Die Ministerratssitzung der bayerischen Staatsregierung stand heute ganz im Zeichen der Landwirtschaft. Den Hintergrund dazu bildete der Besuch des EU-Agrarkommissars Janusz Wojciechowski, wodurch natürlich die EU-Agrarpolitik und die bayerische Sicht auf die Bestrebungen in Brüssel in den Mittelpunkt rückte. Farm to Fork, EU-Waldstrategie, Taxonomie-Verordnung und die EU-Industrieemissionsrichtlinie wurden konkret angesprochen.
1. Zur Strategie „Vom Hof auf den Tisch – Farm to Fork“
Die Auswirkungen der europäischen Initiativen und Strategien, insbesondere des Green Deal, auf die natürlichen Lebens- und Produktionsgrundlagen, die Eigenversorgung und die regionalen Wirtschaftskreisläufe müssen berücksichtigt werden.
Die Staatregierung fordert deshalb von der Europäischen Kommission:
- Es darf nicht sein, dass durch eine solche Strategie Umfang und Wertschöpfung aus der Erzeugung von Lebensmitteln in der EU sinkt und in der Folge dann Lebensmittel vom Weltmarkt zu Billigpreisen und niedrigeren Erzeugungsstandards in die EU eingeführt werden. Dazu sind vor Einleitung konkreter Rechtsetzungsschritte Folgenabschätzungen notwendig, die auch entsprechend berücksichtigt werden müssen.
- Um zudem die Verlagerung von Treibhausgasemissionen aus der EU in andere Regionen der Welt zu verhindern, muss auch für Lebensmittel und Agrarerzeugnisse ein WTO-konformes Grenzausgleichssystem vorgesehen werden. Alternativ müssen die höheren Kosten einer künftigen Lebensmittelproduktion in der EU finanziell ausgeglichen werden.
- Im Hinblick auf den vorgeschlagenen finanziellen Ausgleich höherer Produktionskosten infolge der Farm-to-Fork-Strategie sollten hierfür erforderliche Mittel über Umschichtungen innerhalb des bestehenden Finanzrahmens der EU und nicht über zusätzliche Mittelzuführungen durch die Mitgliedstaaten finanziert werden.
- Mehr als bisher muss es künftig möglich sein, die Herkunft von Lebensmitteln kennzeichnen und ausloben zu dürfen. Dem gestiegenen Wunsch der Verbraucher nach regional erzeugten Lebensmitteln muss die EU entgegenkommen und die Kennzeichnungsregeln erleichtern.
2. Zur EU-Waldstrategie und zum „Fit-for-55“-Paket
Hinsichtlich der EU-Waldstrategie war in den letzten Monaten vor allem umstritten, inwieweit die Forstpolitik zentral aus Brüssel gesteuert wird oder weiterhin bei den Ländern verbleibt. Zahlreiche Mitgliedsländer empfanden es als anmaßend, dass sich Brüssel zunehmend der Forstpolitk annimmt, ohne dafür aus sich der Länder ausreichend legitimiert zu sein. Sie poche auf das Subsidiaritätsprinzip, also auf den Verbleib der Entscheidungen in den Regionen. Dazu bezog die bayerische Staatsregierung Stellung:
- Das im EU-Vertrag verankerte Prinzip der Subsidiarität darf generell und insbesondere auch nicht in der Forstpolitik durch Rechtsetzungsvorhaben in anderen Bereichen ausgehebelt werden.
- Vielerlei Zielkonflikte, die sich aus der Nutzung der nicht vermehrbaren produktiven Flächen ergeben, wie z. B. zwischen Wertschöpfung von der Fläche, Biodiversität und dauerhafter Kohlenstoffbindung auf der Fläche, dürfen nicht einseitig zu Lasten einzelner Bereiche gelöst werden.
- Die Wälder in Bayern erfüllen ihre vielfältigen Funktionen am besten über einen integrativen Ansatz aus „Schützen und Nutzen“. Weitere großflächige Stilllegungen wären kontraproduktiv gegenüber dem Ziel einer langfristigen Bindung von Kohlenstoff in Holz und langlebigen Holzprodukten sowie der strategischen Sicherstellung einer ausreichenden resilienten Rohstoff- und Energieversorgung innerhalb der EU.
