Die Kuh kalbt – doch die heikle Zeit beginnt schon weit vor der Kalbung. Denn schon zum Trockenstellen ist die Aufmerksamkeit des Landwirts gefragt. „Stress in welcher Form auch immer wirkt sich nicht nur negativ auf das Muttertier aus, sondern natürlich auch auf die ungeborenen Kälber“, macht Johannes Kraus, Kälberexperte aus Triesdorf, zu Beginn des ersten Praxisinfotages der Bayerischen Staatsgüter (BaySG) in Grub deutlich.

Man wisse inzwischen viel mehr über die Zusammenhänge rund um die Geburt, als das noch vor Jahren der Fall war. Darum, sagte Kraus, sei man, wider des zeitweisen Trends des Durchmelkens an den Lehranstalten in Triesdorf dazu zurückgekehrt, den Kühen eine siebenwöchige Regenerationsphase zu gönnen (zwillingsträchtige Kühe + zwei Wochen).
„Diese Zeit brauchen sie einfach: zur Euterrückbildung, zur Vorbereitung auf die Geburt und die neue Laktation sowie zur Bildung eines qualitativ einwandfreien Kolostrums, also der ersten Biestmilch mit den lebensnotwendigen Abwehrstoffen für die neugeborenen Kälber“, macht er deutlich. Und 14 Tage vor der Geburt müsse es eine Kuh schließlich am Besten haben.
Auf vielen Betrieben gebe es bei der Kälberaufzucht noch erhebliches Potenzial nach oben, das belegen Fakten: In Deutschland bekommt der Durchschnitt der Kälber nur 2,6 Liter Biestmilch. Bei 60 % der untersuchten Kälber ist die Versorgung mit Immunglobulinen zu gering. Über 70 % der Betriebe tränken ihren Kälbern in Folge weniger als 8 Liter am Tag. Jedes dritte bis vierte Kalb müsse in der Aufzucht antibiotisch behandelt werden. Und zuletzt setzt die Wahrheit ein trauriges Zeichen, dass im deutschlandweiten Schnitt immer noch jedes zehnte Kalb die Phase der Aufzucht nicht übersteht, aus welchen Gründen auch immer.
Kolostrumversorgung in den ersten Lebensstunden

Daher lohne es sich die Abläufe in der Aufzucht am Betrieb, vor allem bei wechselndem Personal, genau zu überdenken und gegebenenfalls etwas zu verbessern. „Konstanz ist gerade bei den Jüngsten im Stall ganz entscheidend“, betont Kraus. So habe sich beispielsweise ein genauer Tränkeplan, die konsequente Umsetzung der Ad-Libitum-Fütterung und sogenannte Kälberkarten mit den wichtigsten Daten zu jedem Tier in Triesdorf gut bewährt. Kraus konnte bei seiner Tätigkeit als Leiter der Triesdorfer Rinderhaltung über fünf Jahre wertvolle Erfahrung mit dem beschriebenen Tränkesystem sammeln, die er gerne an die Praktiker weitergibt.
„Die wichtigste Maßnahme der gesamten Kälberaufzucht ist und bleibt die Kolostrumversorgung in den ersten Lebensstunden“, ruft der Kälber-Experte nochmals ins Gedächtnis. Diese muss ganz einfach nach folgenden drei Schlagworten erfolgen: Schnell, viel und gut.
„Das Kolostrum ist der beste Impfstoff, vornehmlich der eigenen Mutter, und es gilt den Wettlauf Antikörper gegen Erreger im leeren Darm des Kalbes zu gewinnen“, führt Kraus das Ziel vor Augen. Daher würden zwei Liter Kolostrum-Tränke zu Beginn auch nicht ausreichen. Es müssen mindestens drei Liter sein. „Und wenn ein Kalb aufgrund einer Schwergeburt, Fruchtwasseraspiration oder wegen mangelnden Saugreflexes die notwendige Menge selbst nicht säuft, wird gedrencht. Dann sind wir auf der sicheren Seite“, fordert Kraus.
Qualität des Erstgemelks messen

