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Breitseite gegen Kaniber: Özdemir-Interview löst viele Reaktionen aus

Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) bei einem Besuch der Grünen Woche in Berlin.
Philipp Seitz
Philipp Seitz
am Montag, 30.01.2023 - 13:54

Der Zoff zwischen dem Bundeslandwirtschaftsminister und seiner bayerischen Kollegin zieht weitere Kreise. Auch Landwirte mischen sich in den Streit ein.

München – Hubert Aiwanger poltert gerne. In den sozialen Netzwerken und am Rednerpult teilt er gegen die politischen Mitbewerber aus. In den Zoff zwischen Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) und die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) möchte sich Aiwanger vorerst nicht einmischen. Über einen Sprecher lässt er am Wochenende ausrichten, dass er die jüngsten Aussagen von Özdemir nicht kommentieren will.

Das ist durchaus ungewöhnlich, denn seine Kabinettskollegin Michaela Kaniber (CSU) reagierte auf die Aussagen mit einem sechs Minuten langen Video. Özdemir teilte im Interview mit dem „Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt“ auch ordentlich gegen den Chef der Freien Wähler aus: Hubert Aiwanger habe „offensichtlich die Donald-Trump-Gedächtnisschule in Bayern besucht“, sagte der Bundesminister. Aiwanger stärke den Populismus und die Fanatiker.

Schlagabtausch zwischen Özdemir und Kaniber

Die Breitseite des grünen Bundesagrarministers gegen die Bayernkoalition aus CSU und Freien Wählern hat nicht nur in Bayern für Aufsehen gesorgt. Mehrere Medien griffen den Schlagabtausch zwischen Özdemir und Kaniber auf, auf den digitalen Plattformen wurden die Aussagen eifrig kommentiert. Auch bayerische Politiker äußerten sich: „Wahre Worte zum wahren Motto der CSU: Erst die Person, dann die Person, dann die Person“, schreibt etwa Ludwig Hartmann, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, auf seinen digitalen Kanälen.

CSU-Agrarsprecher Martin Schöffel kommentierte das Interview von Cem Özdemir ebenfalls. Er schrieb: „Reden und Handeln passen bei Özdemir nie zusammen! Es waren die Grünen, die bei den letzten Verhandlungen zur Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnungsverordnung weitere Verschärfungen im Bundesrat gefordert haben und längere Übergangszeiten bei den Zuchtsauen verhindert haben. Das hat die schweinehaltenden Betriebe massiv belastet!“

Erika Sauer, die Vorsitzende Fleischrinderverband Bayern, ist über die Aussagen von Özdemir empört. Seit mehr als zehn Jahren engagiert sich Sauer an der Spitze des Fleischrinderverband Bayern. Sie setzt sich für die Mutterkuhbetriebe in Bayern ein und züchtet zuhause Rotes Höhenvieh, eine vom Aussterben bedrohte Haustierrasse. Sie habe Verständnis für den Frust des Bundesagrarministers, schreibt Sauer dem Wochenblatt. Die Regelungs- und Kontrollwut auf Bundesebene mache es der Landwirtschaft in Bayern seit Jahren aber immer schwerer, klagt sie. Als praxisfern bezeichnet sie die „oberlehrerhafte grüne Klientelpolitik“, die Özdemir aus ihrer Sicht betreibt und die, wie sie sagt, jetzt erst so richtig Fahrt aufnehmen würde.

Bundesagrarminister Cem Özdemir möchte sie zu einem Spaziergang einladen – und mit ihm über Agrarpolitik diskutieren. Das bayerische Leitbild laute nicht „Wachse oder weiche“, schreibt Sauer in einer persönlichen Stellungnahme. Vielmehr gelte: „Jeder Betrieb soll unabhängig von seiner Größe und Bewirtschaftungsform eine Zukunft haben.“ Auch kleine Direktvermarkter seien an dieselbe Palette von Vorgaben, Aufzeichnungs- und Deklarationspflichten gebunden, wie Großbetriebe mit industriellen Fertigungsverfahren.

Erika Sauer fordert praxisorientierte Lösungen

Sie bedauere das „dauernde pauschale Bauernbashing und die fehlende Wertschätzung“. Das zermürbe die Landwirte, die an sieben Tagen in der Woche im Dienst sind. Wenn er den Landwirten offen zuhöre, müsse er eingestehen, dass er daneben lag, schreibt Sauer. Er müsse nach echten, praxisorientierten Lösungen suchen, „bei denen eben nicht gerade die kleinen und mittleren Betriebe auf der Strecke bleiben“.

Hier lesen Sie das Schreiben von Erika Sauer in voller Länge:

Aus dem Bundesagrarministerium heißt es, dass Ressortchef Cem Özdemir seit seinem Amtsantritt „alle nötigen Voraussetzungen“ für eine zukunftsfähige Tierhaltung treffen würde. Ziel von Özdemir sei es, den Landwirten „mit einem Gesamtpaket eine verlässliche wie wirtschaftliche Planungs- und Investitionsperspektive zu geben“, sagte ein Ministeriumssprecher gegenüber dem Wochenblatt. Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber ist anderer Meinung und hat den grünen Minister in einem Schreiben zu einem Austauschgespräch und Besuch in Bayern eingeladen. Zum genauen Inhalt des Schreibens wollte das bayerische Landwirtschaftsministerium keine weiteren Auskünfte erteilen. Ein Ende des Zoffs ist vorerst nicht in Sicht.