Die Digitalisierung im Schweinestall schreitet voran. Zwar wird es noch einige Jahre dauern, bis ausgereifte Farmmanagementsysteme Einzug in die Praxis halten werden. Doch bereits jetzt kann man z. B. Schwanzbeißen entgegenwirken, indem man gezielte Videoanalysen von Problembuchten macht. Um die Digitalisierung im Schweinestall ging es in einem Webseminar vom Netzwerk Fokus Tierwohl. Dort berichtete Tierarzt Dr. Franz Lappe (Vivet Ihre Tiermediziner GmbH) über seinen Erfahrungen bei der Bildauswertung von Kameras. Diese setzt er zur Ursachenermittlung für Caudophagie (Schwanzbeißen) ein. Caudophagie kann in allen Altersstufen bei Schweinen auftreten. Am häufigsten kommt es jedoch in der Vormast zum Beißgeschehen. Die Ursachen können in der Haltung, Fütterung, Genetik oder Gesundheit zu finden sein. In sehr vielen Untersuchungen/Projekten wurde nach den Auslösern für Schwanz- oder Ohrbeißen gesucht, doch es konnte nie die eine Ursache ermittelt werden.
Tiere per Video im Blick
Lappe wollte sich nach eigener Aussage nie mit dem Auftreten von Schwanzbeißen abfinden. Er suchte nach einer Lösung, diesbezügliche Probleme in den Betrieben aufzudecken. Das Verhalten von Schweinen ändert sich schlagartig, wenn jemand den Stall betritt. Die Tiere beobachten die hereinkommende Person und sind abgelenkt. Also beschaffte sich der Tierarzt eine Kamera, um das „normale“ Verhalten der Tiere über mehrere Stunden beobachten zu können.
Bei der Durchsicht der Videoaufnahmen fielen ihm drei unterschiedliche Beißformen auf. Zum einen das zweistufige Beißen, bei dem die Schweine Erkundungs- und Wühlverhalten zeigen, welches in Beißen mündet. Zum anderen das plötzliche Beißen, welches häufig vorkommt, wenn die Ressourcen knapp sind. Und zu guter Letzt das obsessive Beißen. Hier kommt es ohne offensichtlichen Grund zu Caudophagie. Die Videoaufnahmen wertet Lappe noch händisch aus, was viel Zeit kostet. Er sieht sich hauptsächlich die Sequenzen an, in denen die Tiere aktiv sind. Ist der Zeitpunkt, an dem es zum Beißen kommt, identifiziert, beginnt die Ursachenforschung im Stall.
Auf Anzahl der Fressplätze achten
Laut Lappe tritt das Schwanzbeißen in einigen seiner betreuten Betriebe während oder kurz vor bzw. nach der Fütterung auf. Ist dies der Fall, sollte überprüft werden, ob genug Fressplätze vorhanden sind und ob das Flüssigfutter zu stark verdünnt ist. Tritt Schwanzbeißen immer wieder während des Tages auf und die Tiere koten mittig in die Bucht, kann der Luftstrom für sie unangenehm sein.
Ein weiterer Punkt, den er beobachtete, ist, dass die Tiere das Futter teilweise zu schnell aufnehmen, sodass es im Magen nicht vorverdaut werden kann. Das unverdaute Futter gelangt dann in den Dünndarm, wo die Nährstoffe nicht mehr aufgeschlossen werden können. Somit gehen viele Nährstoffe verloren, die Tiere sind unterversorgt.
Damit Tierhalter mit Caudophagie-Problemen die Ursachen selbst erkennen können, schneidet Lappe für sie immer einen Film mit den betreffenden Stellen zusammen. So können die Tierhalter die Bilder selbst analysieren. Sie verstehen besser, was im Stall verändert werden muss, damit die Tiere zufriedener sind. Der Tierarzt betonte, dass Caudophagie immer auf einen Mangel an Wohlbefinden hindeutet. Doch wo der Mangel liegt, muss von Stall zu Stall untersucht werden.
Frühwarnsysteme
Digitale Systeme, die gerade entwickelt und erprobt werden, sollen Landwirte bei der täglichen Tierkontrolle unterstützen, diese aber nicht ersetzen. Das betonte Dr. Marc Alexander Lieboldt von der LWK Niedersachsen. Sensoren und Techniken sollen kontinuierlich die Ist-Situation im Stall erfassen und überwachen, wenn der Landwirt nicht im Stall ist. Durch Frühwarnmeldungen bei Abweichungen sollen Erkrankungen, Verhaltensauffälligkeiten oder Leistungsveränderungen früher erkannt werden. Daten, die erfasst werden, sind z.B. die Geräuschmuster, die Luftzusammensetzung und die Aktivität der Tiere. Generell werden laut Lieboldt Systeme für folgende Bereiche entwickelt:
- Rauscheerkennung,
- Geburtsüberwachung,
- Tierverhalten,
- Körpergewicht/-kondition,
- Aktivität, Lahmheit,
- Selektion,
- Lokalisation, Zählen,
- Vokalisation,
- Wasserversorgung.
Ziel ist, die im Stall erfassten Daten zu verknüpfen und auszuwerten, sodass dem Landwirt eine Handlungsempfehlung gegeben werden kann. „Daran wird momentan noch gearbeitet“, berichtete Lieboldt. Die Systeme und Sensoren müssen noch das komplexe Verhalten der Schweine erlernen, bevor sie einsatzfähig sind.