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EU-Gentechnikrecht

Gentechnik: Kritik an EU-Novelle reißt nicht ab

Gentechnik
Josef Koch
Josef Koch
am Donnerstag, 06.10.2022 - 07:35

Bündnis aus 40 Organisation beschwert sich bei EU-Gesundheitskommissarin. Grüne sehen keine unabhängigen Wissenschaftler.

Bis Mitte 2023 will die EU-Kommission ihre Novelle des EU-Gentechnikrechts vorlegen. Die Gegner einer Lockerung des Gentechnikrechts laufen schon jetzt Sturm. Am Mittwoch (5.10.) haben 40 europäische Organisationen und Verbände, darunter AbL, BÖLW, Bio Austria, ÖBV-Via Campesina oder Global 2000, in einem Offenen Brief an die EU-Gesundheitskommission Stella Kyriakides ihre Bedenken geäußert.

Kurz zuvor haben die Grünen eine Studie vorgelegt, wonach „angeblich neutrale Wissenschaftler mit der Gentechnik produzierenden Saatgutindustrie verbunden sein sollen.

Weitreichende Konsequenzen

Das Ergebnis des Konsultationsprozesses – und ein etwaiger Gesetzesvorschlag zu einer Neuregelung der EU-Gentechnikrechts im Frühjahr 2023 – wird nach Auffassung des Verbändebündnisses weitreichende Auswirkungen auf die Wahlmöglichkeiten von Konsumente, die Lebensmittelsicherheit, biologische und konventionelle Landwirte sowie die Umwelt haben. Das Vorsorgeprinzip der EU müsse insbesondere bei neuen Technologien hochgehalten werden.

Das Bündnis verlangt daher, der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu folgen, wonach Produkte aus Neuer Gentechnik auch unter das bestehende EU-Gentechnikrecht fallen und entsprechend inklusive Risikoprüfung und Kennzeichnung reguliert bleiben.

Die 40 Organisationen beschweren sich in ihrem Brief vor allem über EU-Konsultationsprozess. Dieser sei einseitig geführt worden. Viele Organisationen waren daher gezwungen, ihre Teilnahme an der Konsultation zurückzuziehen.

Vorwurf: Fragen waren zu einseitig

Fatale Fehler in der gezielten Befragung machten die Beantwortung für viele NGOs unmöglich. Einige füllten die Befragung zwar aus, mussten die Antworten aber später zurückziehen oder korrigieren. „Die Befragung war erschreckend einseitig. Sie erfüllt letztlich nicht die von der EU-Kommission selbst geforderten Standards für eine gezielte Konsultation“, kritisiert Brigitte Reisenberger, Gentechniksprecherin von GLOBAL 2000. Daher könnten die Ergebnisse der Befragung keine solide, seriöse Entscheidungsgrundlage für einen veränderten Rechtsrahmen für Neue Gentechnik in der Landwirtschaft sein.

Das kritisieren die Umweltorganisationen

Die unterzeichnenden Organisationen kommen zum Schluss, dass die Konsultation an folgenden schwerwiegenden Mängeln leidet: Sie basierte auf Meinungen und Spekulationen, es fehlte an belastbaren Daten, Fragen und Antwortmöglichkeiten waren missverständlich und/oder voreingenommen formuliert. Die Auswahl und Gewichtung der Teilnehmer war durch mangelnde Transparenz gekennzeichnet, Nachhaltigkeitsbewertung und Risikobewertung wurden unsachgemäß miteinander vermengt. Zudem bestanden bei Beratern zur Befragung Interessenkonflikte. Das Bündnis fordert die Kommission auf, die Teile zu wiederholen, die nicht den erforderlichen EU-Vorgaben entsprechen.

Sind Wissenschaftler nicht unabhängig?

Eine neue Studie der Grünen im Europäischen Parlament zeigt Verbindungen zwischen „angeblich neutralen Wissenschaftlern und der Gentechnik produzierenden Saatgutindustrie“. So steht es in einer Pressemeldung der Fraktion zu lesen. In der Studie wurden die wissenschaftlichen Mitglieder der Europäische Organisation für Pflanzenwissenschaften (EPSO), des Netzwerks für nachhaltige Landwirtschaft durch genetische Veränderung (EU-SAGE) und der Akademien der Wissenschaften in Europa (All European Academies – ALLEA) untersucht. Diese Wissenschaftler beraten die Kommission in Bezug auf das EU-Gentechnikrecht. Laut Grünen-Studie hat ein großer Teil der Wissenschaftler ein persönliches Interesse an der Kommerzialisierung von genmanipulierten Pflanzen. So könnten sie persönlich oder über ihre Organisationen finanziell davon profitieren.

Die Grünen-Ergebnisse im Detail

  • 64 % der Mitglieder der EPSO-Arbeitsgruppe für Agrartechnologien, die Stellungnahmen für die EPSO zu diesem Thema erarbeitet, und 32 % der EU-SAGE-Mitglieder haben Eigeninteresse an der Kommerzialisierung gentechnisch veränderter Pflanzen. Sie könnten persönlich oder über ihre Organisationen finanziell oder in Bezug auf ihre berufliche Entwicklung davon profitieren, so die Grünen-Studie. Sie sind starke Befürworter der Deregulierung von Gentechnologien, ohne ihre wirtschaftlichen Interessen in den Diskussionen darzulegen.
  • 38 % der Mitglieder der EPSO-Arbeitsgruppe für Agrartechnologien und 23 % der Mitglieder des EU-SAGE-Netzwerks halten ein oder mehrere Patente oder Patentanmeldungen im Zusammenhang mit gentechnischen Verfahren oder Produkten.
  • 53 % der Mitglieder der EPSO-Arbeitsgruppe und 15 % der EU-SAGE-Mitglieder haben an einem oder mehreren Forschungsprojekten mit der Industrie teilgenommen.
  • 22 % der EPSO und 10 % der EU-SAGE Mitglieder sind an einem Saatgut- oder Biotechnologieunternehmen beteiligt, indem sie eine Position oder Anteile an solchen Unternehmen halten.
  • Zwei von vier Autoren des ALLEA Berichtes, der sich für eine Deregulierung ausspricht, besitzen Patente oder Patenanmeldungen für gentechnischen Verfahren oder Produkten.
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