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Wettbewerbsrecht

Schutz vor unlauteren Praktiken?

Karola Meeder
Karola Meeder
am Montag, 06.12.2021 - 15:41

Die UTP-Richtlinie der EU soll Ungleichgewichte im Handel ausgleichen, doch die deutsche Umsetzung hat einen markanten „Geburtsfehler“.

Wettbewerbsrecht

Die Kleinen vor unfairen Mitteln der Großen schützen – das soll die UTP-Richtlinie schaffen. Sie soll EU-weit einen einheitlichen Mindestschutzstandard zur Bekämpfung von unlauteren Handelspraktiken bieten – und zwar zwischen großen Nachfragern (Käufern) von Agrar-, Fischerei- und Lebensmittelerzeugnissen und umsatzmäßig kleineren Lieferanten.

Dadurch sollen laut EU Praktiken eingedämmt werden, „die mit hoher Wahrscheinlichkeit negative Auswirkungen auf den Lebensstandard der landwirtschaftlichen Bevölkerung haben“. „Das ist ein klares Bekenntnis der EU, dass man rechtsmissbräuchliche Praktiken bei marktbeherrschenden Käufern sieht“, sagte Carl von Butler. Der stellvertretende BBV-Generalsekretär und Rechtsexperte erklärte den Teilnehmern des Marktgespräches zu Obst und Gemüse einige Hintergründe: Um die UTP-Richtlinie auf nationaler Ebene umzusetzen, wurde das Agrarmarktstrukturgesetz erweitert. Außerdem wurde es umbenannt in „Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich“, kurz „Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz“ (AgrarOLkG). Es gilt seit Juni diesen Jahres. Der Anwendungsbereich des Gesetzes hängt vom Verhältnis der Umsätze von Käufer und Lieferant ab. Dazu gibt es eine genau gestaffelte Auflistung.

Realtiv verbotene Praktiken

Neben absolut verbotenen Praktiken zählt das Gesetz auch sogenannte „relativ verbotene“ Praktiken auf – sie sind also nur unzulässig, wenn sie nicht ausdrücklich vereinbart wurden. Wie sich durch die Beiträge der Teilnehmer zeigte, ist für die Praxis der bayerischen Obst- und Gemüseerzeuger eine der wichtigsten Vorgaben, dass der Käufer dem Lieferanten den vereinbarten Preis innerhalb fester Fristen zahlen muss. Es gelten folgende Fristen:

  • für verderbliche Agrar-, Fischerei- oder Lebensmittelerzeugnisse innerhalb von 30 Tagen nach der Lieferung,
  • für andere Agrar-, Fischerei- oder Lebensmittelerzeugnisse innerhalb von 60 Tagen nach der Lieferung.
Ebenso sind nun Vereinbarungen einer kurzfristigen Beendigung des Vertrages über den Kauf von verderblichen Erzeugnissen unlauter. Verstößt ein Käufer gegen das Gesetz, kann der Lieferant (oder ein Vertreter) Beschwerde einlegen. Die zuständige Durchsetzungsbehörde ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Auf deren Internetseite finden sich nähere Ausführungen zur nationalen Umsetzung sowie ein Online-Beschwerdeformular (www.ble.de/utp). Betroffene, die Beschwerde einreichen, können sich zwar nicht anonym bei der BLE melden, sie können aber dort angeben, dass sie mit ihrer Beschwerde anonym behandelt werden wollen.
Die BLE ist also nun zuständig für die Durchsetzung der Vorschriften zu unlauteren Praktiken – für diesen neuen Aufgabenbereich sind für ganz Deutschland zehn Stellen vorgesehen, wie Butler erklärte.

Übergangsfrist von zwölf Monaten

Bestehende Vertragsverhältnisse sind mit dem Inkrafttreten des Gesetzes aber nicht automatisch rechtswidrig, wenn sie gegen das Gesetz verstoßen. Es gilt eine Übergangsfrist von zwölf Monaten nach Inkrafttreten – in dieser Zeit können Verträge an das Gesetz angepasst werden. Nur wenn diese Anpassung unterbleibt, kann die BLE einschreiten, wie von Butler weiter ausführte.

Geburtsfehler der natioanalen Umsetzung

Doch auch wenn er die UTP-Richtlinie als klares Bekenntnis der EU lobte, gibt es einen großen Makel. Genauer gesagt liegt der Makel bei der nationalen Umsetzung der UTP-Richtlinie – sie bezieht sich nämlich nur auf Fälle, bei denen die beteiligten Organisationen einen Sitz in Deutschland haben. „Das ist ein Geburtsfehler der nationalen Umsetzung. Den Sitz der Organisationen hätte man wenigstens auf das Gebiet der Europäischen Union festlegen müssen“, sagte von Butler. Ihm falle aber auch kein Grund ein, warum der Sitz eines Käufers – egal wo auf der Welt – die Verfolgung eines Verstoßes dieser gesetzlichen Vorgaben in Deutschland unmöglich machen sollte. „Dass Handelsunternehmen, die den Sitz ihrer Einkaufsstelle in Salzburg haben, nicht diesem Gesetz unterfallen, ist mit nichts zu begreifen“, verdeutlichte er.

Aber warum ist das möglich? Das liegt daran, dass es sich nicht um eine EU-Verordnung handelt, sondern „nur“ um eine Richtlinie – und solange die Mitgliedsstaaten sie umsetzen, gebe es keinen Hebel, an dem man ansetzen könnte, wie von Butler weiter erklärte. Nach seinen Worten müsste sich jemand finden, der in Brüssel anklopft und sagt: „Das kann doch kein gemeinsamer Markt in der EU sein, wenn ihr in der Umsetzung von Richtlinien wieder Ländergrenzen maßgeblich gelten lasst.“
Und wie wahrscheinlich ist ein Nachbessern in diese Richtung? „Solange in Deutschland die Meinungsfreiheit einer großen Zeitung vor der Wertschöpfung der Lieferanten steht, mache ich mir keine großen Hoffnungen“, sagte von Butler und erklärte auch, was er damit meint: Etwa 90 Prozent des Lebensmittelbereichs werden in Deutschland durch vier Einkäufer bespielt. Die seien immer bestens über die gegenseitigen Verhandlungsgespräche informiert – in Echtzeit und ganz legal über das digitale Format einer Fachzeitschrift. „Das wird in Deutschland durch die Meinungsfreiheit gedeckt“, erklärte er weiter. Und solange solche Kanäle nicht zugemacht werden, mache er sich keine großen Hoffnungen. In Deutschland sei die Marktbeherrschung des LEH noch immer politisch unangreifbar. Anders sei das inzwischen in Brüssel: „Der große Pluspunkt der UTP-Richtlinie ist, dass die EU das Ungleichgewicht gesehen und dokumentiert hat.“ Das sei ein erster Schritt in die richtige Richtung.