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Tierschutz

Tierwohl - eine Frage der Perspektive?

Natürlichen Witterungsschutz bilden Landschaftselemente wie Felsen, Waldränder und vor allem trägt das Blätterdach von Laubbäumen aktiv zur Kühlung durch Verdunstung bei.
Helga Gebendorfer
am Dienstag, 20.12.2022 - 13:56

Aufgebrachte Anrufe der Bevölkerung bei der Polizei, weil Schafe keinen Unterstand haben, gibt es genug. Doch wie geht es den Tieren wirklich? Das Tierwohl hängt von der Betreuung und der Eignung der Rasse für den Ort ab.

"Tierschutz im Sommer geht los mit der Auswahl der richtigen Rasse, wichtig ist dabei vor allem die Standortanpassung. Denn Schafe wurden im Laufe der Domestikation nicht nur für verschiedene Nutzungsrichtungen (Fleisch, Milch, Wolle) optimiert, sondern auch im Hinblick auf das verfügbare Grundfutter selektiert und an verschiedene Klimabedingungen angepasst“, erklärte Dr. Heinz Strobel beim MSD-Seminar. Es war einer seiner letzten Vorträge, mittlerweile ist er leider verstorben.

Der Tierarzt verwies auf weitere Tierschutzkriterien wie die Wasser- und Salzversorgung, Kompensationsmöglichkeiten, das Verhalten, ein möglicher Witterungsschutz, eventuelle Risikofaktoren, Parasiten und die Altersstruktur der Herde. „Am wichtigsten fürs Tierwohl sind die Herdengesundheit und die Betreuungsintensität. Denn je intensiver und qualifizierter die Betreuung der Tiere ist, umso weniger feste Regeln sind notwendig“, meinte der Fachmann, und weiter: „In der Schafhaltung steht der Mensch im Vordergrund, der die Signale der Schafe aufnimmt und flexibel darauf reagiert. Entscheidend dabei ist die Perspektive der Schafe.“

Situation individuell klären

Bei der Siestaformation stehen die Tiere dicht gedrängt und minimieren so die von der Sonne bestrahlte Fläche. Die Köpfe werden nach unten gehalten, wodurch unter der Herde ein vom Boden gekühlter, bewegter Luftraum entsteht.

Die Antworten auf die Frage „Wie geht Tierschutz?“ fallen nach den Erfahrungen von Strobel unterschiedlich aus – je nachdem, wer gefragt wird und aus welcher Perspektive man es betrachtet. Auf jeden Fall gibt es laut dem Tierarzt keine Pauschalantworten, sondern die Situation ist je nach Betrieb individuell vor Ort zu klären.

Strobel verwies auf das Tierschutzgesetz, §1 besagt: Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Wer das vorsätzlich und fahrlässig tut, handelt ordnungswidrig. Wer das aus Rohheit oder immer wieder tut, egal ob aktiv oder durch Unterlassen, macht sich strafbar. §2 besagt, dass der Tierhalter das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen muss. „Bei diesem Tierwohlparagraf gibt es viel Spielraum zur Interpretation“, meinte Strobel und verwies darauf, dass es in der Tierwohldiskussion unterschiedliche Meinungen und Interessen gibt. „Vieles ist eine Frage der Perspektive der diversen gesellschaftlichen Akteure“, betonte Strobel.

Für die Einhaltung der Gesetzgebung ist die Exekutive, die Verwaltung, die Ordnungsämter, die Amtstierärzte und die Polizei zuständig. Die Behörden setzen das Tierschutzgesetz um, wobei der Tierwohlparagraf §2 individuell und regional interpretiert werden kann. Gremien, Vereine und Behörden interpretieren die gesetzlichen Vorgaben aus ihrer eigenen Perspektive. Aber auch in der Fachwelt gibt es recht erstaunliche Interpretationen und verschiedene Sichtweisen.

Schafhalter genießen gutes Image

Die öffentliche Meinung spielt beim Thema Tierwohl eine ganz wesentliche Rolle. Grundsätzlich ist das Image der Schafhaltung bei der Bevölkerung sehr gut. Schäfer und Schafe werden zu Recht als Teil einer heilen Welt empfunden. Das Verhalten, das daraus resultiert, kann aber sehr unterschiedlich sein. Die Leute entdecken und melden vermeintliche Missstände – zum Teil ohne jeden Sachverstand und ohne eigene Erfahrungen mit der Nutztierhaltung. Dabei werden häufig Gefühle vom Menschen auf Tiere übertragen, was kritisch ist. „Emotionen sind wichtig für die Akzeptanz der Schafhaltung und deren Produkte. Wir sollten Anthropomorphismen – also die Übertragung menschlicher Eigenschaften auf nicht menschliche Wesen – zulassen, aber durch entsprechende Information in die richtigen Bahnen lenken“, empfahl Strobel.

