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Agrarpolitik

Brachflächen sollen reaktiviert werden

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Gerd Kreibich Portrait
Gerd Kreibich
am Dienstag, 21.06.2022 - 20:03

Die Situation in der Ukraine beschäftigt das bayerische Kabinett. Hoher Gast ist diesmal EU-Kommissar Janusz Wojciechowski.

Poing Am Standort Poing-Grub der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft tagte das Bayerische Kabinett am Dienstag, und diese Ortswahl machte durchaus Sinn: Auf der Tagesordnung standen nur Themen aus dem Agrarbereich, zudem war ein prominenter Gast zur Sitzung gekommen: EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski tauschte sich mit dem Kabinett, insbesondere mit Ministerpräsident Dr. Markus Söder, Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber und Umweltminister Thorsten Glauber, über aktuelle Fragen aus.

Sichtlich beeindruckt zeigte sich der EU-Kommissar beim Rundgang von der Arbeit der Landesanstalt, die von Präsident Stephan Sedlmayer erläutert wurde: „Hier wird offenbar sehr viel geforscht und gearbeitet mit dem Ziel, der bäuerlichen Landwirtschaft auch in kleineren und mittleren Strukturen gute Zukunftschancen zu sichern, mit diesem Ziel stimme ich vollkommen überein“, hielt Janusz Wojciechowski fest.

Großen Gefallen fand er auch an den Entwürfen zum „gläsernen Stall“: Das Projekt der LfL soll bekanntlich nicht nur Idealbedingungen für Tiere schaffen, sondern mit offener Bauweise auch die Tierhaltung transparent machen und deutlich machen, dass Tierwohl in der Nutztierhaltung einen sehr hohen Stellenwert hat, der mit guten Ideen auch in die Realität umgesetzt werden kann. Die Umsetzung der Planung in die Realität war eine der Beschlussvorlagen der Kabinettssitzung, das Landwirtschaftsministerium erhielt den entsprechenden Auftrag, der Demonstrations- und Forschungsstall wird auf dem LfL-Gelände in Poing-Grub errichtet.

Bekenntnis zur heimischen Landwirtschaft

„Unsere heimische Landwirtschaft ist für die Bayerische Staatsregierung von zentraler Bedeutung. Bäuerliche Familienbetriebe sind die Grundlage für die Sicherung der Lebensmittelversorgung im eigenen Land, liefern Rohstoffe für die Wirtschaft, erzeugen Energie, pflegen, erhalten und prägen dabei gleichzeitig die attraktive Kulturlandschaft und sind Stabilitätsanker im Ländlichen Raum“, mit diesem deutlichen Statement eröffnete Ministerpräsident Söder die Pressekonferenz nach der nicht-öffentlichen Sitzung des Ministerrates. Es müsse daher insbesondere angesichts der aktuellen weltpolitischen Situation, insbesondere mit Blick auf den Krieg in der Ukraine, ein besonderes Anliegen werden, die bäuerlichen Betriebe bei den anstehenden Herausforderungen bestmöglich zu unterstützen. „Die Ernährungssicherung als zentraler Pfeiler einer Gesellschaft darf nicht gefährdet werden“, machte Söder deutlich und forderte den Bund dazu auf, die sichere Versorgung mit Lebensmitteln auch grundgesetzlich zu sichern Überhaupt erwarte der Freistaat von der Bundesregierung eine aktive Unterstützung der Land- und Forstwirtschaft.

Und hier stellten Ministerpräsident Söder ebenso wie Ministerin Kaniber gleich eine ganze Liste vor, die nach Berlin adressiert ist. So wird eine solide und langfristig verlässliche Finanzierung des Umbaus der Nutztierhaltung im Sinne der Borchert-Kommission gefordert, insbesondere auch Unterstützung in Genehmigungsverfahren zum Um- und Neubau tierwohlgerechter Ställe, um rascher zu mehr Tierwohl zu kommen und die noch vorhandenen bäuerlichen Strukturen zu erhalten. Wichtig ist insbesondere Michaela Kaniber eine weitergehende Haltungskennzeichnung, die die inländischen Landwirte nicht gegenüber dem (EU-)Ausland benachteiligt. „Der Vorschlag des Bundes greift hier eindeutig zu kurz“, betont die Ministerin. Sie verlangt auch ein „klares Bekenntnis zu den ländlichen Räumen“ durch eine zielgerichtete Mittelaufstockung in der „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Für Umweltminister Thorsten Glauber ist ein dauerhaftes finanzielles Engagement des Bundes zur Unterstützung von Moorschutzmaßnahmen der Länder unerlässlich.

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Sowohl Landwirtschaftsministerin als auch Umweltminister fordern vom Bund die unverzügliche Verankerung eines verursachergerechten Systems zur Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie. Durch Erarbeitung der rechtlichen, fachlichen und technischen Grundlagen für die flächendeckende Erhebung und Bewertung von Betriebsdaten muss der Bund die Voraussetzungen schaffen, um auf Maßnahmenebene bei den Einzelbetrieben die notwendige Verursachergerechtigkeit herzustellen.

