Berlin - Wie agrarheute aus Kreisen der sogenannten Borchert-Kommission, dem Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, erfahren hat, soll das Gremium im unmittelbaren Vorfeld der Internationalen Grünen Woche in Berlin eine Stellungnahme zur Zukunft landwirtschaftlicher Tierhaltung vorlegen. Der Redaktion liegt ein Entwurf des Dokuments vor. Dieser äußert sich zu den verschiedenen Vorhaben der Bundesregierung im Bereich Nutztierhaltung, zeigt sich jedoch auch überraschend kritisch zur bäuerlichen Tierhaltung als Ganzes.
Wo kritisiert die Borchert-Kommission die Nutztierhaltung?
Der Entwurf der Stellungnahme der Borchert-Kommission begrüßt einen Rückgang des Konsums tierischer Produkte aus Gründen des Klimaschutzes. Dieser Prozess könne deutlich beschleunigt werden, wenn im Rahmen einer Mehrwertsteuerreform der Verzehr tierischer Lebensmittel verteuert und der von pflanzlichen Lebensmitteln verbilligt werden würde. Explizit heißt es zudem im Text: „Die landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland sollte ungefähr im Gleichschritt mit der Verbrauchsentwicklung zurückgehen.“ Verhindert werden solle allerdings eine Verlagerung der Tierhaltung ins Ausland. Diese diene weder dem Klima- noch dem Tierschutz.
Wie hat die Borchert-Kommission sich bislang zur Tierhaltung aus Klimasicht geäußert?
In ihren Empfehlungen vom Februar 2020 sagte die Borchert-Kommission noch, dass „eine Verringerung der Nachfrage nach tierischen Produkten aus Klimaschutzgründen voraussichtlich nur in kleinen Schritten erfolgen wird“. Das der Konsum tierischer Produkte schlecht für das Klima sei, ist kein Bestandteil der Borchert-Empfehlungen. In einem Beschluss vom September 2022 hatte die Borchert-Kommission zudem verkündet, ihre Arbeit so lange ruhen zu lassen, bis die Bundesregierung eine Finanzierung für den Umbau der Nutztierhaltung vorgelegt habe.
Wie sieht das neue Borchert-Papier den Umbau der Nutztierhaltung?
Der Entwurf der Stellungnahme der Borchert-Kommission äußert sich zu den bislang vorgelegten Gesetzentwürfen und Plänen der Bundesregierung zum Umbau der Nutztierhaltung. Diese seien „nicht in der Lage, den Umbau des gesamten Nutztiersektors zu bewerkstelligen“.
Bundesprogramm zur Förderung des Umbaus der Tierhaltung
Der Entwurf des Borchert-Papiers nennt die im Bundesprogramm zur Förderung des Umbaus der Tierhaltung vorgesehene Tierwohl-Prämie „unzureichend“. Folgende Vorschläge zur Deckung der Mehrkosten der Nutztierhalter stehen im Dokument:
- Landwirten sollten Verträge über 20 Jahre erhalten, um Abschreibungen für Stallbauten voll berücksichtigen zu können.
- 80-90 Prozent der Mehrkosten sollten gefördert werden. Bei einer Veränderung der Rahmenbedingungen sollten Förderbeträge erhöht oder gesenkt werden können.
- Falls Größenbegrenzungen für Ställe eingeführt werden, sollte dennoch ein Großteil der Schweinehalter am Programm teilnehmen können. Die Alternative zur strikten Begrenzung der Größe sei degressive Förderung.
- Hohe Anforderungen bei intakten Ringelschwänzen sollten schrittweise umgesetzt werden.
- Die Investitionsförderung solle nicht über das Bundesprogramm, sondern wie bisher über Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz und Gemeinsame Agrarpolitik erfolgen. Im Bundesprogramm werde die Finanzierungsmöglichkeit für die Tierwohlprämie deutlich begrenzt. Die Prämie könne damit nicht finanziell attraktiv sein.
Anpassungen des Baurechts
Das geplante Gesetz zur Erleichterung von Stallbauten sollte, so der Entwurf des Borchert-Papiers, in mehrfacher Hinsicht verbessert werden. Aktuell ist ein erleichterter Stallbau nur dann möglich, wenn die Anlage an exakt der gleichen Stelle gebaut wird, wie der bislang bestehende Stall. Dies bedeute, dass Tierhalter während der Bautätigkeit mit der Tierhaltung pausieren müssten, und schränke die Bereitschaft zur Nutzung der Maßnahme massiv ein. Hier fordert die Stellungnahme Flexibilität. Ebenfalls geändert werden solle die Vorgabe, wonach Erleichterungen beim Stallbau nur möglich seien, sofern die Stallgrundfläche bestehen bleibe. Dies bedeute einen Zwang zur Abstockung um 40 %. Notwendige Erleichterungen für Nutztierhalter im Bereich der TA Luft gebe es zudem derzeit nicht.
Gesetz zur Tierhaltungskennzeichnung
Das von Cem Özdemir geplante Gesetz zur Tierhaltungskennzeichnung sieht der Entwurf des Borchert-Papiers kritisch. Die Kennzeichnung von Haltungsformen mit Prozent-Angaben sei weder leistbar noch kontrollierbar. Verarbeiter würden Anreize geschaffen, verstärkt ausländische Ware mit niedrigeren Tierwohl-Standards zu nutzen. Ware höherer Standards könne außerdem nicht unter niedrigeren Standards angeboten werden, was die Vermarktung erschwere. Die Möglichkeit zu einem solchen „Downgrading“ müsse ebenso geschaffen werden, wie Schwellenwerte zum Erreichen bestimmter Tierhaltungs-Standards. Derzeit habe die staatliche Tierhaltungskennzeichnung keine Chance, bestehende Haltungsformkennzeichnungen abzulösen. Es solle daher besser mit diesen Labels kooperieren, zumindest bis eine einheitliche, EU-weite Lösung umgesetzt werde.
Neue Tierhaltung in Zeiten höherer Inflation?
Der Entwurf des Borchert-Papiers steht auch „in der neuen geopolitischen Lage des Jahres 2023“, also höherer Inflation bei Lebensmitteln, weiter zu seinen Empfehlungen aus dem Jahr 2020. Allerdings sollte die Bevölkerung in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht zusätzlich belastet werden. Die für den Umbau der Nutztierhaltung bislang zugesagten Gelder würden bis zum Ende der Legislaturperiode reichen. Allerdings brauche es weiterhin den „Einstieg in eine überzeugende Transformationsstrategie“. Komme diese nicht, werde die heimische Nutztierhaltung zunehmend ins Ausland verlagert.