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Künstliche Intelligenz

SmartPigHome: KI soll Spielspaß in den Schweinestall bringen

Langeweile erkennen: Hierzu soll Künstliche Intelligenz die Daten mehrerer Sensoren zusammenführen, auswerten und richtig interpretieren.
Christa Diekmann-Lenartz
am Freitag, 13.01.2023 - 13:20

Im Verbundprojekt „SmartPigHome“ wollen Forscher ein interaktives Beschäftigungssystem für Mastschweine entwickeln. Bei Unruhe oder Stress im Stall soll es aktiviert werden, um etwa Schwanzbeißen zu verhindern.

Schweine sind intelligent und neugierig, sie mögen Spielzeug sowie anderes Beschäftigungsmaterial. Bei Langeweile oder Stress knabbern sie aber auch gerne mal an Ohren oder Schwanz ihrer Buchtengenossen.

Um diese „Unart“ zu verhindern, wollen Forscher und Forscherinnen nun im Rahmen des Verbundprojektes „SmartPigHome“ ein interaktives Beschäftigungssystem für den Schweinestall entwickeln. Gleichzeitig soll die Stallumgebung so optimiert werden, dass sich die Tiere wohl fühlen und erst gar kein Stress aufkommt.

Lichtprojektionen gegen Frust und Langeweile

BLW_Projekt-SmartPigHome-Kliche

Das interaktive Beschäftigungssystem besteht im Wesentlichen aus einem Beamer, der Licht in Form von beispielsweise Bällen auf den Stallboden wirft. Kommt ein Schwein mit dem Rüssel an diesen projizierten Ball, bewegt dieser sich.

„Für die Beschäftigung mit diesem Spiel soll es dann noch eine Belohnung in Form von besonders schmackhaftem Extrafutter geben“, erzählt Dr. Laura Marie Kliche. Sie koordiniert das Verbundprojekt beim in Vechta ansässigen „Verbund Transformationsforschung agrar Niedersachsen“.

Das Beschäftigungssystem soll immer dann aktiviert werden, wenn bei den Tieren Frust oder Langeweile drohen. Um das vorhersagen zu können, müssen eine ganze Reihe von Sensoren verschiedene Informationen aus dem Stall liefern.

Neuartige Sensoren und Erfassungssysteme

Smart-Pig-Hennig-Pauka

Dazu gehören nicht nur klassische Sensoren für Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Helligkeit oder auch den Ammoniakgehalt der Stallluft. „Hinzu kommen neue Erfassungssysteme, die die Tieraktivität, Tierlaute oder auch das Liegeverhalten erfassen“, so Prof. Dr. Isabel Hennig-Pauka. Sie ist Leiterin der Außenstelle für Epidemiologie Bakum der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) Hannover. Die TiHo ist hiermit und mit dem Institut für Tierernährung einer der Projektpartner.

Bei der Erfassung von Tierlauten und Tieraktivitäten sowie deren Interpretation betreibt das Projekt „SmartPigHome“ Grundlagenforschung. Hierfür werden zum einen in einem Stall der TiHo Wahlversuche mit Aufzuchtferkeln durchgeführt: „Welche Farben bevorzugen die Tiere, wie hell oder dunkel sollten Lichtobjekte sein, damit Schweine sie interessant finden?“, nennt Hennig-Pauka zwei der Fragestellungen, die in den Versuchen beantwortet werden sollen.

Aktivitäten und Laute interpretieren

Zum anderen befasst sich Vetvise, ein ebenfalls am Projekt beteiligtes Start-up-Unternehmen aus Hannover, mit dem Aktivitätsverhalten der Tiere. Dazu sind hochauflösende Videokameras im Versuchsstall installiert.

Um – irgendwann – Algorithmen zur Bewertung der Aktivität im Stall zur Verfügung zu haben, müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Vetvise zunächst einmal viele Stunden Videos aus dem Stall anschauen. Ziel ist es, sogenannte Aktivitätsmarker zu identifizieren, die auf das Verhalten der Tiere schließen lassen und für die Programmierung der Algorithmen verwendet werden können.

Herausforderung: Die Daten verknüpfen

Das Pendant zu Vetvise ist das Fraunhofer Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren mit dem Schwerpunkt Lautäußerungen. „Zwar ist bekannt, dass es beim Schwein verschiedene Lautäußerungen gibt, aber bei der Interpretation steckt man auch erst in den Anfängen“, sagt Hennig-Pauka. 

Hohe schrille Töne bedeuten eher negative Empfindungen wie Stress, Schmerzen oder Ärger, während tiefe (Grunz-)Laute tendenziell Wohlbefinden oder Entspanntheit ausdrücken. Das alles muss aber noch detaillierter erforscht werden, um auch hier messbare Kriterien zur Beurteilung der Lautäußerungen zu entwickeln.

„Die Herausforderung besteht dann darin, all die gesammelten Daten aus dem Stall miteinander zu verknüpfen und zusammenhängend zu interpretieren“, fasst Dr. Laura-Marie Kliche zusammen. Hier kommt Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz. Sie soll aus der fortlaufend optimierten Interpretation aller Daten eine aktive Steuerung der Stallumgebung möglich machen.

Eine einfache Variante dieser Steuerung wäre: Die Tiere liegen sehr eng zusammen, folglich ist es zu kalt im Stall und die Temperatur muss erhöht werden. Eine anspruchsvolle Variante könnte folgendermaßen aussehen: Die Tiere sind sehr aktiv und quieken viel, was auf Stress hinweist. Deshalb wird das anfangs genannte Ballspiel aktiviert, um die Schweine abzulenken.

Kein Ersatz für den Mensch im Stall

Sowohl Dr. Kliche als auch Prof. Dr. Hennig-Pauka betonen, dass ein solches umfassendes intelligentes Stallsystem nicht den Tierbetreuer oder die Tierbetreuerin ersetzen soll, sondern lediglich Hilfestellung und Unterstützung geben kann. Kein Tierhalter kann 24 Stunden im Stall sein, um die Tiere zu beobachten und zu schauen, ob sich Probleme anbahnen. Genau das soll aber das intelligente Stallsystem können.

Die Projektlaufzeit von „SmartPigHome“ beträgt drei Jahre, der Start war im November 2021. Ist also in knapp zwei Jahren mit einem praxisreifen System zu rechnen? Prof. Hennig-Pauka erklärt dazu: „Das können wir noch nicht abschätzen. Die eigentliche Herausforderung ist die technische Seite, also der Datentransfer und die Verknüpfung der Systeme. Sagen können wir aber schon, dass es eher eine Art Roboter geben wird, der durch den Stall fährt. Die nötige Technik an der Stalldecke, etwa auf einem Schienensystem zu installieren, scheitert in der Praxis daran, dass dort Fütterungs- und Tränketechnik et cetera im Weg sind.“

Das Projekt „SmartPigHome“ wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Rahmen des Bundesprogramms „Nutztierhaltung“ unterstützt. Weiterer Projektpartner ist die Peter Kenkel GmbH, Cappeln, die den im Text beschriebenen Beamer entwickelt.