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Ukrainekrieg

Russen stehlen massenhaft Getreide in der Ukraine

Mähdrescher
agrarheute
am Freitag, 06.05.2022 - 11:40

Der russische Angriffskrieg richtet sich auch zunehmend gegen Landwirte und die Nahrungsmittelversorgung in der Ukraine. In großem Maßstab werden Getreide und Landmaschinen gestohlen. Außerdem gibt es mehrere Angriffe auf Getreidelager.

Die Landwirtschaft in der Ukraine ist zum Ziel russischer Angriffe geworden. Das berichtet der amerikanische Nachrichtensenden CNN unter Berufung auf mehrere Quellen aus der Ukraine. Vermehrt komme es zu Zwischenfällen in den von russischen Truppen besetzten Gebieten in den stark landwirtschaftlich geprägten Regionen im Süden des Landes rund um die Städte Cherson und Saporischschja.

Ukraine: Rund 400.000 Tonnen Getreide gestohlen

CNN verweist in seinem Beitrag auf Aussagen des ukrainischen Verteidigungsministers vom 5. Mai, wonach bislang rund 400.000 Tonnen Getreide gestohlen worden seien. Der amerikanische Nachrichtensender verweist außerdem auf Berichte einzelner ukrainischer Landwirte. So seien beispielsweise im Dorf Mala Lepetycha in der Region Cherson rund 1500 Tonnen Getreide von russischen Soldaten aus einem Getreidespeicher abtransportiert worden. Am darauffolgenden Tag seien mit denselben 35 Lastwägen weitere Getreidespeicher im nahegelegenen Noworajsk geleert worden.

Diebstähle nehmen zu

Wie CNN berichtet, haben laut dem ukrainischen Landwirtschaftsminister Mykola Solsky die Diebstähle von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Produktionsmitteln in den vergangenen zwei Wochen zugenommen. Russische Truppen würden Landwirte und Agrarunternehmen bedrohen, Diebstähle nicht den Behörden zu melden. Im Interview mit CNN sagte der Bürgermeister der Stadt Melitopol, Ivan Fedorov: „[Die russischen Truppen] sind durch alle Dörfer gegangen, alle Höfe und haben Landmaschinen und Getreide gesucht, die sie dann gestohlen haben.“ Fedorov führte weiter aus: „Tschetschenische Soldaten, die für Russland kämpfen, benehmen sich wie Verbrecher aus den 1990er Jahre. Erst bieten sie an, Getreide zu lächerlich niedrigen Preisen zu kaufen. Wenn man nicht zustimmt, dann nehmen sie sich alles, ohne zu bezahlen.“

Warum wird Getreide gestohlen?

Derzeit liegt der Weizenpreis bei rund 400 € pro Tonne. Die Herkunft des Getreides ist quasi nicht mehr nachzuweisen. Die einzige Herausforderung ist es, einen Abnehmer für größere Mengen unbekannter Herkunft zu finden. CNN zitiert in seinem Beitrag Oleg Nivievskyi, Agrarexperte an der Kyiv School of Economics. Dieser berichtet, dass Länder im Nahen Osten bereit seien, russisches Getreide zu kaufen. Dieses würde derzeit mit einem Rabatt von rund 20 % gegenüber dem Weltmarktpreis gehandelt.

Was nicht gestohlen wird, wird zerstört

CNN schildert auch Fälle, wo russische Truppen anscheinend bewusst landwirtschaftliche Einrichtungen in der Ukraine zerstören würden. So berichtet Anatoliy Detochka, Chef des ukrainischen Agrarunternehmens Golden Agro, dass seine Getreidesilos in der Nähe der Stadt Rubischne am 14. April gezielt bombardiert und zerstört worden seien. Zum Zeitpunkt des Angriffs hätte das Silo rund 17.000 Tonnen Weizen und 8.500 Tonnen Sonnenblumenkerne im Wert von insgesamt etwa 13 Millionen US-$ enthalten. In der Gegend habe es keine weiteren Gebäude gegeben daher sei sich Detochka sicher, dass es sich um einen absichtlichen Angriff gehandelt habe. Das Feuer in den Trümmern des Silos habe zwei Wochen gebrannt. Detochka berichtet auch von weiteren Angriffen auf andere Silos in der Ukraine.

Landwirte in besetzten Gebieten säen nicht

Verschlimmert wird die Situation dadurch, dass Landwirte in den von russischen Truppen besetzten Gebieten nicht aussäen würden. Agrarminister Solsky erklärte gegenüber CNN, dass Landwirte nicht säen würden, weil sie befürchten, dass ihre Ernte beschlagnahmt werde. CNN zitiert eine weiter Quelle, wonach russische Besatzer in der Region Cherson die Aussaat nur erlaubten, wenn ihnen die Landwirte zusicherten, 70 % ihrer Ernte kostenlos zu überlassen.

Großangelegte Diebstähle von Landmaschinen

Immer häufiger komme es in der Ukraine zu Diebstählen von Landmaschinen durch russische Truppen. Gegenüber CNN erzählte die ehemalige ukrainische Landwirtschaftsministerin Olga Trofimtseva von mehreren Fällen aus den Regionen Charkiw und Donezk. Traktoren und Mähdrescher würden einfach gestohlen und über die Grenze gefahren. Landwirt Vasiliy Tsvigun berichtet davon, dass russische Soldaten auf seinen Betrieb in der Region Saporischschja gekommen seien und mit Waffengewalt seinen Generator, Düngemittel und einen Harvester und mehrere Hoflader gestohlen hätten. Per GPS habe er nachverfolgen können, wie eine der Maschinen nach Kursk in Russland gebracht worden sei.

Was bedeuten die Diebstähle für die Ukraine?

Agrarexperte Nivievskyi sagte CNN, dass die Folgen der Diebstähle für die Landwirtschaft in der Ukraine nicht über Monate, sondern erst über Jahre deutlich werden würden. Landwirte, deren Getreide jetzt gestohlen würde, würden nicht ohne weiteres neues Saatgut und Düngemittel kaufen und Arbeitskräfte einstellen können. „Ihr Kapital für die nächste Saison ist ihr Getreide“, so Nivievskyi. Eine Wiederaufnahme der Produktion würde zwei bis drei Jahre dauern.