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Pferd

Pferdehaltung: Füttern mit Zeitsteuerung

Gutes und schlechtes Beispiel: Die Pferde auf dem oberen Bild fühlen sich in der Gruppe wohl und fressen entspannt in der Gruppe. Dagegen haben die Pferde auf dem unteren Bild eine zu geringe Individualdistanz, weshalb es zu Streit kommt. Hier bräuchte man dringend mehr Fressplätze.
Gisela Ehret
am Freitag, 07.04.2023 - 08:37

Beim Füttern mit Zeitsteuerung gilt: Je mehr Fressplätze pro Tier zur Verfügung stehen, desto weniger Stress und Aggressionen treten auf. Was vielen Pferdebesitzern bereits bekannt ist, wird nun durch eine neue Studie bewiesen.

Füttern Pferd

Heuraufen mit zeitgesteuerter Öffnung bringen viele Vorteile für Mensch und Tier. Man kann die Heuaufnahme auf viele kleine Portionen am Tag verteilen. Lange Fresspausen werden vermieden, was der natürlichen Ernährung am nächsten kommt und Verdauungsproblemen vorbeugt. Entgegen der Ad-libitum-Fütterung wird der Zugang zu Futter begrenzt, das Körpergewicht kann so besser kontrolliert werden.

Das Futter muss nicht mehrmals täglich vorgelegt werden, sondern liegt in Großraufen auf Vorrat. In Gruppenhaltungen sind diese Systeme daher beliebt. An zeitgesteuerten Großraum-Heuraufen können viele Pferde gleichzeitig und damit gemeinsam fressen.

Kaum Vorgaben

In der Praxis bringen zeitgesteuerte Heuraufen aber häufig Probleme, weil zu wenige Fressplätze vorhanden sind. „Wir sehen überwiegend Raufen mit 20 bis 50 Prozent mehr Durchlässen als Pferde“, berichtet Dr. Miriam Baumgartner, Wissenschaftlerin beim Schweizer Nationalgestüt, Agroscope. Das entspricht einem Tier-Fressplatz-Verhältnis von 1 : 1 bis 1 : 1,5.

Ihrer Erfahrung nach orientieren sich Stallbesitzer aktuell vor allem an den Herstellerangaben. Andere Vorgaben gibt es nicht – in den Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten des Bundeslandwirtschaftsministeriums wird lediglich gefordert, dass jedes Pferd jederzeit Zugang zu einem Fressplatz haben muss. Für Abrufautomaten gelten noch einmal andere Richtlinien – hier muss eine zusätzliche Raufutteraufnahme ermöglicht werden, weil die Pferde nicht dauerhaft und synchron fressen können. Das wird z. B. über zusätzliche Strohraufen erreicht.

Natürliche Individualdistanz zwischen Pferden beachten

Die natürliche Individualdistanz zwischen Pferden kann mehrere Meter betragen, je nach Verträglichkeit und Futterverfügbarkeit. Ponys haben in der Regel geringere Individualdistanzen als Großpferde. Zuchtstuten, die sich lange kennen, haben geringere Individualdistanzen als Pensionstiere in einem Stall mit häufigem Pferdewechsel. Kommen neue Pferde in die Herde, ist die Situation angespannter – das ist ganz normal. „Kommen aber ständig neue Pferde dazu, ist die Situation dementsprechend auch fast immer angespannt“, erklärt Baumgartner. Dann ist die Individualdistanz zwischen den Pferden dauerhaft auf einem hohen Niveau.

Diese darf nur unterschritten werden, wenn die Abtrennungen zwischen den Pferden beim Fressen hoch sind und gleichzeitig Sichtschutz bieten. So sind z. B. bei Fressständen für die Einzelfütterung 80 cm Breite pro Fressplatz üblich. Bei zeitgesteuerten Heuraufen gibt es aber in der Regel nur Gitterabtrennungen, durch welche die Pferde die Köpfe in die Raufe stecken und ihren Fressnachbarn weiterhin drohen können. Dort muss man den Pferden also deutlich mehr Platz einräumen. Wie viel Platz genau, dazu gibt es keine Empfehlung.