Wasser ist entscheidender Faktor

Allen Rassen und deren verschiedenen Ansprüchen gemeinsam ist, dass Wasser ein entscheidender Standortfaktor und der Wasserbedarf ein wichtiges Thema in der Schafhaltung ist. Schafe und Ziegen decken ihren Wasserbedarf an vielen Tagen des Jahres schon mit dem Fressen von frischem Grünfutter und verschmähen angebotenes Tränkewasser. Und sie kommen auch mit wenig Wasser klar, durch besondere Fähigkeiten wie effektive Rückgewinnung aus dem Darm sowie Trinken auf Vorrat und Speicherung im Pansen. „Das heißt die Tiere benötigen oft kein zusätzliches Wasser und können mit einer einmaligen Aufnahme auch einen erhöhten Bedarf decken“, erklärte Strobel, nannte aber sofort zwei Ausnahmen: hochtragende Tiere und Schafe mit kleinen Lämmern, deren Mütter sich unter Umständen um die Lämmer kümmern, wenn die anderen saufen.

Für die Wasserversorgung von Schafen in der Praxis gilt:

  • Bei allen Schafen muss der Wasserbedarf täglich geprüft werden, sofern nicht aufgrund ausreichender Niederschläge bereits mit dem Futter Wasser im Überfluss aufgenommen wird.
  • Alle Schafe sollen mindestens einmal pro Tag, hochtragende und laktierende Schafe sollten mindestens zweimal am Tag ausreichende Gelegenheit zur unbeschränkten Wasseraufnahme haben.
  • Laktierende Schafe mit Lämmern unter vier Wochen sollten ständigen Zugang zur Tränke haben.
  • Die Salz- und Mineralstoffversorgung ist an den Bedarf der Tiere anzupassen.
  • Flaschenlämmer nicht vergessen, denn Milch alleine reicht für den Flüssigkeitsbedarf nicht aus.
Ausreichend Gelegenheit zur Wasseraufnahme sollen alle Schafe mindestens einmal pro Tag, hochtragende und laktierende Schafe sollten mindestens zweimal am Tag haben.

Wenn Schafe zu wenig Wasser bekommen, sinken Futteraufnahme und bei laktierenden Tieren die Milchmenge. „Aber es gibt keine physiologische Begründung und keinen Gesetzestext, woraus die Forderung nach permanentem und unbegrenztem Zugang zu Tränkewasser abgeleitet werden könnte“, fügte der Tierarzt hinzu.

Hinsichtlich der Temperatur meinte Strobel, dass Schafe auch außerhalb ihrer Wohlfühlzone von 8 bis 18 °C zurechtkommen, indem sie die Einstellung der Körperfunktionen, zum Beispiel verstärkte Durchblutung der Haut und damit die Wärmeabgabe an Kopf und Füßen verändern, und ihr Verhalten anpassen, sprich den Tagesrhythmus mit Fresszeiten ändern, Flächen mit angenehmem Kleinklima aufsuchen oder die Siestaformation (dicht gedrängt mit hängenden Köpfen) bilden.

Schutz vor der Sonne

Ein künstlicher Wetterschutz ist im Sommer nur sehr begrenzt möglich. Bretterverschläge oder umgebaute Ladewagen können im Hobbybereich bei der Koppelhaltung verwendet werden. Sonnensegel oder Zeltdachkonstruktionen funktionieren allerdings in der Praxis nicht. Die Grenze dafür liegt etwa bei 50 Schafen.

Natürlicher Witterungsschutz sind Landschaftselemente, Felsen, Waldränder usw. und das Blätterdach von Laubbäumen trägt aktiv zur Kühlung durch Verdunstung bei. Jeder Schafhalter wird natürlichen Schatten nutzen – aber nicht um jeden Preis und nicht an jedem Sommertag, es geht auch ohne Schatten.

Tiere müssen fit sein

„Für die Tiere ist es wichtig, sich auch Belastungen auszusetzen, um fit zu bleiben“, informierte der Referent die Teilnehmer. Wenn die Umweltbedingungen nicht optimal sind, heißt das also nicht automatisch, dass die Gesundheit der Tiere leidet. Aber: Die Schafe müssen fit und gesund sein. Alle Probleme, die den Kreislauf in irgendeiner Weise belasten (z. B. Übergewicht, Lungenerkrankungen, Blutarmut), schränken auch die Fähigkeit zur Kompensation ein.

Genauso wenig wie es das eine Schaf gibt, gibt es den einen Schafhalter. Zu vielfältig sind die Herdengrößen, die verfügbaren Ressourcen, die betriebswirtschaftlichen Unterschiede, die Haltungssysteme und die Haltungsformen, die sich wesentlich im Futterangebot, im Parasitenmanagement und in der Betreuung unterscheiden.

Das vollständige Referat mit vielen praktischen Beispielen ist unter www.schafpraxis.de verfügbar.