- Das Ziel, EU-weit drei Milliarden Bäume zu pflanzen, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Dabei geht es sowohl um neue Wälder als auch um Gehölzpflanzungen in der Kulturlandschaft und in Siedlungsbereichen. Ganz besonders ist auf den Grundsatz der Multifunktionalität (inkl. Nutzung von Holz und Früchten) zu achten, um Zielkonflikte und Flächenkonkurrenz zu entschärfen und Synergien zu nutzen.
- Wälder sind Teil der Natur. Sie sind nicht nur Senken für Treibhausgase, sondern auch selbst von Klimawandel erheblich betroffen. Eine künftige Senkenwirkung muss deshalb realistisch veranschlagt werden. Künftige klimabedingte Kalamitäten sind angemessen nach dem Vorsichtsprinzip zu berücksichtigen. Daher wird die mit der Umsetzung des „Fit-For-55“-Pakets zugedachte langfristige Garantenrolle des Landnutzung- und Forstsektors (LULUCF) für die Umsetzung der Klimaneutralität 2050 schwierig zu erfüllen sein, auch im Hinblick auf die Ernährungssicherheit und Versorgung mit Rohstoffen.
- Hinzu kommt, dass ganz wesentliche Klimaschutzeffekte aus der Verwendung von Holz und anderen nachwachsenden Rohstoffen nicht im LULUCF-Sektor verbucht werden können. Die EU wird daher aufgefordert, der Politik und Öffentlichkeit regelmäßig eine vollständige Informations- und Entscheidungsgrundlage (inkl. Angaben zu Art und Umfang der Substitutionseffekte klimarelevanter Emissionen bei Ernte und Verarbeitung, die Dauer der C-Speicherung in holzbasierten Produkten, Leakage-Effekte durch Nutzungsverzichte) zur Verfügung zu stellen.
3. Zur Taxonomie-Verordnung
Ein in der breiten Öffentlichkeit weniger beachtetes EU-Konstrukt ist die Taxonomieverordnung. Sie soll dazu beitragen, dass Investitionen in umweltfreundliche Bereiche verstärkt werden. Dazu hat die EU eine Art Verzeichnis erstellt, was als umweltfreundlich zu gelten hat und was nicht. Für Aufsehen sorgte zuletzt die Einordnung von Kernkraft und Erdgas in die Formen grüner Energietechnologien. Über die Taxonomieverordnung über Brüssel damit einen starken Einfluss auf die Märkte aus. Von Bayern gab es hierzu folgende Forderungen:
- Bei der weiteren Umsetzung der Taxonomieverordnung dürfen sich die Vorgaben hierzu nicht zu einer Nebengesetzgebung entwickeln und damit zu einem Untergraben originär zuständiger Bereiche wie der GAP, dem Ziel der Ernährungssouveränität oder des Forstsektors führen.
- Eine nachhaltige Landwirtschaft ist dann gegeben, wenn sie die Konditionalitäts-Auflagen der Gemeinsamen Agrarpolitik GAP ab 2023 erfüllt. Weitere Kriterien sind dazu nicht erforderlich.
4. Zur Industrieemissionsrichtlinie
Von der Industrieemissionsrichtlinen sind vor allem viehhaltenden Betriebe betroffen. So stammt der Großteil der Ammoniakemissionen aus der Tierhaltung und die Rinderhaltung trägt zum Methanausstoß bei. Hierzu fordert der Freistaat:
- Bei der Änderung der Industrieemissionsrichtlinie muss der Grundsatz der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Strukturbrüche durch übermäßige Belastung der familiengeführten landwirtschaftlichen Betriebe durch unverhältnismäßige Ausweitung und Rechtsunsicherheit des Anwendungsbereichs insbesondere eine Neuerfassung der Rinderhaltungen, müssen vermieden werden.
- Eine nachträgliche noch weitergehende Ausweitung des Anwendungsbereichs durch erneute Absenkung der Schwellenwerte oder Aufnahme neuer Tierarten mittels delegierten Rechtsakt verletzt den Bestimmtheitsgrundsatz und das Subsidiaritätsprinzip und bringt weitere Rechtsunsicherheit für tierhaltende Betriebe.
- Die Beweislastumkehr zu Lasten tierhaltender Betriebe bei dem neuen Schadensersatzanspruch ist nicht hinnehmbar.