Da die tatsächliche Qualität des wertvollen Erstgemelks mit bloßem Auge nicht eingeschätzt werden kann und diese auch nicht unbedingt mit der Farbe und Dicke der Milch zusammenhängt, muss sie unbedingt gemessen werden und zwar mit einem sogenannten Brix-Refraktometer oder beispielsweise einem Kolostrocheck. „Das Gerät im Hosentaschenformat kostet gerade mal etwas mehr als 20 Euro, ist beispielsweise im Onlinehandel erhältlich und in der Handhabung denkbar einfach. Eine Investition die sich auf alle Fälle und für jeden Betrieb lohnt. Ein ideales Weihnachtsgeschenk also“, meint Kraus überzeugt und weiter: „Denn nur ein paar Brix mehr und der Laden läuft!“
Die offizielle Empfehlung für die Erstversorgung aus Triesdorf lautet: 150 g lgG, also mindestens drei Liter vom Kolostrum mit mehr als 22 Brix % innerhalb der ersten drei Lebensstunden zu geben. Deckt das Erstgemelk eines Muttertieres mal nicht den Bedarf an Abwehrstoffen für das Kalb ab, aus welchen Gründen auch immer, empfiehlt es sich einen Vorrat an Spitzenkolostrum portioniert eingefroren zu haben. Der könne dann einfach nach Bedarf schonend aufgetaut werden.
Zudem rät Kraus diese erste Tränke stets mit der Flasche einzugeben und ganz besonders auf die Hygiene zu achten. Und es folgt nochmal Kraus’ klare Ansage: „Wenn ein normales Kalb nicht mehr als eineinhalb Liter Kolostrum von sich aus aufnimmt, wird der Rest gedrencht. Alles andere ist einfach zu wenig!“
Biestmilch nicht wegschütten
Biestmilch wegzuschütten ist für ihn nicht nötig, denn jeder Tropfen zählt. Schließlich könne sie auch bei der zweiten und weiteren Mahlzeit noch wertvolle Dienste erweisen oder eben für andere Kälber hergenommen oder eingefroren werden, vorausgesetzt die Qualität passt. Sollte es zu sehr frühen Durchfällen in Zusammenhang mit der Biestmilchgabe kommen, hänge dass meist damit zusammen, dass Blut in der Milch enthalten ist. „Diese Milch gehört nicht vertränkt“, so Kraus.
Auch für die folgende Tränkephase hat Kraus drei Schlagwörter parat, nämlich: mehr, länger, schonender. Dabei orientieren sich moderne Versorgungskonzepte für Kälber am Prinzip der sogenannten „metabolischen Programmierung“. Das bedeutet, dass sich eine optimale Versorgung des Tieres mit Nährstoffen in den ersten Lebenswochen positiv auf dessen Entwicklung und letztlich auch auf die spätere Leistungsbereitschaft auswirkt.
Versorgungslücken sind nur schwer zu schließen

Versorgungslücken können im Nachhinein nur schwer geschlossen bzw. kaum kompensiert werden, wie eine ganze Reihe an Studien eindrucksvoll zeigt. „Eine rationierte Tränke ist immer ein Kampf gegen das Hungergefühl des Kalbes. Der Schuss geht ganz sicher nach hinten los, denn das Tier selbst versucht, durch schnelles Saufen großer Mengen den Hunger wieder loszuwerden“, erklärt der fränkische Fachmann und stuft das Verfahren gerade in der kalten Jahreszeit als äußerst problematisch ein.
Den Kälbern mache Kälte zwar nichts aus, unter 0 °C steigt jedoch ihr Erhaltungsbedarf um 33 % an. Das heißt, sie brauchen 1,5 bis 2 Liter mehr Tränke am Tag, allein um ihre Körpertemperatur aufrecht zu erhalten, Stichwort: Thermoregulation. Verschiedene Versuche belegen deutlich, dass Kälber im Winter immer höhere Tränkemengen zu sich nehmen als im Sommer. Diesen notwendigen Zusatzpuffer bekommen sie allerdings bei der restriktiven Fütterung nicht.
Umstellung auf Ad-Libitum-Tränke
Immer mehr Betriebe stellen deshalb auf das System der Ad-Libitum-Tränke um oder versuchen es zumindest. Auch Johannes Kraus und die Triesdorfer Rinderhalter sind Fans des Ad-Libitum-Verfahrens. „Aber wenn man das machen will, muss man schon voll dahinter sein und vor allem konsequent bleiben, wenn es funktionieren soll“, betont Kraus.
Ansäuern der Tränke
Das Ansäuern der Tränke auf einen pH-Wert von 5,3 hat viele Vorteile. Nach einigen Tränkeversuchen hat sich in Triesdorf die Warmsauertränke mit einer Temperatur von ca. 35 °C in der Praxis am besten bewährt. Die warme Milch wird sehr gerne aufgenommen und durch das Ansäuern findet quasi schon eine Art „Vorverdauung“ statt, was die Tränke für das Kalb bekömmlicher macht.
Den Erfolg der Aufzucht schwarz auf weiß sehen
Entscheidend sei es doch, dass man den Erfolg des Aufzuchtverfahrens schließlich auch auf dem Papier bzw. der Abrechnung, für die Verkaufskälber zum einen und bei der Milchleistung der aufgestellten weiblichen Nachzucht zum anderen, schwarz auf weiß sehen kann. Dazu legt Kraus die letzte Kälbermarktabrechnung des Rinderzuchtverbandes Franken vor und gibt ein kleines Rechenbeispiel: „Bei den männlichen Mastkälbern betrachte ich immer die verkaufte Gruppe. Wenn drei männliche Kälber zusammen in 117 Aufzuchttagen die Gewichte 88 kg, 98 kg und 100 kg zum Markt bringen und ich von einem Geburtsgewicht von 43 kg ausgehe, haben die Tiere im Durchschnitt 1342 Gramm pro Tag zugelegt. Damit kann man zufrieden sein.“ Bei weiblichen Kälbern seien 1200 g/Tag anzustreben. Bei Zunahmen von unter 900 g/Tag werde Potenzial verschenkt.