Wir schreiben das Jahr 2022 und der Verbraucher geht dorthin, wo noch nie zuvor ein Mensch gewesen ist: In die unendlichen Weiten des Label-Dschungels! Kurz mal in den Supermarkt gehen und Milch kaufen? Das war einmal. Zukünftig wird sich der Verbraucher den Kopf blutig kratzen, wenn er sich mal einen Liter Milch kaufen will.
Die Verpackung lässt es erahnen: Das könnte Milch sein. Das, was drin ist, trägt das Label des Tierschutzbundes, QM+ steht drauf, die DLG steuert einen siegelhaften, goldenen Stempel bei, und auf der Nutri-Score-Tabelle steht ein großes B. Heißt das jetzt, mein Kühlschrank braucht mehr Strom, wenn ich die Packung reinstelle? Nicht ablenken lassen jetzt! Der Laden sperrt gleich zu.
Da haben wir jetzt noch die Haltungskennzeichnung und das Versprechen des Herstellers, dass dieses Produkt Fair Trade ist, die Nashörner in Afrika dadurch geschützt und obendrein fünf Cent (im Kleingedruckten pro 100 000 Liter) für den Wiederaufbau der Feldhamsterpopulation in der kasachischen Steppe gespendet werden.
Doch was ist jetzt drin? Für die Aufschrift Milch ist leider kein Platz mehr. Schnell beim Personal nachfragen. „Ich habe auch keine Ahnung, das wird uns jetzt so geliefert. Gestern habe ich es selbst getrunken und mir geht es gut.“
Wir schreiben das Jahr 2042: Neben den bestehenden Siegeln und Labels haben sich findige Werbemanager 357 neue Labels und Siegel einfallen lassen. Produktbeschreibungen wie Milch, Joghurt, Kaffee oder Hackfleisch gehören der Vergangenheit an – zu primitiv. Man kauft nach Farben, Formen und lustigen Bildchen: Geschmack war früher.
Zum Glück gibt es noch den Schwarzmarkt. In der Dämmerung schleicht der letzte Nostalgiker zum Nachbarn, der gerade aus dem Stall kommt. „Hast Du einen Liter Milch für mich?“ – „Hier, aber lass’ dich nicht erwischen.“