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Meinung

Ein Schiff wird kommen

Ukraine-Export
Hans Dreier
Hans Dreier
am Mittwoch, 10.08.2022 - 17:25

Der vor einigen Tagen aus Odessa ausgelaufene Frachter "Razoni" wurde als Schritt gegen den Hunger in der Welt gefeiert. Jetzt droht ein Mediendebakel.

Hans Dreier

Über die Landwirtschaft ist in den deutschen Medien schon lange nicht mehr so viel berichtet worden wie in den letzten Monaten. Im Mittelpunkt standen freilich nicht die deutschen Bauern, sondern die „Kornkammer Europas“ in der Ukraine. Weil die Häfen am Schwarzen Meer seit Kriegsbeginn blockiert waren, sorgten sich die Kommentatoren um die Versorgung der Weltbevölkerung mit Getreide und Sonnenblumenöl. Der ukrainische Weizen erfuhr eine mediale Glorifizierung, wie man sie bislang nicht kannte. Das Grundnahrungsmittel Weizen, das von westlichen Ernährungsberatern aus ethischer und ökologischer Sicht nur noch deshalb geduldet wird, weil es immerhin nicht-tierischen Ursprungs ist, wurde plötzlich als Heilsbringer gefeiert.

An Hühnerfutter will sich keiner die Finger verbrennen

Als am 1. August das erste Getreideschiff den Hafen von Odessa in Richtung Bosporus verließ, gingen die Bilder um die Welt. Der amerikanische Nachrichtensender CNN berichtete live vom Einlaufen des Frachters „Razoni“ in den Hafen in Istanbul. „Heute macht die Ukraine gemeinsam mit Partnern einen weiteren Schritt zur Verhinderung des Hungers in der Welt“, sagte der ukrainische Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakow pathetisch.

Doch dann kam es zum Mediendebakel. Kurz nach dem Auslaufen war nämlich bekannt geworden, dass die Razoni gar keinen Weizen an Bord hat, sondern Mais. Die schöne Geschichte von der Rettung der Hungernden war damit geplatzt. Von einem Tag auf den anderen bekam die Ukraine andere Töne zu hören: „Hühnerfutter statt Brot für die Welt“, hieß es empört in den Zeitungen.

Die Razoni ist jetzt der bekannteste Getreidefrachter der Welt. Paparazzi überwachen rund um die Uhr den Aufenthaltsort des Schiffes, für dessen Ladung sich inzwischen kein Käufer mehr findet. Am Hühnerfutter aus der Ukraine will sich derzeit niemand die Finger verbrennen.