung des Gentechnikrechts plädiert FDP-Agrarsprecher Gero Hocker. Klöckner müsse sich daher „schleunigst“ für eine wissenschaftlich fundierte Änderung des EU-Gentechnikrechts einzusetzen.
„Wir müssen in diesem Bereich bürokratische Bremsen lockern und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtinnen und Landwirte am Gunststandort Deutschland stärken“, meint CDU/CSU-Agrarsprecher Albert Stegemann. Wo nötig, müsse der EU-Rechtsrahmen modernisiert werden, um das Innovationspotenzial mittelständischer Unternehmen in der Pflanzenzüchtung zu entfesseln.
Koalitionspartner SPD sieht das etwas anders. Die SPD-Bundestagsfraktion pocht darauf, dass bei der Zulassung und dem Einsatz neuer Gentechniken keinesfalls Abstriche bei Sicherheit und Transparenz gemacht werden. „Das Vorsorgeprinzip und die Kennzeichnungspflicht sind zum Schutz der Umwelt und der gentechnikfreien Produktion und zum Erhalt der Wahlfreiheit für uns unverhandelbar“, stellt Carsten Träger klar.
Damit liegt die SPD näher an den Positionen der Grünen und Linken. Agrarsprecherin Kirsten Tackmann, Die Linke, ist gegen eine Aufweichung der bisherigen strengen Regulierung. Der Sprecher für Gentechnikpolitik der Grünen, Harald Ebner, sieht die EU-Studie als eine „Bedrohung für die bewährte Gentechnikfreiheit“. Anstatt Zulassungsverfahren zu schwächen, müssten die Risikoprüfungen gestärkt und an die neuen Techniken angepasst werden, fordert er.