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Lebensmittelhandel

Faire Beziehungen gefordert

LEH
Florian Maucher
am Dienstag, 04.02.2020 - 08:06

Politik und Verbände fordern von Einzelhändlern mehr Wertschätzung der landwirtschaftlichen Produkte.

Anlässlich des Treffens von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Spitzenvertretern der Lebensmitteleinzelhandelskonzerne hat die Bundeskanzlerin den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) an seine Verantwortung für faire Bedingungen in der Lebensmittelkette erinnert. Sie will sich aber aus der Preisfindung heraushalten. Keinesfalls gehe es darum, Mindestpreise für Lebensmittel im Handel „aufzuoktroyieren“ (Anm. d. Red.: aufzudrängen), betonte Merkel zu Beginn des heutigen Gesprächs mit Vertretern von Handel und Lebensmittelwirtschaft im Bundeskanzleramt. Ziel seien vielmehr faire Beziehungen zwischen den Akteuren vom Erzeuger über Verarbeiter und Lebensmittelwirtschaft bis hin zum Einzelhandel.

Nach Merkels Einschätzung gibt es unter den deutschen Verbrauchern eine „gewachsene Sensibilität“ für Lebensmittelqualität und Umweltaspekte, denen die Politik mit entsprechenden Regelungen auch auf Erzeugerebene Rechnung trägt. Es stelle sich aber die Frage, ob die Landwirte zu den aktuell erzielbaren Preisen die Last der Auflagen tragen könnten.

Auf Seiten der Politik verspricht sich Merkel von der Europäischen Richtlinie über unlautere Handelspraktiken einen Beitrag für ein besseres Miteinander in der Lieferkette. Sie gehe davon aus, dass diese - auch im Interesse der Kunden - noch in diesem Jahr national umgesetzt werde, erklärte die CDU-Politikerin. Grundsätzlich gehe es darum, „gute Lebensmittel“ zu verkaufen und den Landwirten gleichzeitig auskömmliche Preise zu ermöglichen. Dabei sollten regionale Anbieter gestärkt werden.

Solidaritätsappelle allein reichen nicht aus

Auch die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Gitta Connemann, hat sich den Forderungen nach fairen Preisen für die heimische Landwirtschaft angeschlossen. Allerdings reichten Solidaritätsappelle allein nicht aus, betonte Connemann. Vielmehr sieht sie in der fortschreitenden Marktkonzentration im deutschen Lebensmitteleinzelhandel Hauptursache und Ansatzpunkt für mögliche Verbesserungen. Politische Preisvorgaben kommen nach ihrer Auffassung „natürlich“ nicht in Frage. Dafür müsse der Staat für mehr Fairness bei ungleichen Lieferbeziehungen sorgen, forderte Connemann.

Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, Martin Häusling, forderte angesichts „erpresserischer Methoden“ der Supermarktketten eine Intervention des Bundeskartellamtes. So sei es gesetzlich verboten, Lebensmittel unter Gestehungspreis zu verkaufen. „Das aber geschieht mit wertvollen Lebensmitteln täglich“, kritisierte Häusling. Er wirft dem Kartellamt vor, zuzusehen, wie Landwirten „das Wasser bis zum Hals steht“, statt den Gründen dafür nachzugehen.

Bauernverband ruft Handel in die Pflicht

Forderungen an den Einzelhandel kommen auch von den bäuerlichen Verbänden. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, forderte demnach den Handel auf, die Verbraucher für mehr Wertschätzung von Lebensmitteln zu sensibilisieren. „Lebensmittel dürfen nicht zu Schnäppchenpreisen verramscht werden.“ Auch der Handel müsse seinen Teil dazu beitragen, dem Verbraucher klarzumachen, dass höhere Standards im Stall oder auf dem Feld einen höheren Preis erfordern. Dieser müsse dann auch bei den Erzeugern ankommen, verlangte der DBV-Präsident. Werbungen mit Dauerniedrigpreisen bewirken nach seiner Auffassung jedoch das Gegenteil.

Die EU-Richtlinie zu Unlauteren Handelspraktiken in der Lebensmittelkette (UTP) sei aus Sicht der Landwirtschaft ein Durchbruch gewesen, stellte Rukwied fest. Er rief deshalb dazu auf, diese zügig auf nationaler Ebene umzusetzen, um den Missbrauch von Marktmacht zu bekämpfen. Der Bauernpräsident bot dem Handel zugleich an, gemeinsam Standards zu erarbeiten. Auch der Bayerische Bauernverband (BBV) setzt für faire Preise auf mehr regionale Produkte. Diese gehörten künftig vorrangig in die Ladenregale, und zwar zu Preisen, die zu den hohen Standards der landwirtschaftlichen Produkte passten, verlangte BBV-Präsident Walter Heidl.

Große Liste unfairer Handelspraktiken

Im Anschluss an die Gespräche über faire Preise für Lebensmittel mit Vertretern des Einzelhandels und der Ernährungsindustrie im Kanzleramt meldete Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) Fortschritte. Die Ministerin werde Landwirtschaft und Handel zu einem gemeinsamen Treffen einladen und kündigte an, eine europäische Richtlinie zu unfairen Handelspraktiken schnell umzusetzen. Demnach drohen bei Nichteinhalten Bußgelder. Laut Klöckner gebe es eine große Liste von unfairen Handelspraktiken. Die Ministerin möchte für drei Problembereiche ein gemeinsames Grundverständnis entwickeln:

  • Erhöhte Lieferanforderungen (Standards), die die Landwirtschaft erfüllen muss, sollen ihren Niederschlag auch in erhöhten Erzeugerpreisen finden.
  • Lebensmittel müssen wieder mehr wertgeschätzt werden. Die Landwirtschaft kann die Forderungen der Verbraucher nach einer tierwohlgerechteren und nachhaltigeren Lebensmittelproduktion nicht alleine stemmen.
  • Faires Miteinander der Akteure in der Lebensmittelkette. Die Marktmacht der Akteure ist sehr unterschiedlich verteilt.

Rewe-Chef verteidigt billige Lebensmittel

Im Rahmen der Gespräche meldete sich laut einer Spiegel-Meldung auch Rewe-Chef Lionel Souque zu Wort und verteidigte niedrige Lebensmittelpreise. Er sieht die Preispolitik gerechtfertigt, da "in Deutschland rund 13 Millionen Menschen in Armut oder an der Armutsgrenze leben." Souque zufolge würden günstige Lebensmittelpreise diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung ermöglichen, "das wollen und werden wir als Lebensmittelhändler auch in Zukunft sicherstellen."

Bereits in der Nacht waren einer Meldung von Land schafft Verbindung (LsV) tausende Landwirte in ganz Bayern und Baden Württemberg unterwegs, um ihre Enttäuschung gegenüber Politik, EU und Lebensmitteleinzelhandel (LEH) zum Ausdruck zu bringen. Sie blockierten dabei mehrere LEH-Zentrallager und brachten so den Warenstrom zum erliegen. Nach eigenen Angaben möchten sie dem LEH Gespräche anbieten, um dem Verbraucherwunsch nach kleinstrukturierter Landschaft Rechnung zu tragen und die vielfältige bäuerliche Struktur zu erhalten. Um die Versorgung mit fair bezahlten deutschen Erzeugnissen zu sichern, brauche es bessere politische Rahmenbedingungen.