Das ist ein Artikel vom Top-Thema:

Preisverfall

Rindfleischmarkt: Chaos mit Ansage

VION_Waldkraiburg-555
Max Riesberg
Max Riesberg
am Mittwoch, 08.04.2020 - 12:22

Das Coronavirus bringt auch den Rindfleischmarkt deutlich durcheinander. Die Schlachthöfe fahren ihre Taktung herunter. Großverbraucher fehlen komplett.

Das hat Sebastian Brandmaier von der Viehvermarktungs-Genossenschaft (VVG) Oberbayern-Schwaben noch nicht erlebt. Er sorgt sich. Das Coronavirus lähmt den Fleischmarkt zunehmend. In den vergangenen Wochen sank der Schlachtbetrieb bei den Kühen auf 4500 Stück an fünf Tagen – „so wenig wie noch nie!“, sagt der VVG-Geschäftsführer. Erste Schlachthöfe lassen bereits einen Tag in der Woche den Schlachtbetrieb aus. Hinzu kommt eine Reduzierung der Chargen aufgrund der Osterfeiertage. Wo das noch hinführt, ist schwer abzuschätzen. „Es könnte nach Ostern noch schwieriger werden“, meint Brandmaier realistisch.
Ein Sprecher des Rinderschlachthofs in Waldkraiburg erklärt gegenüber dem Wochenblatt: Bereits in der vergangenen Woche sei das Angebot an Schlachtrindern deutlich geringer gewesen. Vion gehe davon aus, dass diese Entwicklung anhalten werde. So habe man sich entschlossen, dass an allen deutschen Vion-Rinderschlachtbetrieben an einem Tag in der Woche nicht geschlachtet wird.

Verändertes Konsumverhalten

Die Coronakrise verändert momentan allerdings die Konsumgewohnheiten der Menschen enorm: Keiner isst mehr auswärts, alle nur noch zu Hause. Der Absatz von Fleisch an Restaurants, Hotels und die Systemgastronomie (z. B. Burgerketten) ist nahezu zum Erliegen gekommen, während bei Lieferungen an Supermärkte der Absatz an preiswerteren Fleischprodukten wie Hackfleisch und Gulasch im Vergleich zu Edelteilen wie Steakartikeln deutlich zugenommen hat. Dies wirkt sich erheblich auf die Fleischverwertung aus und schafft auch ein neues Verhältnis zwischen Ein- und Verkaufspreisen.

„Die Nachfrage nach Fleisch und Wurstwaren ist vor allem in Deutschland in den vergangenen Wochen angestiegen, der Höhepunkt ist allerdings überschritten“, schätzt der Fleischerei-Großkonzern Tonnies die derzeitige Lage auf dem Fleischmarkt ein. Aktuell befinde man sich in einer ausgewogenem Inlandsnachfrage. Gleichzeitig sei die Großverbrauchernachfrage komplett eingebrochen. Jetzt zeige sich einmal mehr, wie wichtig die Lebensmittelproduktion im eigenen Land ist. Daher sei es wichtig, dass wir die gesamte Erzeugerkette in Deutschland vor Ort haben, heißt es von Tönnies.

Preisverfall und Ausgleich

Berthold Kirchmaier, Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaft für Schlachtvieh Kaufbeuren in Ketterschwang, erläutert: „Die Anlieferung der Tiere erfolgt bei uns zum Glück nach wie vor normal. Allerdings werden mittlerweile bereits vereinzelt Schlachttage herausgenommen.“ Es gebe zwar genügend Tiere auf dem Markt, jedoch seien viele Landwirte aufgrund des großen Preisverfalls – bei Rindern sind dies bis zu 70 Cent pro Kilo – verunsichert und hielten ihre Tiere zurück. „Dem kann man nur mit einer absolut notwendigen Pro-Kopf-Ausgleichszahlung direkt an den Landwirt für die abgegebenen Schlachttiere entgegenwirken“, meint Kirchmaier. Diese Maßnahme müsse allerdings schnell von politischer Seite in die Wege geleitet werden.
Brandmaier von der VVG erklärt die Zusammenhänge: „40 Prozent des bayerischen Rindfleischabsatzes gehen an die Gastronomie. Das bricht jetzt weg. Der Lebensmitteleinzelhandel kann davon maximal fünf bis zehn Prozent auffangen“. Aber: Der große Profiteur der Coronakrise auch auf dem Fleischsektor, das ist nach seiner Meinung der LEH. Zwei weitere Entwicklungen drücken ordentlich auf den Rindfleischpreis.
Derzeit liegt viel südamerikanisches Rindfleisch auf dem Markt. Das ist billig und muss nur noch abgeladen und verteilt werden. „Da ist die Verlockung für den LEH groß, auf dieses zurückzugreifen und nicht die heimischen Strukturen zu unterstützen“, sagt Brandmaier. Auch die Rinderhäute sind derzeit nichts mehr wert, da die Automobilindustrie und die lederverarbeitende Industrie, vor allem in Italien, ihre Arbeit weitgehend eingestellt haben. „In guten Zeiten kostet eine Bullenhaut bis zu 130 Euro, jetzt noch 50 Euro. Viele sind sogar unverkäuflich“, schildert Brandmaier die dramatische Lage.
Angesichts der extrem schlechten Preislage und der Auswirkungen der Corona-Pandemie halten immer mehr Betriebe Schlachtvieh zurück, mit der Hoffnung, dass sich die Lage wieder etwas entspannt. Auch Vion bestätigt eine deutlich geringere Schlachtviehanlieferung.
Hinzu kommt die Angst bei den Menschen, jemanden „Fremden“ auf den Hof zu lassen. „Wir haben schon die verschiedensten Lösungen zur kontaktlosen Viehübergabe praktiziert“, berichtet Brandmaier. Selbst fahre man derzeit bei der VVG im Zweischicht-Betrieb, um die Versorgung aufrecht zu erhalten. „Aber auch in unserem Umfeld tauchen die ersten Corona-Verdachtsfälle auf. Es wird immer schwieriger“, so der VVG-Geschäftsführer.

