Der Absatz für Bioprodukte im Allgemeinen und bei Milchprodukten im Besonderen erfährt seit einigen Monaten Gegenwind. „Bio-Bashing“ ist hier absolut fehl am Platz, obwohl dies bei so manchen Beitrag auch in der Fachpresse durchzuklingen scheint. Eine Analyse der Situation und die daraus notwendigen Schlussfolgerungen sind aber allemal angebracht.
Die im Vorfeld der diesjährigen Biofach von Politik und manchen Verbänden auf der Basis der Absatzzahlen des ersten Halbjahres vorgebrachten Statements waren dem üblichen Zweckoptimismus geschuldet. Die aktuellen Probleme werden so schnell nicht ausgestanden sein. Und abgerechnet wird bekanntlich nicht über Umfragen, sondern über Nachfragen.
Die Biobranche hat lange Zeit den Markt perfekt gesteuert
Dabei hat die Biobranche in der Vergangenheit fast alles richtig gemacht: Der Absatz konzentrierte sich fast ausschließlich auf den heimischen Markt und hier den privaten Konsum. Negativ behaftete Worte wie „Kampf um Marktanteile“ oder „Exportorientierung“ gab es in diesem stetig wachsenden Segment kaum.
Bei der Nachfrage war eine gesunde Entwicklung zu verzeichnen, die im Übrigen auch noch verantwortungsvoll begleitet worden ist: Da der Biomarkt eben ein nicht globaler und deswegen überschaubarer ist, wurde auf der Ebene von Erzeugern mit Verarbeitern eine sinnvolle Mengensteuerung betrieben. Drohte das Angebot die Nachfrage zu übersteigen, wurden „Interessentenlisten“ gebildet. Der Marktzugang war erst dann wieder möglich, wenn keine Marktverwerfung auf Kosten des Erzeugerpreises drohte.
Seit 2007, also seit gut 15 Jahren, hatte sich der Biomilchpreis von den weltmarktbedingten Schwankungen der konventionellen Schiene abgekoppelt. Aber jetzt fehlt dem Biomilchmarkt angesichts der Kostenexplosion die dringend benötigte Dynamik bei den Milchpreisen.
Mehrwert-Erzeugniasse leiden unter der Inflation
Was läuft schief in deutschen Landen, wo doch Corona der Biobranche nochmals einen deutlichen Schub nach vorne versetzt hat. Aber spätestens mit Beginn des Ukrainekonflikt ist eben vieles anders: Nicht überraschend haben Mehrwert-Erzeugnisse angesichts des um sich greifenden Gespenstes „Inflation“ einen schwereren Stand. Aber auch der Lebensmittelhandel spielt mit seiner Preispolitik eine nicht zu unterschätzende Rolle. Auch in (Corona-) Zeiten sehr guter Nachfrage bei noch weitgehend unveränderter Kaufkraft wurden die Endverbraucherpreise kaum erhöht. Der Slogan „Bio für alle“ wurde möglicherweise übertrieben.
Und jetzt, zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, werden zum Teil Preissprünge vollzogen, die einen eher abschreckenden Effekt beim Verbraucher haben. Der Mensch ist auch beim Einkauf ein „Gewohnheitstier“, was übrigens gar nicht nur negativ sein muss. Und dabei hat sich im Verbraucherhirn ebenso fest eingebrannt: Bioprodukte sind (wesentlich) teurer als konventionell erzeugte. Und die Eigenmarken des Lebensmitteleinzelhandels sind preisgünstiger als Herstellermarken. All das stimmt nicht mehr, wenn man die Entwicklung der letzten Monate im Kühlregal genau verfolgt!
Hohe Preissprünge im LEH
Begonnen hat es Ende Juni mit den neuen Kontrakten zwischen Molkereien und dem LEH für die Produkte der weißen Linie, vor allem bei Konsummilch. Dies führte zu einer Preisanhebung seit dem letzten Kontrakt um 29 Cent. Ähnliche Preissprünge wurden bei Sonderprodukten wie Weidemilch oder der Milch mit dem Label des Deutschen Tierschutzbundes vorgenommen. Höchst überraschend für Marktbeobachter und auch Branche waren aber die Anpassungen bei der Biomilch. Dort verteuerte sich die Tetrapak-Vollmilch von bisher 1,15 €/l gleich um 50 Cent auf jetzt 1,69 €/l.