„Wir müssen baldmöglichst eine Lösung realisieren, wie Landwirte, die durch Vorlage von Betriebsdaten nachweislich besonders umweltschonend düngen, von Auflagen in Roten Gebieten befreit werden können“, betonten die beiden Regierungsmitglieder unisono und sie fanden dabei auch die Unterstützung von EU-Kommissar Janusz Wojciechowski. Der EU-Kommissar stelle im Gespräch mit dem Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt klar, dass „kein Landwirt, der seine Arbeit ordentlich und entsprechend den gesetzlichen Vorgaben erledigt, bestraft werden darf“, denn: „Wer so düngt, dass alles passt, und wer diese ordentliche Arbeit nachweisen kann, der kann nicht mit den Auflagen eines Roten Gebietes eingeschränkt werden.“

Messnetz schnell ausbauen

Und auch der Freistaat will in Sachen Rote Gebiete den „Turbo einschalten“: „Durch eine gemeinsame Kraftanstrengung von Staatsregierung, Landnutzern, Wasserversorgern und Kommunen werden wir den Ausbau des Messnetzes zur Ausweisung der mit Nitrat belasteten Gebiete vorantreiben und auf 1500 Messstellen bis Ende 2024 erweitern“, betonte Ministerpräsident Markus Söder. Ergänzt um weitere Zusatzmessstellen werde damit die Abgrenzung und Regionalisierung der Roten Gebiete flächendeckend deutlich verbessert. „Dazu müssen die Landnutzer aber auch bereit sein, die Errichtung von Messstellen auf ihren Flächen zuzulassen“, auch dies stellte der Ministerpräsident klar.

Schwarze Madonna für Wojciechowski

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Wenn der EU-Agrarkommissar vor Ort in Bayern ist, dann fährt er nicht mit leeren Händen zurück nach Brüssel – und hier ist nicht das Gastgeschenk von Ministerin Kaniber in Form eines Abbildes der Schwarzen Madonna von Altötting gemeint, auch wenn sich, wie Janusz Wojciechowski betonte, er gerade darüber sehr gefreut hat. Er bekam als „Draufgabe“ noch eine Reihe von Bayerischen Forderungen mit auf den Weg: So soll es bei der Strategie „Vom Hof auf den Tisch – Farm to Fork“ nicht soweit kommen, dass durch eine solche Strategie Umfang und Wertschöpfung aus der Erzeugung von Lebensmitteln in der EU sinkt und in der Folge dann Lebensmittel vom Weltmarkt zu Billigpreisen und niedrigeren Erzeugungsstandards in die EU eingeführt werden. „Dazu sind vor Einleitung konkreter Rechtsetzungsschritte Folgenabschätzungen notwendig, die auch entsprechend berücksichtigt werden müssen“, heißt es im Statement der Staatsregierung. Um zudem die Verlagerung von Treibhausgasemissionen aus der EU in andere Regionen der Welt zu verhindern, muss auch für Lebensmittel und Agrarerzeugnisse ein WTO-konformes Grenzausgleichssystem vorgesehen werden. Alternativ müssen die höheren Kosten einer künftigen Lebensmittelproduktion in der EU finanziell ausgeglichen werden.

Im Hinblick auf den vorgeschlagenen finanziellen Ausgleich höherer Produktionskosten infolge der Farm-to-Fork-Strategie sollten hierfür erforderliche Mittel über Umschichtungen innerhalb des bestehenden Finanzrahmens der EU und nicht über zusätzliche Mittelzuführungen durch die Mitgliedstaaten finanziert werden.

Und dann war da noch ein ganz konkretes Anliegen von Michael Kaniber: Mehr als bisher müsse es künftig möglich sein, die Herkunft von Lebensmitteln kennzeichnen und ausloben zu dürfen. „Die Verbraucher sollen wissen, wo ihre Lebensmittel herkommen – und wenn das Apfelsaftkonzentrat aus China kommt, dann muss das der Kunde erfahren können. Nur so können wir dem gestiegenen Wunsch der Verbraucher nach regional erzeugten Lebensmitteln entgegenkommen, die Kennzeichnungsregeln müsse erleichtert werden. „Und bei diesem Punkt könnten wir sogar etwas mehr EU-Bürokratie vertragen“, betonte die Ministerin.

Die Auswirkungen des Ukraine-Krieges standen naturgemäß auch auf der Tagesordnung der „Agrarsitzung“, nicht nur wegen der Frage der Ernährungssicherheit in Deutschland, sondern vor allem in den Ländern, die dringendst angewiesen sind auf Getreideimporte, um ihre Bevölkerung ernähren zu können. „Wir müssen alles tun, um Hungersnöte zu vermeiden“, unterstrich der EU-Kommissar eindringlich. Er sprach sich klar für „Solidaritätskorridore“ aus, um das dringend benötigte Getreide an seine Bestimmungsorte zu bringen. Die EU müsse sich hier im höchsten Maße solidarisch zeigen und habe deshalb auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, aus der Produktion herausgenommene Fläche wieder zu nutzen - umsetzen müssten das allerdings die Mitgliedstaaten.

Das war dann auch das Stichwort für Michaela Kaniber: „Es tut mir in der Seele weh, wenn ich die Verzögerungstaktik der Bundesregierung erlebe. Wir könnten mit den zusätzlich nutzbaren Flächen in einem Jahr das Getreide zur Versorgung von drei Millionen Menschen erzeugen. Was ist daran verwerflich?“, stellte sie als Frage in den Raum. Selbstverständlich stehe man zum „Green Deal“ ebenso wie Schutz von Natur und Artenvielfalt, aber: „Es ist Krieg, die große Kornkammer der Ukraine kann nicht liefern – wir können die Menschen in dieser Situation nicht dem Hunger überlassen.“