Auf einen Blick
- Der Leitfaden zur Bewertung des Tierwohls bei Milchziegen stellt eine erste praxiserprobte Empfehlung zur Schwachstellenanalyse des Tierwohls im eigenen Betrieb dar.
- Für die Durchführung der Tierwohlbewertung zur Eigenkontrolle wird Wert darauf gelegt, dass die tierbezogenen Indikatoren ohne Abtasten, Einfangen oder Einsperren der Ziegen erfasst und die betrieblichen Abläufe dadurch nicht verändert werden.
- Mit der Tierbeobachtung am Futtertisch lässt sich beurteilen, ob das Haltungssystem und Management des Betriebes allen Tieren eine gleichzeitige Futteraufnahme ermöglicht.
- Eine regelmäßige dokumentierte Tierwohlbewertung bringt für den Tierhalter neben zeitlichem Aufwand auch einige Vorteile.
Leitfaden zur Bewertung des Tierwohls erstellt

Mit den gesellschaftlichen Forderungen nach mehr Tierwohl wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunächst für Rinder, Schweine und Geflügel neue Bewertungssysteme mit dem Schwerpunkt der Erfassung von tierbezogenen Indikatoren entwickelt. Für Milchziegen gab es diese neuen tierbezogenen Indikatoren bislang nur ansatzweise. Im Rahmen des EU-Forschungsprojekts „Animal welfare indicators (AWIN)“ wurde das Thema Tierwohl bei Milchziegen erstmalig umfassender behandelt. Zudem ermöglichte das von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) geförderte Projekt „Tierbezogene Indikatoren zur Optimierung der Tiergesundheit und des Tierwohls in der Milchziegenhaltung – Stable Schools als innovatives Beratungskonzept in der Milchziegenhaltung“ auch in Deutschland eine umfassende Studie zu diesem Thema.
Die daraus gewonnenen Erkenntnisse wurden in einem Leitfaden zur Bewertung des Tierwohls von Milchziegen zusammengefasst. Dieser Leitfaden stellt eine erste praxiserprobte Empfehlung zur Schwachstellenanalyse des Tierwohls im eigenen Betrieb dar, den Milchziegenhalter, Berater und Tierärzte als Werkzeug nutzen können. Der überwiegende Teil der hier vorgestellten tierbezogenen Indikatoren orientiert sich an den Ergebnissen des AWIN-Projekts.
Für das Durchführen der Tierwohlbewertung zur Eigenkontrolle wird Wert darauf gelegt, dass die tierbezogenen Indikatoren ohne Abtasten, Einfangen oder Einsperren der Ziegen erfasst und auch die betrieblichen Abläufe (Fütterung, Melken usw.) nicht beeinflusst werden. Die Tabelle zeigt eine empfohlene Erfassungsreihenfolge der ausgewählten zehn Indikatoren zur betrieblichen Eigenkontrolle, eingeteilt nach Gruppen- und Einzeltierbewertung, Ort und Zeitpunkt der Erhebung.
Für einen Gesamtüberblick zur aktuellen Tierwohlsituation im Betrieb sollten möglichst alle Stallbuchten mit laktierenden Ziegen in die Bewertung einbezogen werden. Die Indikatoren der Einzeltierbetrachtung werden an einer zufällig ausgewählten Stichprobe von laktierenden Ziegen im Melkstand erfasst. Der Umfang orientiert sich an der Anzahl laktierender Ziegen.
Die Tierwohlbewertung beginnt mit einer 16-minütigen Direktbeobachtung der Ziegen im Anschluss an die Vorlage von frischem Grundfutter. Der Beurteiler erfasst alle zwei Minuten die Anzahl wartender Tiere vor dem Fressgitter. Eine Ziege wird als wartend vor dem Fressgitter registriert, wenn sie sich innerhalb von 50 cm Abstand hinter oder direkt neben einer anderen fressenden bzw. ebenfalls wartenden Ziege mit Blick Richtung Fressgitter befindet. Mit diesem Indikator lässt sich beurteilen, ob das Haltungssystem und das Management des Betriebs allen Tieren eine gleichzeitige Futteraufnahme ermöglicht. Findet die Futteraufnahme nicht gleichzeitig statt, kann das zu negativen Veränderungen des Sozialverhaltens führen.
