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Dessau

Bauernproteste zeigen Wirkung

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Josef Koch
am Donnerstag, 12.03.2020 - 09:57

Präsident des Umweltbundesamts will mit Bauern sprechen

Dessau/Kiel/München - Die jüngsten Proteste von bundesweit über 10.000 Bauern seien ein Erfolg gewesen. Dieses Fazit zieht Sebastian Dickow, Sprecher der Organisation „Land schafft Verbindung“ (LsV). In Bayern demonstrierten Landwirte beispielsweise in Regensburg und München. Außerhalb Bayerns kam es unter anderem in Dresden, Dessau, Hamburg oder Kiel zu größeren Protesten. Dabei war die Zahl der protestierenden Landwirte mit ihren rund 6000 Schleppern deutlich kleiner als bei der Großdemo im November in Berlin.

Wegen der Corona-Epidemie wollten die Organisatoren die Aktionen klein halten. In Bonn und Hessen bekamen sie auch deswegen keine Genehmigung, so der LsV. Und ganz wichtig: Von den im Vorfeld von den Agrarministerinnen Michaela Kaniber und Julia Klöckner befürchteten Radikalisierungstendenzen war nichts zu spüren. Die LsV-Verantwortlichen hatten sich zuvor gegen diese Unterstellungen massiv gewehrt, wie das Wochenblatt in seiner Ausgabe 10 berichtete.
„Uns ging es vor allem darum, vor Ort mit Umweltbehörden und Wasserwirtschaftsämtern ins Gespräch zu kommen“, so Dickow. Er bedauert, dass in München kurzfristig kein Gespräch mit Ministerialdirektor Dr. Rüdiger Detsch vom Bayerischen Umweltministerium möglich war und die LsV-Anliegen nur schriftlich weiter gereicht wurden.

Mehr Wille zum Dialog

Der neue Chef des Umweltbundesamts (UBA) in Dessau, Prof. Dr. Dirk Messner, gibt sich in einem Tweet dialogbereit, auch wenn ihm der ein oder andere Plakatspruch missfiel. Seine Behörde hatten einige Landwirte im Vorfeld der Demo als „Sabotagetruppe der Ökofaschisten“ bezeichnet. Diese Beleidigung sei inakzeptabel, so Messner. Auf Nachfrage des Wochenblatts bestätigte ein UBA-Sprecher jedoch, dass man derzeit einen Gesprächstermin suche. Inhaltlich werde es darum gehen, die „wissenschaftlichen Fakten zur Nitratbelastung darzulegen“.
Die demonstrierenden Bauern forderten in Dessau unter anderem eine Übersicht, wo genau sich bundesweit die Messstellen für die Nitratwerte befinden. Sie zweifeln an, dass ausschließlich die Landwirtschaft für diese hohen Werte verantwortlich ist. LsV-Sprecher Sebastian Dickow verlangt zudem von den Behörden vor Ort, Landwirte und Berufsstand künftig beim Ausweisen neuer Messstellen zu beteiligen. Ebenso sei eine stärkere Binnendifferenzierung der Roten Gebiete nötig.
Trotz der massiven Proteste dürfte das Hauptziel der Landwirte, ein Aussetzen der Düngeverordnung (DüV) und Prüfen der Nitratberichte schwierig werden. Die Bundesländer suchen nach Kompromissen, um die DüV Anfang April im Bundesrat durchwinken zu können. Die drohenden EU-Strafzahlungen will keiner auf seine Kappe nehmen.

Rote Gebiete überarbeitet

Immerhin scheint die Zahl der Länder zu wachsen, die am bisherigen Entwurf Bedenken haben. Neben Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen scheint auch Sachsen in das gegnerische Lager gewechselt zu sein. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer ließ zumindest auf der Dresdener Demo offen, ob sein Land im Bundesrat dafür stimmen werde. Dennoch werden sich Landwirte Anfang April einer verschärften DüV gegenübersehen, so die Meinung aus Berliner Insiderkreisen.
Die Bauernproteste verfehlten ihre Wirkung aber nicht:
  • Bayern wird sein Messstellennetz um das Doppelte ausweiten, will aber seine bisherigen Messkörper in Eigenregie überprüfen.
  • Nordrhein-Westfalen hat eine stärkere Binnendifferenzierung seiner Roten Gebiete angekündigt. Dort hatten Gutachter Mängel festgestellt.
  • Rheinland-Pfalz will seine gefährdeten Regionen neu abgrenzen. Dabei sollen die Nitratwerte der Messstationen nicht die alleinige Grundlage sein, sondern auch Wasserhaushalts- und Nährstoffmodelle hinzugezogen werden. So will das Land belastete Gebiete mehr verursacherbezogen ausweisen.
Doch aus vielen anderen grün-regierten Bundesländern fehle noch die Unterstützung, bemängelt Landwirt Sebastian Dickow. Dabei leiden vor allem die kleineren Betriebe unter den schärferen Düngeauflagen.

Kanzleramt will mehr NGO

LsV will dennoch weiter „Zeichen setzen“, wie Dickow zugibt. So stehe die Zukunftskommission noch nicht. Bundeskanzlerin Merkel hatte sie ja von LsV und vom Deutschen Bauernverband verlangt. Einen ersten Vorschlag lehnte nach Wochenblatt-Informationen das Bundeskanzleramt aber ab. Angeblich seien Nichtregeriungsorganisationen (NGO) wie Tier- und Umweltschützer zu wenig vertreten. Der Teilnehmerkreis soll aber klein bleiben.
„Wichtig ist uns, dass die Landwirte in dieser Kommission die Entscheidungsmehrheit haben“, verlangt Dickow. Schließlich seien es auch die Bauern, die weitere Anforderungen auf ihren Betrieben umsetzen müssten. Das nächste Treffen der Beteiligten findet im Bundeskanzleramt am kommenden Montag (16. März) statt. „Der Deutsche Bauernverband hat massives Interesse am schnellen Vorankommen der Zukunftskommission“, teilt dessen Generalsekretär Bernhard Krüsken mit.
Für die Bauern hat sich jüngst aber noch eine neue „Protest-Baustelle“ ergeben. Es ist der Lebensmittelhandel (LEH). Aldi hat wegen der Folgen der Corona-Epidemie seine Preisverhandlungen um Trinkmilch und Co. deutlich vorgezogen. Der Discounter wittert günstigere Preisabschlüsse. Für Milchbauern sei das ein Affront, wettern Betroffenen. Schließlich sei der nationale Markt von den Corona-Folgen gar nicht so hart getroffen wie der internationale. Sind Aldi regionale Erzeugung und Lieferketten egal? Wie aus LsV-Kreisen zu hören ist, will sich das Aldi-Management bald mit den Bauern treffen. In vielen Regionen standen in den vergangenen Tagen bereits Traktoren vor den Aldi-Zentrallagern.

Das fordern die Bauern

Das sind die wichtigsten Forderungen der demonstrierenden Landwirte:

  • Aussetzen der Verschärfungen bei der Düngeverordnung und Prüfung der Nitratberichte.
  • Deutsche Lebensmittelproduktion sicherstellen.
  • Zukunftskommission umsetzen.