Das ist ein Artikel vom Top-Thema:

Marktlage

Milchmarkt: Dafür gibt es keine Blaupause

Thumbnail
Hans-Jürgen SeufferleinVMB
am Freitag, 03.04.2020 - 10:06

Eine solch paradoxe Situation hat die Milchwirtschaft noch nicht erlebt. Als Folge der Covid-19-Pandemie stehen auch die Akteure der Wertschöpfungskette Milch vor absolut neuen Herausforderungen.

Es begann um die Jahreswende „weit weg“, in der chinesischen Millionenstadt Wuhan – und plötzlich war die Pandemie Ende Februar in Europa, in Norditalien, vor der bayerischen Haustür. Waren zu Beginn die Märkte nur über die stark einbrechenden Absätze und Preise im Pulverbereich betroffen, sind nun direkte und wichtige Absatzwege für den bayerischen Milchmarkt betroffen. Und die Spitze der Probleme ist jetzt fast erreicht, seitdem Bundes- und Landesregierung Ausgangsbeschränkungen erwirkt haben. Seitdem sind sämtliche Warenströme auf den Kopf gestellt.
Innerhalb kürzester Zeit wurden nicht nur alle Agrarmärkte, sondern die gesamte Gesellschaft mit eingespielten Abläufen einer kompletten Änderung unterzogen. Dadurch, dass das Verlassen der Wohnung nur noch „aus triftigen Gründen“ gestattet ist, die halbe Arbeitswelt auf Homeoffice umgestellt wurde, auch Schulen und Kindergärten geschlossen sind, keine Kaufhäuser mehr geöffnet haben und Hotels sowie Gaststätten ebenfalls leer sind, hat sich auch der Absatz völlig neu geregelt.
Über Jahre sich entwickelnde Nachfrage- und Handelsströme wurden abrupt unterbrochen oder zumindest gestört. Eine penibel erstellte Logistik wird zumindest zeitlich auf eine harte Probe gestellt. Und die Lieferketten, von der Erfassung der Milch auf den Betrieben bis hin zum Endverbraucher müssen trotz manch fragiler Einzelglieder, in der Regel der Faktor Mensch, unter allen Umständen aufrechterhalten werden.
Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) erlebt einen wahren Boom, Hamsterkäufe waren an der Tagesordnung. Zwar konnte mit dem unergründlichen Vorratskauf von Klopapier kaum ein Produkt mithalten. Aber die haltbaren Milchprodukte wie H-Milch oder Butter wurden so stark nachgefragt, als ob Weihnachten und Ostern zusammenfallen würden. Dagegen ist der Absatz in der Gemeinschaftsverpflegung völlig zum Erliegen gekommen, der Export mehr oder weniger stark gestört.

Die Auswirkungen auf die Molkereien

Bayerische Molkereien und somit auch deren Milcherzeuger sind von diesen geänderten Warenströmen so unterschiedlich wie noch nie in der Historie der bayerischen Milchwirtschaft betroffen: Kleine und vor allem spezialisierte Verarbeiter mit jahrzehntelangen, eigentlich „todsicheren“ Absatzwegen, z. B. in der Systemgastronomie wie McDonalds und Co. oder bei Möbelhäusern sind ebenso betroffen wie Verarbeiter, die stark im Export unterwegs sind.

Gerade Länder mit geringem Selbstversorgungsgrad Milch wie vor allem Italien, aber auch Portugal, Spanien oder Griechenland, waren ein sicherer und naheliegender Absatzweg. Und dann gibt es ja immer noch den gestörten internationalen Export, der nach wie vor alles andere als rund läuft, trotz mancher kleiner Signale. Da ist es oft weniger die Nachfrage, sondern die Probleme bei der Logistik, die die Lieferkette und somit das Verbringen des eigentlich nachgefragten Produktes zum Kunden erschweren.