Die Erfassung der Anzahl wartender Ziegen an der Tränke erfolgt nach der gleichen Methode, sobald eine Ziege Wasser aufnimmt oder spätestens im Anschluss an die Futteraufnahme. Eine reduzierte Wasseraufnahme der Tiere hat nicht nur Durst, sondern auch eine geringere Futteraufnahme und Milchleistung zur Folge.
Auf den Zustand des Haarkleides achten
Ein weiterer wichtiger Indikator ist der Zustand des Haarkleids der Tiere. In den beiden obenstehenden Bildern sind jeweils Ziegen mit normalen und eine Ziege mit schlechtem Haarkleid zu sehen. Ein normal aussehendes Haarkleid glänzt und liegt glatt am Körper an, während ein schlechtes Haarkleid verfilzt und stumpf erscheint und oftmals unregelmäßige Haarlängen zu beobachten sind. Ein schlechtes Haarkleid kann durch Fütterungsdefizite, Erkrankungen oder durch den Befall von Parasiten bedingt sein. Vom Futtertisch aus beobachtet der Beurteiler die gesamte Herde und protokolliert die Anzahl der Tiere mit einem schlecht aussehenden Haarkleid.
Mit Ausnahme von Kopf und Beinen wird der gesamte Körper des Tieres betrachtet, so können auch liegende Tiere bewertet werden. Ob Haltungssystem und Management die Thermoregulation der Tiere negativ beeinflusst, lässt sich anhand des Indikators Hitze-/Kältestress bestimmen. Merkmale für Hitzestress sind eine erhöhte Atemfrequenz, leichtes Hecheln mit geschlossenem Maul bis zu starkem Hecheln mit offenem Maul und heraushängender Zunge. Unter Kälte leidende Tiere stellen ihre Haare auf dem Rücken auf, nehmen eine steife Körperhaltung ein beziehungsweise krümmen ihren Rücken und senken ihren Kopf nach unten. Auch dieser Indikator wird in der gesamten Gruppe beziehungsweise Herde aufgenommen und die Anzahl der betroffenen Tiere registriert.
Apathische Tiere mehrfach kontrollieren
Der Indikator „apathisch/teilnahmslos wirkende Ziegen“ deutet auf einen schlechten Gesundheitszustand hin und lässt sich leicht durch eine längere Beobachtung der Ziegenherde erfassen. Die betroffenen Ziegen sondern sich von der Herde ab. Sie nehmen nicht am gemeinsamen Fressen teil und stehen manchmal über eine längere Zeit regungslos im Stall, häufig mit dem Kopf zur Wand oder anderen Stalleinrichtungen. Während alle anderen Indikatoren zu festen Zeitpunkten erhoben werden, sollten die zu Beginn der Tierwohlbewertung als apathisch eingestuften Tiere immer wieder zwischendurch beobachtet und mit Abschluss der Bewertungen vom Futtertisch aus die Gesamtzahl notiert werden.
Körperkondition mit zwei Methoden bewerten
Euterüberprüfung bei gefülltem Euter
Bei der Erfassung von Verletzungen am Euter ist darauf zu achten, dass das Euter gefüllt ist. Wenn die Größe der Hautverletzung oder die Anzahl an Hautverletzungen weniger oder gleich 1/8 des Euters einnimmt, wird der Ziege ein Wert von 1 zugeteilt. Sind mehr als 1/8 des Euters von Verletzungen betroffen, erhält die untersuchte Ziege den Wert 2 für eine schwere Euterhautverletzung.
Das Erfassen bringt viele Vorteile
Der Leitfaden zur Bewertung des Tierwohls bei Milchziegen kann unter https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn060294.pdf heruntergeladen oder bei katrin.sporkmann@thuenen.de bestellt werden.