Suche nach Mitarbeitern

Hinzu kommt die eingeschränkte Mobilität auf dem europäischen Arbeitsmarkt, die die Fleischbranche besonders hart trifft. Vion stehe im intensiven Kontakt mit den externen Dienstleistern, die ausländische Arbeitskräfte zur Verfügung stellen, und sei bemüht, nach Lösungen zu suchen. Das gelingt an dem einen oder anderen Standort wie in Furth im Wald, wo bisher täglich pendelnde tschechische Arbeitskräfte in einem leerstehenden Hotel untergebracht sind. An anderen Standorten wird intensiv daran gearbeitet, Jobs zu erhalten und die Produktion aufrecht zu erhalten.
Auch bei Tönnies hat man bereits vor einigen Wochen begonnen sich vorzubereiten und eine Krisenstelle eingerichtet. „Damit verbunden wurden Vorbereitungen getroffen, die die Lebensmittelversorgung weiter gewährleisten. Wir sind als Lebensmittelproduzent aufgrund unserer Marktbedeutung für den deutschen Markt für die Versorgungssicherheit der Bevölkerung von Systemrelevanz“, betont ein Sprecher des Konzerns gegenüber dem Wochenblatt.
Einschränkungen auf den Schlachthöfen gebe es aktuell nicht. Auch die Anlieferung funktioniere wie gewohnt. „Natürlich haben wir unsere Lieferanten und unser Personal sehr stark sensibilisiert, dass die Abläufe kontaktfrei stattfinden und die hohen Hygienebedingungen weiter eingehalten werden können. Dies ist notwendig, damit wir unserem Versorgungsauftrag gerecht werden können.“ Dabei sei es wichtig, dass auch die Landwirte die Hygienebestimmungen bei der Verladung oder beim Eigentransport sehr ernst nehmen. Nur so sei sicherzustellen, dass eine kontaktlose Übergabe der Tiere am Schlachthof stattfindet.

Märkte im Ausland

„Nach Spanien und Frankreich geht momentan gar nichts“, erklärt Brandmaier. Einen leichten Hoffnungsschimmer sieht er bei der Vermarktung von Färsenfleisch und Bullenvordervierteln nach Italien. Wo zuletzt die Preise für Kuh- und Färsenfleisch nahezu identisch waren, zeichne sich nun ein leichter Aufpreis für die Färsen von 30 bis 40 ct über dem Kuhpreis ab. Doch die extrem schlechte Abgabebereitschaft bei den Betrieben sorge bei ihm für extremes Unbehagen. „Hier fehlt uns mindestens ein Drittel an Schlachttieren“, sagt Brandmaier.
„Wenn momentan so wenig auf dem Markt angeboten wird, dann ist über kurz oder lang Chaos zu erwarten, wenn wieder alle liefern wollen“, betont der Experte von der VVG. Denn die Warenströme müssten nach der Coronakrise erst einmal wieder zum Laufen und ins Gleichgewicht gebracht werden. „Das dauert Wochen, wenn nicht Monate“, prognostiziert Brandmaier. Er sieht angesichts dieser Prognosen auch die Politik in der Verantwortung. „Was man jetzt anstoßen muss, ist eine sinnvolle Intervention und Lagerhaltung, damit wir nicht ins Bodenlose fallen“, fordert der Viehvermarkter.