Brüssel Einen massiven Strukturwandel, weniger Eigenerzeugung und mehr Importe an Geflügelfleisch. Zu diesem Schluss kommt der Dachverband der europäischen Bauern und Genossenschaften (Copa-Cogeca), wenn die jüngsten Empfehlungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zum Tierschutz von Masthühnern und Legehennen umgesetzt werden. Denn diese bedeuten laut Dachverband das Aus für den Großteil der EU-Geflügelhaltungsbetriebe.
Über 70% weniger Tiere im Stall
Besonders „schockierend“ ist für den Verband die Empfehlung, die Besatzdichte bei Masthühnern in konventioneller Produktion auf maximal 11 kg/m² zu senken. „Im Klartext heißt das für die konventionellen Geflügelhalter aufwendige Investitionen in den Stall, während die Zahl der Tiere um 72% verringert werden müsste. Ähnliche Empfehlungen werden im EFSA-Gutachten für Legehennen ausgesprochen“, kritisiert Copa-Cogeca das Gutachten als realitätsfern. Aktuell dürfen in der EU bis zu 26 Masthühner/m² gehalten werden - das entspricht zirka 42 kg/m². In Österreich sind schon jetzt nur 30 kg/m² erlaubt, und die Hühner haben somit um fast 30 % mehr Platz.
Der jüngste Vorschlag der EFSA bedeute für die Landwirte große Investitionen, die auch noch Kredite wegen neuer Vorschriften vor dem Jahr 2012 tilgen müssten, so Copa-Cogeca.
Neue Züchtungsergebnisse sind unberücksichtigt
Außerdem konzentriere sich das Gutachten ausschließlich auf Maßnahmen zur Lösung von Tierschutzproblemen und lasse aktuelle Zuchtstrategien für ein besseres Wohlergehen der Tiere völlig außer Acht, so die Interessenvertretung. Auch neuere wissenschaftliche Literatur werde in dem Gutachten nicht ausreichend berücksichtigt. Denn damit könnten Verbesserungen, die bereits in der Branche entwickelt wurden, untermauert werden.
Özdemir hält an höheren Auflagen für Mastputen fest
Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) hält trotz scharfer Kritik aus der Geflügelwirtschaft an seinem Vorhaben fest, Mindestanforderungen für die Haltung von Mastputen festzulegen. Die zuletzt 2013 angepassten freiwilligen Eckwerte der Branche reichten nicht aus, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion. Unter den gegenwärtigen Bedingungen träten nach wie vor gesundheitliche Probleme und tierschutzrelevante Verhaltensstörungen wie Federpicken oder Kannibalismus bei der Haltung und Mast von Puten auf.
Zudem seien derzeit auf EU-Ebene bei der Novelle des EU-Tierschutzrechts keine Vorgaben an die Haltung von Mastputen beabsichtigt. Einen Entwurf hatte die EU-Kommission für Ende 2023 angekündigt.
Stegemann: Reine Schaufensterpolitik
Unionsagrarsprecher Albert Stegemann warf Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir vor, er presche wider besseren Wissens mit der Forderung nach nationalen Verschärfungen in der Putenmast vor. Bereits heute werde jedes fünfte Kilogramm Putenfleisch importiert. Dabei werde Putenfleisch stark in der Gastronomie eingesetzt. Dort greife jedoch die von der Ampel geplante Tierhaltungskennzeichnung nicht. Daher nehme Minister Özdemir wissentlich einen Etikettenschwindel in Kauf, um Schaufensterpolitik zu betreiben. Das Bundeslandwirtschaftsministerium ignoriere zudem, dass die EU-Kommission bereits aktiv an dem Thema dran sei.
Geflügelwirtschaft sieht Özdemir als Traumtänzer
Zum Jahreswechsel hatte das BMEL Eckpunkte für eine tiergerechtere Haltung der Mastputen vorgelegt. Darin ist unter anderem eine Besatzdichte von 1,9 Hähne/m² (40 kg LG) bzw. 3,1 Hennen/m² (35 kg LG). Damit müssten deutsche Putenhalter ihre Viehbestände um rund ein Viertel verringern. Für das Halten und Betreuen von Mastputen soll künftig ein Sachkundenachweis erforderlich sein.
Die Eckpunkte sind aus BMEL-Sicht als „Diskussionsgrundlage und Basis“ für die Vorbereitung der geplanten Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung gedacht. Der Zentralverband der Geflügelwirtschaft (ZDG) bezeichnete die Pläne als „realitätsverweigernde Traumtänzerei“. Diese würden das Ende der deutschen Putenhaltung einläuten.