Tier-Fressplatz-Verhältnis (TFV) unter die Lupe genommen

Welches Tier-Fressplatz-Verhältnis (TFV) notwendig ist, haben Baumgartner und Wissenschaftler des Schweizer Agroscope-Forschungsstandort Avenches sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Technischen Universität München nun genau unter die Lupe genommen. Die Untersuchungen fanden in einem Aktivstall mit 28 Stuten und Wallachen, unterschiedlichen Alters, statt. Die Pferde hatten, mit Ausnahme einer Nachtpause von sieben Stunden, im Zwei-Stunden-Rhythmus Zugang zu Heu für jeweils eine knappe halbe Stunde. Zusätzlich gab es Stroh ad libitum. Untersucht wurden die TFV 1 : 1,2, 1 : 2 und 1 : 3. Zusätzlich gab es eine Kontrollbehandlung. Dafür wurden Pferde am Putzplatz nebeneinander angebunden gefüttert. Jedes Pferd hatte ein eigenes Heunetz, sie standen in vertrauter Umgebung und mit Artgenossen in der Nähe.

Um die verschiedenen TFV an den Raufen herzustellen, wurden jeweils 2, 12 oder 18 Pferde aus der Gruppe herausgenommen. In den darauffolgenden Verhaltensbeobachtungen während der Fressphase stellten die Wissenschaftler fest, dass die Anzahl von aggressiven Verhaltensweisen mit geringem Verletzungsrisiko wie Drohgebärden stark vom TFV abhängt. Diese Verhaltensweisen nahmen ab, je mehr Fressplätze verfügbar waren.

Weniger Streit und Stress

Die aggressiven Verhaltensweisen mit hohem Verletzungsrisiko wie Beißen und Treten traten sogar ausschließlich in den beiden Versuchsdurchgängen mit niedrigem TFV von 1 : 1,2 und 1 : 2 auf. Bei TFV 1 : 3 und in der Kontrollgruppe kamen sie nicht vor. Daraus folgern die Wissenschaftler, dass Pferde sich weniger aggressiv verhalten, wenn die Anzahl an Fressplätzen die Anzahl an Pferden deutlich übersteigt.

Zusätzlich zu den Verhaltensbeobachtungen maßen die Forscher den Cortisol-Spiegel im Speichel der Pferde vor und während der Fütterung. Denn das Hormon dient als physiologischer Indikator für Stress. Sie fanden heraus, dass die Cortisol-Konzentration zu Beginn des Fressens am höchsten war und dann stärker abnahm, je größer das TFV war. Besonders bei einem TFV von 1 : 3 war dieser Effekt stark zu beobachten. Dabei spielte es keine Rolle, an welcher Stelle die Pferde in der Rangordnung standen.

Hohes Verletzungsrisiko

Insgesamt kann ein großzügigeres TFV also Schaden und Leiden vermeiden, so das Team. Mindestens dreimal so viele Fressplätze wie Pferde seien notwendig, um die Individualdistanz zwischen den Pferden zu gewährleisten. Um die Ergebnisse zu bestätigen, empfiehlt das Team weitere Studien. „Idealerweise braucht es mindestens zehn Betrieben im Vergleich, weil so viele unterschiedliche Einflussfaktoren eine Rolle spielen“, betont Baumgartner. Gruppenzusammensetzung, Rasse, Anordnung der Raufen, Fresszeiten und vieles andere können aggressive Verhaltensweisen und Stress ebenso beeinflussen wie das TFV. Dennoch findet Sie: „Die Studie liefert einen deutlichen Hinweis darauf, dass das, was in der Praxis angeboten wird, nicht tiergerecht ist. Wenn man sich ansieht, wie sich Pferde an der Raufe ihren Platz erkämpfen müssen, ist es kein Wunder, dass dabei viele Verletzungen entstehen.“

Das Verhalten der Pferde ist der wichtigste Indikator dafür, ob die Situation an der Heuraufe in Ordnung ist. Dass sich die Pferde in den ersten zwei bis drei Minuten nach Öffnung der Raufe an den Fressplätzen sortieren müssen, ist normal. Gehen sie entspannt hin, suchen sich ihren Durchlass und drohen maximal mit leichten Gesten, ist alles in Ordnung. Dauert das „Sortieren“ aber deutlich länger und gibt es aggressive Verhaltensweisen mit hohem Verletzungsrisiko, sollte man genauer hinschauen. Da Pferde den größten Teil des Tages mit Fressen zubringen, ist die Fütterung der wichtigste Bereich in der Gruppenhaltung, den es zu optimieren gilt.

