Eigentlich sollte der Verbraucher schon seit diesem Frühjahr Milch und Milchprodukte kaufen können, die nach den höheren Anforderungen des Zusatzmoduls QM+ erzeugt wurden. Das sieht die Branchenvereinbarung Milch vor, auf die sich Landwirtschaft, Molkereien und Lebensmitteleinzelhandel (LEH) im Januar geeinigt hatten. Der Standard QM+ entspricht Stufe 2 der Haltungsformkennzeichnung des Handels. Milch aus ganzjähriger Anbindehaltung ist davon ausgeschlossen. Doch dann kam der Ukraine-Krieg – und mit ihm schossen die Milchpreise in bislang unbekannte Höhen. Milchbauern erhalten in diesem Herbst teilweise über 60 Cent je kg Rohmilch. Für Trinkmilch der Eigenmarken des Handels legt der Verbraucher schon in der Preiseinstiegsstufe 1,09 Euro pro Liter auf den Tisch. Bei einer Inflationsrate von über 10 Prozent macht das die deutschen Verbraucher noch preissensibler als üblich.
Trinkmilch der Haltungsform 2 soll im nächsten Frühjahr kommen
In der Folge hat der Handel den angekündigten flächendeckenden Einstieg in die Haltungsform 2 um ein Jahr verschoben. Jetzt soll die Markteinführung im kommenden Frühjahr anlaufen. „Im ersten Quartal 2023 werden die Label vom Handel genutzt werden“, sagt Ludwig Börger, Geschäftsführer von QM-Milch gegenüber agrarheute auf Anfrage. Der Start wird voraussichtlich auf kleiner Flamme erfolgen: Eine „niedrige vierstellige Zahl an Milchviehbetrieben“ wird laut Börger Milch nach den Zusatzmodulen QM+ und QM++ an rund ein Dutzend Molkereien liefern, sodass Erzeugnisse daraus im Handel mit der Haltungsform 2 beziehungsweise 3 ausgezeichnet werden dürfen. „Wichtig ist, dass alle beteiligten Akteure zu den Standards QM+ und QM++ stehen und das Programm an den Start bringen wollen“, unterstreicht Börger. Unbestreitbar ist aber auch: beim gegenwärtigen Niveau der Milchpreise ist ein Aufschlag von 1,2 Cent/kg Rohmilch, wie ihn die Branchenvereinbarung Milch zum Ausgleich der Anforderungen für QM+ vorsieht, für die Milcherzeuger nicht attraktiv. Das gilt umso mehr, als der Milchmarkt sehr knapp versorgt ist.
Mehrwert-Programme wie Weidemilch, regional oder Tierwohl leiden
Bisher findet der Verbraucher daher keine Trinkmilch aus Haltungsform 2 im Kühlregal. Die Haltungsformen 3 und 4 werden hingegen in kleinen Mengen angeboten. Marktexperten beobachten jedoch: Die Mehrwert-Programme mit Aufschlägen für Tierwohl, Weidemilch oder Regionalität haben Absatzprobleme. Der Verbraucher spart, wo er nur kann, um seine Strom- und Heizkostenrechnung bezahlen zu können. Das hat zu einer – aus Sicht des Verbandes der bayerischen Milcherzeuger (VMB) – bedenklichen Entwicklung geführt: Edeka Südbayern hat Ende Oktober begonnen, frische Vollmilch der Eigenmarke Gut&Günstig mit der Haltungsform 3 zu kennzeichnen, und zwar zum unveränderten Preis von 1,09 Euro je Liter.
Ist das der Beginn eines neuen Verdrängungswettbewerbs?
Für den VMB stellte ich deshalb die „höchst bange Frage“: wie reagieren die übrigen Handelsketten auf das Vorpreschen von Edeka Südbayern? Ist dies der Beginn eines Überbietungskampfes beim Tierwohl beziehungsweise umgekehrt eines Unterbietungswettbewerbs beim Verbraucherpreis? Edeka Südbayern ließ eine Anfrage der Redaktion agrarheute nach einer Stellungnahme unbeantwortet. Der Verband der Milcherzeuger Bayerns sieht jedenfalls die Gefahr, dass bei einem solchen Preiskampf in Verbindung mit den höheren Tierwohlanforderungen sowohl Kombihalter als auch Boxenlaufställe ohne Laufhof aus dem Marktsegment der Trinkmilch für die LEH-Eigenmarken aus dem Markt geworfen werden. Dabei sollte die Branchenvereinbarung Milch genau diesen Betrieben eine Zukunft ermöglichen.