Das ist ein Artikel vom Top-Thema:

Kommentar

Warum Cem Özdemir bislang kaum etwas für die Landwirte erreicht hat

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Archiv): In einem Kommentar zieht agrarheute-Chefredakteur Simon Michel-Berger Bilanz von Özdemirs erstem Jahr im Amt.
Simon Michel-Berger, agrarheute
am Mittwoch, 14.12.2022 - 10:50

Die Jahresbilanz des neuen Bundeslandwirtschaftsministers ist aus Sicht der Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland ernüchternd.

Jede Ministerin und jeder Minister wollen ihre Leistungen ins bestmögliche Licht rücken. Schon die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) bescheinigte sich kurz vor der vergangenen Bundestagswahl ausgezeichnete Ergebnisse. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat kürzlich ein Papier vorgelegt, in dem auch die Leistungen des ersten Amtsjahres von Cem Özdemir (Grüne) angepriesen werden. Doch der Text ist wenig überzeugend. Dazu drei Beispiele:

GAP-Strategieplan: Möglichst wenig Planungssicherheit

Der Minister lobt sich dafür, mit dem Strategieplan zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) Planungssicherheit für die Landwirtinnen und Landwirte geschaffen zu haben, doch Österreich zeigt, dass dieses Ergebnis schon zwei Monate früher möglich gewesen wäre. Weil die Programme der Bundesländer für die Förderung in der zweiten Säule auf dem Strategieplan aufbauen, schafft die bummelnde Arbeit des Ministeriums am Strategieplan später Planungs- sicherheit als in vielen anderen EU-Staaten.

Tierhaltungskennzeichnung: Kaum Fortschritt in der Legislaturperiode

Der Bundesminister lobt sich im Papier seines Ministeriums dafür, sein Gesetz zur Tierhaltungskennzeichnung durch Bundestag und Bundesrat gebracht zu haben. Stimmt, die Bundesländer unterstützen Özdemir. Aber von der Länderkammer kommen derart viele Verbesserungsforderungen, dass schnell klar wird: Grünes Licht geben die Länder vor allem dafür, dass sich überhaupt etwas bewegt. Was aber ist ein erster Schritt wert, der die wirklich großen Probleme der Umsetzung auf die nächste Legislaturperiode verschiebt? Ein Gesetz zur Außer-Haus-Verpflegung dürfte unter der aktuellen Bundesregierung noch kommen, doch mehr ist nicht zu erwarten. Weil auch die längerfristige Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung offen ist, schafft Özdemir keine Zuversicht für die notwendigen Investitionen.

Düngeverordnung: Sippenhaft statt Verursacherprinzip

Bei der Düngeverordnung, sagt der Minister, sei die Gefahr von Sanktionen aus Brüssel abgewendet. Das hat die EU-Kommission so nicht offiziell bestätigt. Gleichzeitig hat es Deutschland aufgegeben, für eine verursacherbezogene Bewertung der Gewässerbelastung zu kämpfen. In der Umsetzung der Düngeverordnung, die die vergangene Bundesregierung angestrebt hatte, war das noch möglich. Landwirte werden in Sippenhaft genommen und haben weniger Anreize, einzelbetrieblich in möglichst gewässerschonende Verfahren zu investieren.

Es gibt weitere Themen, bei denen die Bilanz des Ministers schwach ist:

  • Bei der Unfallversicherung wurden die Zuschüsse des Bundes deutlich gekürzt. Die Bauern müssen mittlefristig mehr bezahlen, als sie kurzfristig über die Krisenhilfe bekommen.
  • Die Ausnahmen zu Fruchtwechsel und Stilllegungspflicht in der GAP sind so unattraktiv, dass jeder, der sie nutzt, riskiert, Fördergelder zu verlieren.
  • Neue Ideen zur Erreichung des 30-Prozent-Ökolandbau-Ziels gibt es nicht, nur Mittelverschiebungen im Haushalt.
  • Dem CETA-Handelsabkommen hat Özdemir noch vor einigen Jahren eine Absage erteilt, sofern nicht nachverhandelt werde – dann aber ohne Nachverhandlung im Bundestag zugestimmt.
  • Aus der Ernährungsstrategie der Bundesregierung wurde die Ernährungswirtschaft erfolgreich vergrault.

Was Özdemir geleistet hat

Özdemir zugute halten muss man, dass er auf dem Grünen-Parteitag im Oktober eine Lanze für die Tierhaltung gebrochen hat – trotz Kritik mancher Nichtregierungsorganisationen. Lobenswert ist auch sein persönlicher Einsatz für Ukraine-Hilfen. Für einen wirklichen Aufbruch in der Agrarpolitik ist das aber viel zu wenig.

Vertane Chancen

Viele Landwirte – sowie der Autor dieser Zeilen – sahen in Özdemir eine Chance, vergangene Grabenkämpfe zu beenden und mit neuen Ideen die Weiterentwicklung der Agrarpolitik voranzutreiben. Je mehr das Gefühl sich verfestigt, dass der Minister vor allem auf einen nächsten Karriereschritt in Baden-Württemberg zielt und keine neuen Ansätze hat, desto größer ist die Enttäuschung. Bio-Landwirte dürfen sich bei Özdemir immerhin gut fühlen, weil Ökolandbau zum Leitbild erkoren wurde. Aber was ist mit den übrigens 70 Prozent der Bauern, die konventionell wirtschaften?