Wenn die Ursache in einem zu engen TFV liegt, muss entweder eine zusätzliche zeitgesteuerte Heuraufe her, oder es muss die Tierzahl verringert werden. Auch über Selektionsbereiche, in denen nur rangniedrige, ältere oder zu dünne Pferde eine Heuraufe für sich haben, kann man die Situation entschärfen. Zusätzliche Abrufautomaten mit transpondergesteuertem Heuzugang können denselben Zweck erfüllen. Hier muss man allerdings darauf achten, dass nicht zu vielen Pferden der Bereich zugestanden wird, damit nicht im Selektionsbereich der gleiche Kampf um die Ressourcen auftritt.

Unter Umständen können auch zusätzliche Strohraufen die Situation entspannen. Allerdings werden diese nach Baumgartners Erfahrung links liegen gelassen, sobald die Raufen aufgehen. Generell mahnt Baumgartner, alle zusätzlichen Fressplätze nicht zu weit von den übrigen Heuraufen entfernt zu platzieren, da sie sonst nicht gut frequentiert werden: „Pferde möchten bei der Gruppe bleiben und gemeinsam fressen.“

Der Teufel im Detail

Was aber tun, wenn das TFV zwar großzügig ist, die Pferde aber nicht alle Fressplätze nutzen? Oft beobachten Stallbetreiber, dass sich der Großteil der Herde um eine einzige Raufe drängt, während die übrigen Raufen kaum oder gar nicht genutzt werden. Baumgartner vermutet, dass hier die Heuqualitäten der einzelnen Ballen variieren. Zudem schmeckt das frisch aufgefüllte Futter vielleicht besser als das, das schon einige Tage in der Raufe liegt. Auch die Füllmenge der Raufe kann entscheidend sein – frisch aufgefüllte Raufen ermöglichen eine einfachere Futteraufnahme vor allem bei Heunetzen.

Wenn die Pferde also eine Raufe präferieren, sollte das nicht zu dem Trugschluss führen, die anderen Raufen seien überflüssig und man könne sie einsparen, sondern im Gegenteil: Mehr Heuraufen ermöglichen auch den rangniederen Pferden, an einer Raufe jederzeit ungestört zu fressen, während der Rest der Herde um die andere Raufe drängelt. „Das ist auch in der Natur so“, erklärt Baumgartner: „Das beste Gras bekommen die Dominanten.“ Will man erreichen, dass sich die Pferde besser an alle angebotenen Fressplätze verteilen, kann man versuchen, das Heu unter den Raufen mehr zu durchmischen und die Ballen möglichst zeitgleich auszutauschen.

Raufen gleichmäßig befüllen

Problematisch findet sie es, wenn Raufen längere Zeit leer stehen oder in länglichen Raufen nur eine Seite befüllt ist. „Wenn bei der Hälfte der Durchlässe das Futter überhaupt nicht zu erreichen ist, haben nicht alle Pferde Zugang zu Futter. Das verändert das TFV enorm.“

„Kommt die Situation gar nicht zur Ruhe, kann man meist schon die Pferde ausmachen, die sich nicht vertragen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Dann muss man zur Not auch mal ein Pferd aus der Gruppe rausnehmen.“ Oft passt in Ställen die Infrastruktur, aber es mangelt am richtigen Management. So kann z. B. die Gruppenzusammensetzung nicht passen. Kommt man selbst nicht weiter, kann es Sinn machen, sich Hilfe zu holen – z. B. mit BestTUPferd, dem Beratungstool aus den Händen von Baumgartner und ihrem Team, das demnächst auf den Markt kommen soll (www.besttupferd.de).

Auf eine ad libitum-Fütterung lasse sich diese Studie nicht übertragen, so Miriam Baumgartner. Dazu brauche es ebenfalls noch Forschung. Tendenziell sei die Situation bei der ad libitum-Fütterung entspannter, aber auch hier könne es vorkommen, dass dominante Pferde mehrere Fressplätze blockieren und dadurch die rangniederen Pferde nicht an die Heuraufen gelangen. Auch bei ad libitum-Fütterung kann man daher nach Baumgartners Ansicht das Tier-Fressplatz-Verhältnis von 1 : 1 auf keinen Fall als ausreichend ansehen.