Absatzprobleme beim Schlachtvieh

Leider sind die bayerischen Milchviehhalter neben der Vermarktung ihrer Milch auch über die Verwertung des Fleisches, vor allem der Verwertung der Altkühe massiv betroffen: Der Absatz von Kuhvordervierteln in die Systemgastronomie wie McDonalds oder Burger King ist ebenso zum Erliegen gekommen wie der Export nach Spanien für schwere und fette Kühe oder nach Frankreich für Kuhpistolen.

Somit wird Rindfleisch nur über den LEH und von einigen Metzgern verkauft, kompensiert aber die ausfallenden Bereiche nur ansatzweise. Deswegen kann diese Schiene auch nicht dazu beigetragen, die Milchanlieferung etwas stärker einzuschränken. Die zurückgegangenen Erlöse bieten dafür keinen Anreiz, obwohl eine Besserung auch nicht im April zu erwarten ist.

LEH hebt Preise für Butter und Käse an

Bei all den derzeitigen ungelösten Problemen gibt es aber auch einige kleine Lichtblicke: Die Kontraktverhandlungen der Molkereien mit dem LEH verlaufen zumindest nicht negativ, obwohl nach den relativ stabilen Marktparametern zu Beginn des Jahres die Erwartungen deutlich höher waren. Mit Beginn des Monats April sind jetzt neue Butterkontrakte vereinbart worden. Das Ergebnis ist positiv, der LEH bezahlt den Molkereien für den laufenden Monat für Deutsche Markenbutter des Preiseinstiegssegments 30 ct/kg mehr. Damit ist die Preisrücknahme für den Monat März mit einem minus von 26 ct/kg kompensiert.

Auch die Kontrakte für Käse des Standardsortiments und der SB-Ware im LEH, also für Gouda, Edamer, Butterkäse und den Eckartikel „250-g-Käseaufschnitt“ , die in den vergangenen Wochen für eine sechsmonatige Kontraktdauer, von April bis September, verhandelt worden sind, sind dem Vernehmen nach mit einem Plus zum Abschluss gebracht worden. Zwar nicht in der Größenordnung, die zu Beginn der Verhandlungsrunde mit plus 50 ct/kg im Raum stand, aber trotzdem ein Milchpreis stabilisierender Faktor über die Absatzschiene Handel.

Noch laufende Verhandlungen

Und bei all den aktuellen Problemen nicht zu vergessen sind die noch laufenden Verhandlungen über die Produkte der weißen Linie. Durch die Ankündigung von Aldi zu Beginn des Monats, die Preise wegen Corona absenken zu wollen, sorgte dies für Schlagzeilen in den Medien und trieb die Milcherzeuger schlagartig auf die Schlepper. Die Demos gegen Aldi waren wohl von Erfolg gekrönt, weil Aldi kurz danach kleinlaut geäußert hat, für die Kontraktperiode Mai bis Oktober die Trinkmilchpreise um 5 ct/l zu erhöhen. Bis heute aber ist nicht bekannt, ob auch die anderen Wettbewerber diesem Entgegenkommen von Aldi folgen und ob diese Preisanhebung auch für die weiteren Produkte der weißen Linie gilt.

Nachdem das Niveau der Milchpreise über den LEH mit den vorliegenden Kontrakten eher in Richtung Stabilisierung geht, liegt in den kommenden Tagen und Wochen das Hauptaugenmerk der bayerischen Milchwirtschaft auf dem ebenso wichtigen Export im europäischen Binnenmarkt und auf in einem wieder anspringenden Absatz in die außer-Haus-Verpflegung. Aber das wird durch die Einschränkungen vor dem 19. April nicht möglich sein.

Es sollte deshalb erwähnt werden: Angesichts der geschilderten Schwierigkeiten muss alles unternommen werden, dass jeder Liter Rohmilch von den Höfen abgeholt und einer Verwertung zugeführt wird. Eine seriöse Antwort auf die Entwicklung der Milchpreise kann es derzeit nicht geben. Diese werden wohl angesichts der unterschiedlichsten Verwertungen der Molkereien weit auseinandergehen. Eine pauschale „Vorhersage“ massiver Milchpreisrückgänge ist aber unangebracht und vor allem kontraproduktiv.