„Die Ampel ist in der Landwirtschaftspolitik sehr ambitioniert gestartet. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat gleich zu Amtsbeginn deutlich gemacht, dass Lebensmittel ihren Preis haben müssen und Landwirtschaft heute ein moderner Wirtschaftszweig ist, der „Tablet und Trecker“ zu verbinden weiß. Das unterstützen wir vorbehaltslos. Doch jetzt gilt es, die dramatisch veränderten Realitäten anzuerkennen und danach zu handeln.“ Diese Einschätzung gab der Geschäftsführer des Bundesverbandes Agrarhandel e. V. (BVA), Martin Courbier, nach den ersten 100 Tagen Amtszeit der neuen Bundesregierung.
Knappe Nahrungsmittelversorgung trifft vor allem arme Länder
Die erschreckende Tatsache, wieder Krieg in Europa zu haben und die damit einhergehende Gewissheit, dass nichts mehr gewiss ist, erfordern jetzt nach Einschätzung des Agrarhandels einen klaren Kurs. Verbraucher müssen in Deutschland keine leeren Regale befürchten, Hamsterkäufe mal ausgeschlossen.
Wenn jedoch infolge politischer Produktionseinschränkungen für den Anbau von Getreide und andere Agrarrohstoffe wird Deutschland sich mittelfristig auf dem Weltmarkt eindecken müssen. Damit würden die EU und Deutschland zu steigenden Preisen beitragen, wodurch sich die Nahrungsmittelknappheit in den ärmsten Ländern weiter verschärfen wird. "Da fehlt der Blick über den eigenen privilegierten Tellerrand", kritisierte Courbier.
Versorgungssicherheit muss höhere Wertschätzung genießen
Die deutsche Agrarwirtschaft produziere auf Gunststandorten. Dies bedeute nicht, dass der Ressourceneinsatz nicht weiter optimierbar ist, etwa was den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln betrifft. Doch eine weitere Extensivierung könne sich Deutschland aus Sicht des Handles mit Blick auf drohende Hungersnöte nicht leisten. Die Versorgungssicherheit müsse ein mindestens gleichwertiges Ziel im Verhältnis zu Klima-, Arten- und Biodiversitätsschutz sein. Denn der Ukrainekrieg zeige sehr deutlich auf, dass der Hunger auf der Welt nicht nur eine Verteilungs- sondern auch eine Produktivitätsfrage ist.
Damit die Landwirtschaft resilienter wird, wie es richtigerweise das erklärte Ziel des Bundeslandwirtschaftsministers ist, gelte es auch, sich modernen Entwicklungen nicht zu verschließen, betonte Courbier. Dies gelte für die Akzeptanz und Anwendung neuer Züchtungstechnologien genauso wie für die wissenschaftlich basierte Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Weniger Ideologie und mehr Vertrauen in wissenschaftliche Kompetenz sollte hier Leitschnur sein.