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Fleck- und Braunvieh

Rinder: Neues Verfahren zur Zuchtwertschätzung

Dr. Reiner Emmerling, Prof. Kay-Uwe Götz, LfL Tierzucht, Grub
am Donnerstag, 15.04.2021 - 16:30

Single-Step heißt das neue Berechnungsverfahren zur Zuchtwertschätzung. Was ändert sich nun bei der Typisierung, welche Merkmale fallen mehr ins Gewicht und was bedeutet die Umstellung für die Fleckvieh- und Braunviehzüchter?

Zucht

Mit der Publikation der Zuchtwerte im April wird in der Zuchtwertschätzung beim Rind ein neues Zeitalter eingeläutet. Für über 50 verschiedene Merkmale in insgesamt zehn Merkmalskomplexen wurden die Verfahren zur Zuchtwertschätzung auf das sogenannte Single-Step-Verfahren bei den Rassen Fleckvieh und Braunvieh umgestellt. Die Bedeutung für die Rinderzuchtsparte ist enorm. Denn die Zuchtwerte sind die Grundlage für die Selektion im Rahmen der in Bayern flächendeckend durchgeführten Zuchtprogramme, sowie für die Vermarktung von Sperma und Zuchttieren. Somit haben die aktuellen Änderungen ebenfalls Einfluss auf die komplette Wertschöpfung der bayerischen Rinderzuchtbetriebe und -organisationen.

Die Genauigkeit der Vorhersagen verbessert

Ein elfköpfiges internationales Wissenschaftlerteam hat mehr als zwei Jahre an der Entwicklung der Methode und dem Aufbau der Routineverfahren gearbeitet. Die neue Methode bringt eine erhebliche Verbesserung der Vorhersagegenauigkeit für die genetischen Eigenschaften von jungen und sehr jungen Tieren und ermöglicht somit mehr Zuchtfortschritt in kürzerer Zeit. Das ist besonders wichtig, um bei Gesundheits- und Fitnessmerkmalen effektiv züchten zu können, aber auch, um entscheidende Zukunftsmerkmale wie Nährstoffeffizienz, Klauengesundheit, Tierverhalten oder Kälberkrankheiten züchterisch bearbeiten und in die Zuchtziele integrieren zu können.

Die Schätzung der Vererbungsleistung von Zuchtrindern ist schon immer eine Herausforderung für Wissenschaftler und Computer gewesen. Ein ganzes Cluster von Hochleistungsrechnern verarbeitet hierzu die Daten von mehr als 30 Mio. Tieren und die Genominformationen von einigen hunderttausend Tieren gemeinsam zu hochwertigen Voraussagen. Die Rechenstellen in Poing-Grub, Stuttgart-Kornwestheim und Wien führen die Zuchtwertschätzungen für Deutschland, Österreich, Tschechien und die Slowakei gemeinsam durch. Dabei hat sich jede Rechenstelle auf bestimmte Eigenschaften spezialisiert. Die Entscheidungen zur Weiterentwicklung der Zuchtwertschätzung werden gemeinsam mit den Dachverbänden der Rinderzucht in Deutschland, Österreich und Tschechien getroffen.

Was ist nun beim Single-Step-Verfahren konkret anders?

Es berücksichtigt in vollumfänglichen Schätzläufen alle vorhandenen Informationen zu den einzelnen Tieren (Phänotyp-, Pedigree- und Genomdaten), während bei den bisherigen Vorgehensweisen in einer Lernstichprobe schwerpunktmäßig die Informationen von töchtergeprüften Bullen verwendet wurden. Mit dem neuen Verfahren können dagegen alle genotypisierten Tiere, die Eigenleistung und/oder Nachkommenleistungen haben, zur Kopplung von Phänotyp- und Genotypinformationen genutzt werden. Die Zuchtwertschätzung wird dadurch wesentlich genauer.

Damit ist ein wichtiger Schritt erfolgt, um die im Rahmen der in Bayern durchgeführten Kuhlernstichprobenprojekte Braunvieh-Vision und FleQS (Fleckvieh Kuh(Q)-Lernstichprobe) genotypisierten Tiere optimal zu verwerten. Die Anzahl der in Single-Step einbezogenen Genotypen von Tieren mit Eigenleistungen liegt aktuell beim Fleckvieh/Braunvieh zwischen 36 000/12 409 (Mastitis) und 285 000/53 237 (Vitalitätswert). Hinzu kommen die Bullen mit Nachkommenleistungen.

Genotypisierung der Kühe wird immer wichtiger

Die neuen Verfahren erzielen für alle typisierten Tiere höhere Zuchtwert(ZW)-Sicherheiten, da nun wesentlich mehr Informationen für die Vorhersage genutzt werden. Besonders stark profitieren Bullen, bei denen viele genotypisierte Töchter mit Leistungen vorliegen, aber auch alle verwandten Tiere erzielen höhere ZW-Sicherheiten. Das gilt insbesondere für alle genotypisierten Kühe, die mit dem neuen Verfahren deutlich sicherere ZW bekommen. Damit werden die Selektionsentscheidungen im Betrieb deutlich zuverlässiger, vor allem wenn auch alle weiblichen Jungtiere künftig genotypisiert werden.

Für direkte Gesundheitsmerkmale (frühe Fruchtbarkeitsstörungen, Zysten und Mastitis) gab es bisher keine Genomzuchtwerte, da noch zu wenige Altbullen ausreichende Töchterinformationen aufwiesen. Durch das direkte Berücksichtigen von typisierten Kühen auf Betrieben, die am Gesundheitsmonitoring ProGesund des LKV Bayern teilnehmen, stehen mit Single-Step jetzt erheblich sicherere ZW für diese Merkmale zur Verfügung.

Große, aber wichtige Umstellung für Züchter

Die Einführung von Single-Step stellt eine der massivsten Umstellungen in der Zuchtwertschätzung der letzten Jahrzehnte dar. ZW-Änderungen betreffen verstärkt junge Jahrgänge und können durchaus zehn ZW-Punkte und mehr betragen. Da praktisch jedes Merkmal von der Umstellung betroffen ist, sind die Auswirkungen auf den Gesamtzuchtwert erheblich.

Die Single-Step-Verfahren haben bereits mit der erfolgreichen Einführung bei den Exterieurmerkmalen beim Fleckvieh im August 2019 Einzug gehalten. Die jetzige komplette Umstellung bei Fleckvieh und Braunvieh wird begleitet von den großen Kuh-Genotypisierungsprojekten. Die finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand (StMELF und Rentenbank), der Zucht- und Besamungsorganisationen, aber auch das aktive Mitwirken der an den Projekten beteiligten Betriebe führt zu einer neuen Qualität beim Bearbeiten von Gesundheits- und bisherigen Kernmerkmalen in der Fleck- und Braunviehzucht. Die Single-Step-ZWS verwertet die gewonnen Daten und liefert als Ergebnis das züchterische Standardwerkzeug, das den Züchtern und Zuchtorganisationen weiterhin eine Zucht auf leistungsstarke, gesunde und robuste Kühe ermöglicht.

Zur Datenbank geht es hier: LKV Bayern und ZAR