Um die Dimension richtig einordnen und einen Vergleich anstellen zu können: Noch heute werden bekannte Herstellermarken für Biomilch aus Bayern, ob nun aus Piding, Andechs oder der Solidargemeinschaft „Unser Land“ preisgünstiger angeboten als Biomilch-Eigenmarken der Lebensmittelhändler.
Ähnlich verrückt und wohl den Verbraucher eher verwirrend sieht es bei Butter aus: Dort waren die Eigenmarken für Biobutter über einen sehr langen Zeitraum von mehreren Jahren (!) stabil bei 2,29 € je 250 g gelegen. Erst im April 2022 begann auch bei der Biobutter der Eigenmarken die Preis-Rallye, stieg der Endverbraucherpreis auf 2,69 € je 250 g. Mitte Mai folgte die nächste Erhöhung auf 2,99 Euro und im Juli auf den jetzigen Preis von 3,29 € je 250 g.
Bio-Eigenmarken teurer sind als bekannte Bio-Herstellermarken
Das wirklich überraschende ist, dass nach wie vor die Bio-Eigenmarken teurer sind als bekannte Bio-Herstellermarken wie Andechser Bio-Almbutter oder die Berchtesgadener Bio-Alpenbutter, die für um die 3 € je 250 g im Kühlregal liegen. In der Tat ein Paradoxon: Die ehemalige Billigbutter „bio“ ist teurer als Bio-Markenbutter!
Hier geht es also in der Analyse des Kaufverhaltens nicht um „bio“ oder „nicht bio“, sondern sogar um eine mögliche Verschiebung der Butternachfrage zugunsten der Bio-Herstellermarken – falls der Verbraucher logisch-ökonomisch und nicht nach Gewohnheit einkauft!
Nachdem jetzt bei zwei maßgeblichen Eckartikeln des Biosortiments kräftige Preisanpassungen nach oben erfolgt sind, müssten diese sich zumindest bereits auch bei den Biomilchpreisen widerspiegeln. Dem ist aber nicht so: Zuletzt ist in Bayern die Differenz zwischen konventionellem und Biomilchpreisen zusammengeschrumpft, auf 3,9 Cent/kg.
Konventionelle Ware rückt im Preis heran
Denn es gibt auch Beispiele, bei denen die Endverbraucherpreise konventionell erzeugter Ware bereits das Niveau des Biosortiment erreicht haben. Beispiel ist ein Eckartikel aus dem Sortiment Käse, bei Mozzarella im 125 g Gebinde, Eigenmarken des Handels! Mitte Mai dieses Jahres hat der LEH für besagtes Produkt nach zwei Jahren „Preisstabilität“ eine Preisanpassung nach oben vorgenommen – 20 Cent mehr. Für 79 Cent lag fortan die 125 g-Kugel der Eigenmarken aus konventionell erzeugter Kuhmilch im Kühlregal. Und Mitte August legten die Händler nochmals nach, erhöhten auf 89 Cent. Die eigentliche Überraschung: Aktuell kosten die Eigenmarken sowohl „Standard“, „light“ und auch „bio“ den gleichen Preis, 0,89 Euro/125 g. Liegt es nur an den noch laufenden Kontrakten für die Bio-Mozzarella?
Auf die Auswirkungen derartiger Preismanöver seitens des Handels darf man gespannt sein. Solche Extreme hat es in der Vergangenheit nicht gegeben. Den Biomilcherzeugern ist zu wünschen, dass der Verbrauch nicht zu gravierend zurückgeht. Und bei manchmal an den Tag gelegtem Konkurrenzdenken zwischen konventionell und bio, Stichwort 30 Prozent Öko-Anteil, sollten alle Milcherzeuger bedenken: Beide Milchsorten sind und bleiben weiß. Die Milchbranche betritt einen nicht ganz ungefährlichen Schauplatz, wenn sie sich in der Frage, wer „besser“, „tierfreundlicher“ oder „umweltverträglicher“ Milch produzieren würde, verheddert. Der Kreis der Konsumenten, die aus ethischen Gründen tierische Erzeugnisse und somit auch Milch ablehnt, scheint immer progressiver zu werden. Das sollte der gemeinsame Nenner sein, neben auskömmlichen Preisen!