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Tierhaltung

Schweine: Mit Herdentieren stressarm umgehen

Die Zahl der in Deutschland gehaltenen Schweine sinkt weiter. Mittlerweile gibt es noch 20,7 Mio. Schweine.
Leonie Jost
am Freitag, 21.04.2023 - 13:33

Völlig stressfrei wird die tägliche Arbeit mit Schweinen wohl nie werden. Aber es gibt Möglichkeiten, um den Stress zu reduzieren.

Meistens soll es schnell gehen: beim Ein- oder Umstallen, beim Verladen, auch im Schlachthof. Laufen die Tiere nicht so wie geplant, kann das schnell zu Stress bei allen Beteiligten führen. Und das wiederum macht die Situation oft noch schlimmer.

Wie es anders gehen kann, weiß Tierarzt, Genetiker und Verhaltensforscher Ronald Rongen. Der Niederländer beschäftigt sich seit Jahrzehnten damit, wie unsere Nutztiere eigentlich so ticken. „Low Stress Stockmanship“ – also stressarmer Umgang mit Herdentieren – heißt die Methode, nach der er arbeitet und die er in Vorträgen und Schulungen an Praktiker weitergibt. So auch vergangen Woche bei der Versuchsstation der Landwirtschaftskammer Niedersachsen in Wehnen.

Oft kommt es auf die Details an

Meistens seien es nur Kleinigkeiten, sagt Rongen, warum es im Betriebsalltag nicht so läuft wie es eigentlich sollte. Oft gehe es dabei um kleine, bezahlbare Details, die aber zu großen Veränderungen führen können. „Gehen Sie mal auf der Höhe eines Schweines durch den Stall, durch die Gänge und auf einen LKW“, war Rongens erster Tipp. „Sie werden sich wundern, was Sie dabei alles entdecken.“ Denn aus der Tierperspektive sieht die Welt plötzlich ganz anders aus. Da ist ein rechtwinklig abknickender Stallgang auf einmal eine Sackgasse, ein Treibebrett eine Wand und zwei Menschenbeine ein leicht zu umschiffendes Hindernis.

Er wundere sich, so Ronald Rongen, wie oft in der Tierhaltung Probleme einfach akzeptiert werden. „Zum Beispiel immer dieselbe Stelle, an der die Schweine nicht vorbei wollen. Warum stellt sich da keiner die Frage: Warum läuft das nicht?“

Schweine hören besser als Menschen

Um diese Frage beantworten zu können, sei es wichtig, zu wissen, wie Tiere ihre Umwelt überhaupt wahrnehmen. Denn das, so Rongen, tun sie ganz anders als wir Menschen. So verlassen sich Schweine zum Beispiel in erster Instanz auf ihr Gehör. Und gerade hohe Töne wirken auf Schweine wie ein Alarmsignal. Wer mit diesem Wissen aufmerksam durch den Arbeitsalltag geht, kann Stressquellen für seine Tiere oft schnell beseitigen. Wie zum Beispiel das Geräusch von Metall auf Metall. „Viele solcher Stressoren lassen sich mit einfachen Mitteln beseitigen“, sagt Ronald Rongen. Mit einem Stück Gartenschlauch oder alten Matten. „Werden sie kreativ, dann werden ihre Tiere sofort ruhiger.“ Ebenfalls schnell zu beheben sind quietschende Türen. Eine weitere, oft unterschätzte Stressquelle für Tiere ist ein lautes Radio. „Musik bei der Arbeit ist für uns natürlich schön“, so Rongen. „Für Schweine jedoch bedeutet das massiver Stress.“

Auch der Sehsinn funktioniert bei Schweinen ein bisschen anders als bei uns Menschen. So brauchen die Tiere acht bis zehn Mal länger, um sich an veränderte Lichtverhältnisse anzupassen. „Wenn sie ihre Tiere im Sommer vom dunklen Stall auf eine grelle Verladerampe treiben wollen, dann lassen Sie ihnen Zeit“, sagt Rongen.

Aber gerade das, den Schweinen genügend Zeit lassen, falle vielen Menschen schwer. „Es geht nicht automatisch schneller, wenn wir den Tieren mehr Druck machen“, sagt Rongen. Im Gegenteil. Mit Ruhe und Gelassenheit gehe es oft viel schneller.

Es sollte auch berücksichtigt werden, dass Schweine neugierige und intelligente Tiere sind und Neues und Unbekanntes ausgiebig erkunden wollen. Dafür müssen sie jedoch stehen bleiben – denn gehen und gleichzeitig erkunden, das klappt nicht. „Nehmen Sie sich daher im Vorfeld etwas Zeit um Störquellen zu beseitigen, wenn Sie Ihre Tiere von A nach B treiben wollen“, sagt Rongen. Eine Schaufel, die an der Wand lehnt, ist schnell verräumt. Ein Gullideckel, der die Tiere ablenkt und aufhält, kann mit Sägespänen überdeckt werden. Ebenso wie unterschiedliche Bodenbeläge, denn auch die können den Herdenfluss unterbrechen.

Die Neugierde der Tiere nicht unterschätzen

„Das macht natürlich erst einmal Arbeit“, sagt Rongen. „Am Ende geht es aber trotzdem oft schneller.“ Denn wenn die vorderen Tiere erst einmal stehen bleiben, um den ungewohnten Boden zu erkunden, kommt es schnell zum Stau. Die nachfolgenden Tiere drehen sich um, wollen wieder zurücklaufen und schon ist der Stress da.

In solchen Momenten sei es wichtig, nicht zu viel Druck auf die Herde auszuüben. „Lassen Sie die Tiere einen Moment in Ruhe“, sagt Rongen. „Warten sie ab. Die sortieren sich von selbst.“ Hilfreich sei es auch, nicht zu große Gruppen umzutreiben, sondern jedem einzelnen Tier ausreichend Platz zu lassen.

„Wer das Herdenverhalten von Tieren kennt, kann sich das im Arbeitsalltag zunutze machen“, sagt Rongen. Vor allem beim Separieren eines Einzeltieres, kann das hilfreich sein. Nur ein einziges Tier von der Herde wegzutreiben, das macht eigentlich der Wolf. Und das mache den Tieren Angst, so Rongen. Unkomplizierter sei es daher, wenn im ersten Schritt zum Beispiel drei Tiere separiert werden und anschließend zwei Tiere wieder zurückgetrieben werden. „Auch das macht auf den ersten Blick zwar mehr Arbeit, geht aber oft schneller und ruhiger, als wenn ich minutenlang, mit steigendem Stresspegel, versuche ein einzelnes Tier von seiner Herde zu trennen.“

„Wir müssen die Spielregeln der Tiere kennen und beachten. Es ist für mich uwnd meine Tiere besser und sicherer, wenn ich langsam und besonnen mit ihnen umgehe. Deshalb sage ich den Landwirten immer: Mach langsam, wir haben keine Zeit.“

Das Seminar fand im Rahmen des Projektes Netzwerk Fokus Tierwohl statt.

  • Scheinbare Kleinigkeiten machen meist einen großen Unterschied.

  • Schweine hören sehr viel besser als wir Menschen.

  • Laute und hohe Geräusche machen Tieren viel Stress.

  • Vor allem beim Wechsel von Licht und Schatten brauchen Schweine ausreichend Zeit zur Anpassung.

  • Mehr Aufwand bedeutet am Ende oft ein schnelleres Arbeiten.

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