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Tierzucht

Zuchtprogramm: Bester Bulle ausgewählt

Welcher Kandidat wird's? Bei einer Nachzuchtbeschau am Staatsgut in Achselschwang selektierten die Rinderzuchtexperten und Landwirte das für die Besmaung am Vielversprechenste Bullenkalb. Damit stand vor allem die Linienvielfalt der Murnau-Werdenfelser-Rasse im Fokus.
Max Riesberg
Max Riesberg
am Montag, 06.03.2023 - 13:47

Im Rahmen des Murnau-Werdenfelser-Zuchtprogramms wurde ein neuer Kandidat für die Besamung ausgewählt. Damit will man die Inzucht bekämpfen.

Ortstermin im Kälberstall des Staatsguts in Achselschwang: Eine Hand voll Experten aus der bayerischen Tierzucht sowie eine weitere an Werdenfelser Bauern sind vertieft in ihre Handzettel und beäugen eine Gruppe typvoller Kälber ganz genau. „Welches Stierkalb ist das Bessere? Das mit der Ohrmarkennummer 42 oder das mit der 43, oder am Ende doch das Jüngste mit der 72?“ Es bilden sich Grüppchen, die Fachleute diskutieren angeregt. Schließlich geht es heute abermals darum, die Weichen für eine ganze Rinderpopulation zu stellen, nämlich die der gefährdeten Rasse Murnau-Werdenfelser.

Genetische Vielfalt stärken

Den Rahmen spannt das „Zuchtprogramm zur Stärkung der genetischen Vielfalt“ innerhalb der Murnau-Werdenfelser-Rasse. „Ziel ist es dabei, Bullen für die Besamung zu erzeugen, die möglichst wenig mit der bestehenden Population verwandt sind“, erklärt Bernhard Luntz vom LfL-Institut für Tierzucht, denn die Linienvielfalt sei eher gering und der Inzuchtgrad durchaus zu beachten.

MW Kälberselektion 2023 01

Bereits vor fünf Jahren startete man die ersten Projekte. Beteiligt sind neben der LfL, die tierärztliche Fakultät München, das Staatsgut Achselschwang, die Besamungsstation Greifenberg, die Weilheimer Zuchtverbände sowie das AELF Holzkirchen. Nach einer ersten Runde, bei der die Selektion von Besamungskandidaten in der Doppelnutzung stattfand, und zwar auf dem Betrieb Spatz in Hurlach, geht es jetzt um weitere Kandidaten aus linientechnischen Gründe. „Heute wird eine Auswahl vorgenommen, anhand der genetischen Analyse einerseits und aufgrund der phänotypischen Eignung andererseits“, schildert Luntz.

Linienvielfalt vor Milchleistung

Manfred Kinzelmann, der das aktuelle Projekt maßgeblich und im engen Kontakt mit den Betrieben Zahn in Kreut, Zwick in Ingenried und Vogel in Magnetsried betreut, erklärt: „Es wurden dazu zwei Mutterkühe ausgewählt und für den Embryonentransfer von Dr. Horst Reichenbach gespült. Dann wurden gezielte Vererber aus dem Besamungseinsatz in Greifenberg beziehungsweise aus der staatlichen Genreserve angepaart und entsprechenden Trägertieren eingesetzt. Das Resultat sind fünf Kälber, vier männlich und eines weiblich, die wir heute präsentieren können.“ Dabei gehe es den Zuchtexperten nun eindeutig um die „seltenste Linie“.

„Wir brauchen wieder verstärkt die alten Linien in der Population, die vor allem auch frei von Tarentaiseblut sind. Es ist spannend für welchen Kandidaten sich die Besamungsstation entscheidet, denn diesen setzen wir ja breit auf unsere Kuhbestände ein. Dabei bleibt in dieser Auswahlrunde zwar die Milchleistung wahrscheinlich etwas auf der Strecke, aber die Linienvielfalt ist eindeutig das Entscheidende für unsere Rasse“, berichtet Murnau-Werdenfelser-Züchter Josef Seitz.

„Der 72er wirds“, sagt Stationsmitarbeiterin Susanne Böhm schließlich. Aufgrund der Untersuchungen von Dr. Ivica Medugorac ist dies der Kandidat, der am wenigsten mit der Murnau-Werdenfelser-Population verwandt ist. „Der Bulle scheint für den breiten Besamungseinsatz somit einfach am besten geeignet. Außerdem weist er auch eher die gelbliche Fellfärbung auf – die meisten Besamungsbullen waren zuletzt eher rötlich bis rot oder sehr dunkel – und sein etwas feinerer Knochenbau wirkt sich hoffentlich positiv auf den Kalbeverlauf aus“, meint sie.

MW Kälberselektion 2023 03

Für das vergangene Jahr gab es im Stationsgebiet etwa 650 Erstbesamungen mit Murnau-Werdenfelsern. „Die Besamungsstation Greifenberg unterstützt die Züchter seit jeher bei der Erhaltung des Murnau-Werdenfelser-Rindes, da uns viel an den heimischen Rassen liegt. Dazu werden zum einen Stiere in den Besamungseinsatz gestellt, zum anderen wird gezielt weiblich gesextes Sperma zur Verfügung gestellt. Denn Kühe sind gefragter als Bullen“, so Böhm.

Anzahl der Betriebe stabil

Die Anzahl der Betriebe mit Murnau-Werdenfelsern ist in den letzten Jahren weitgehend stabil geblieben. In 32 Betrieben werden die Tiere der Milchleistungsprüfung unterzogen, weitere 31 Betriebe halten ihre Murnauer als Mutterkuh. Auch die Kuhzahl hält sich in den letzten Jahren auf einem stabilen Niveau. Bei den Mutterkühen wurden insgesamt 274 Tiere beantragt. Die Zahl der Kühe die in der Milchleistungsprüfung gehalten werden, beträgt 186 Tiere. Die Anzahl der Zuchtbullen liegt bei 16 Tieren. Die Bullen kommen dabei hauptsächlich in den Mutterkuhherden zum Einsatz. 114 Herdbuchkühe sowie zwei Bullen werden auf 15 Zuchtbetrieben beim Fleischrinderverband Bayern aktuell geführt.

Im Frühjahr nächsten Jahres ist der erste Samen des neuen Murnau-Werdenfelser-Stammhalters (Zeppelin x Rawe) für die künstliche Besamung zu erwarten. Derzeit werden aus dem Projekt Adler und Alpspitz (jeweils Rank x Roexar) angeboten.

„Die Bemühungen haben sich auf alle Fälle gelohnt“, zieht Kinzelmann Bilanz, denn es seien schließlich zwei fast neue Linien zu den drei bestehenden ins Leben gerufen worden. „Es ist nicht hochgenug anzurechnen, wenn sich Organisationen ohne großes wirtschaftliches Interesse für den Erhalt und die Weiterzucht einer so einzigartigen und wertvollen bayerischen Rasse einsetzen. Auch wenn die staatliche Förderung deutlich angehoben wurde, bleibt zu wünschen, dass die Wertschöpfung für die Produkte alter Rassen weiter vorangebracht werden kann“, betont Georg Hammerl, Leiter des LVFZ Achselschwang. Und Manfred Kinzelmann stellt in Aussicht: „Es geht weiter, aber es braucht Zeit. Alles auf einmal in die Population zu bringen, wäre kontraproduktiv.“

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