Nach der EU-Freigabe der ökologischen Vorrangflächen (ÖVF) für die Nahrungsmittelproduktion erwartet Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) vom grünen Bundesagrarminister Cem Özdemir, schnell die rechtlichen Grundlagen zu schaffen, damit Bayerns Bauern zu Beginn der Aussaat noch reagieren können.
Die Landwirte stünden mit der Frühjahrsaussaat in den Startlöchern. „Jeder Tag der Unklarheit aus Berlin, der jetzt verstreicht, kann in letzter Konsequenz in von Hungersnöten und Versorgungskrisen bedrohten Ländern auf der Welt Menschenleben kosten“, sieht Kaniber die Gefahr.
Die Bundesregierung müsse auch auf diese Weise ein Zeichen des Widerstandes und der Hoffnung setzen gegen Vernichtung und Hungertote weltweit. In Bayern liegen derzeit rund 20.000 ha als ÖVF brach.
Russische Armee zerstört Silos und Bauernhöfe gezeilt
Die Ministerin zeigt sich alarmiert durch Meldungen aus der Ukraine über gezielte Zerstörungen von Produktionsmöglichkeiten und Lager für Lebensmittel durch die russische Armee. „Wir steuern in vielen Teilen der Welt, in der Ukraine selbst, aber auch in Nordafrika und Asien auf eine Lebensmittelkrise, wenn nicht sogar, wie im Jemen, auf eine Hungersnot zu“, warnt sie.
So hat die EU-Kommission einen Vorschlag vorgelegt, wonach Brachflächen, die als sogenannte ökologische Vorrangflächen ausgewiesen sind, in diesem Jahr zur Erzeugung von Lebens- und Futtermitteln bebaut werden dürfen.
Rukwied: Beim Green Deal auch nachbessern
Eine nationale Umsetzung der EU-Vorgaben ohne Einschränkungen fordert auch der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied.
Er sieht in der Mitteilung der EU-Kommission vom 23. März 2022, die „Ernährungssicherheit und Resilienz der Ernährungssysteme in den Mittelpunkt“ zu stellen, eine deutliche Veränderung in der Prioritätensetzung der EU. „Die EU-Kommission hat die Notwendigkeit erkannt, der Ernährungssicherung in der EU den Vorrang zu geben“, so der DBV-Präsident.
Diese Neujustierung sei ein wichtiger Schritt, müsse aber auch langfristig Bestand haben. Deshalb wünscht sich Rukwied jetzt auch beim Green Deal an einigen Punkten Nachbesserungen. Pauschale Reduktionsvorgaben etwa beim Pflanzenschutz sind nach Rukwieds Meinung kontraproduktiv und widersprechen dem Ziel der zuverlässigen Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln.
Für Rukwied bekräftige, der Berufsstand stehe grundsätzlich zu den Zielen, Klima- und Artenschutz voranzubringen. Es müsse eine Balance gefunden werden, Ernährungssicherung und Klimaschutz gleichermaßen zu gewährleisten.
Häusling: Kommission betreibt Schaufensterpolitik
Für den EU-Abgeordneten Martin Häusling ist die Freigabe der ökologischen Vorrangflächen für die generelle uneingeschränkte Produktion "Schaufensterpolitik", weil es mengenmäßig nicht weiterhelfe. "Würden alle aktuell in der EU brachliegenden Flächen in die Produktion von beispielsweise Getreide einbezogen, läge die Getreideproduktion nur um bis zu 4,4 % höher. Gemessen an der weltweiten Produktion wären das nur bis zu 0,4 %", rechnet er vor.
Da die meisten dieser Flächen nach Häuslings Einschätzung jedoch für eine intensive Produktion gar nicht geeignet sind, dürften die Werte noch niedriger liegen. Er bedauert, dass die Kommission nicht in Erwägung gezogen hat, EU-weit den Beimischungsanteil von Biokraftstoffen herunter zu setzen, um Flächen für die Produktion von Nahrungsmitteln frei zu bekommen. Er kommt zum Fazit: "Insgesamt ein mehr als schwaches Paket, mehr lobbygetrieben als von Vernunft getragen."