
Wochenblatt: Warum sehen die Rindergesundheitsdienste in Deutschland Handlungsbedarf, die weitverbreitete Aufzuchtpraxis in der Kälberhaltung nun neu auszurichten?
Lorenz: Eigentlich haben die Rindergesundheitsdienste in ihrer Empfehlung nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte interpretiert. Tatsächlich ist es aber in der Wissenschaft durchaus ungewöhnlich, dass die Ergebnisse vieler Studien so klar sind und einen so breiten Konsens ermöglichen. Als Tierärzte geht es uns zunächst mal darum, die Kälber in den ersten Lebenswochen am Leben und gesund zu erhalten. Dass die Kühe später mehr Milch geben, ist ein zusätzlicher Bonus für den Landwirt. Leider ist es aber so, dass für uns Menschen das Geld, das wir jetzt gerade nicht ausgeben, gefühlt mehr wert ist, als das, das wir in zwei Jahren einnehmen werden. Daher wird es noch viel Überzeugungsarbeit brauchen.
Wochenblatt: Welche praktischen Möglichkeiten der Ansäuerung gibt es für die Betriebe?
Lorenz: Für das Ansäuern der Milch stehen mittlerweile zahlreiche kommerzielle Produkte in flüssiger oder Pulverform zur Verfügung. Die genaue Dosierung, besonders bei kleineren Mengen an Milch, gelingt am besten mit flüssigen Produkten, die man vor der Anwendung nochmal vorverdünnt. Das Ziel ist ein pH-Wert von 5,5. Dies sollte auch regelmäßig überprüft werden, denn bei tieferen Werten leidet die Akzeptanz der Milch bei den Kälbern. Die Milch kann stallwarm vertränkt werden, je wärmer die Milch ist, umso mehr wird sie durch die Säure ausflocken. Hier hilft es auch, die Säure erst mal in einer kleinen Menge kalter Milch aufzulösen.
Man bekommt, was man bezahlt
Wochenblatt: Ist eine Ad-libitum-Fütterung auch mit Milchaustauscher möglich?
Lorenz: Die Milchaustauscher sind ja kürzlich wegen der Verwendung von Palmöl in die Kritik geraten, aber da gibt es ja wohl schon Alternativen. Unabhängig davon ist es möglich, Kälber auch mit Milchaustauscher guter Qualität ad-libitum zu tränken und Milchaustauscher müssen zur Ad-Libitum-Fütterung auch nicht unbedingt angesäuert werden. Gute Qualität bedeutet hier einen möglichst hohen Magermilchanteil von mindestens 45 %. Bei Milchaustauscher ist es so, dass man bekommt, was man bezahlt. Man kann nicht erwarten, dass man gute Ergebnisse mit einem billigen Milchaustauscher erzielt. Die beste Verdaulichkeit für das Kalb hat in jedem Fall die natürliche Milch, und es fallen ja in den ersten Tagen nach der Kalbung größere Milchmengen an, die nicht geliefert werden können. Es ist daher sinnvoll, so lange wie möglich diese Transitmilch zu tränken, bevor auf Milchaustauscher umgestiegen wird.
Wochenblatt: Wäre es nicht am einfachsten am Automaten?
Lorenz: Die Ad-Libitum-Tränke am Automaten ist natürlich am bequemsten, da man hier nur den Automaten programmieren muss. Allerdings ist hier der Nachteil, dass die Kälber bereits in einem geringen Alter in großen Gruppen gehalten werden müssen. Je nach Betriebsgröße wird es auch noch größere Altersunterschiede in den Gruppen geben und schlimmstenfalls immer wieder junge Kälber neu in die Gruppe eingegliedert werden. Unter solch stressigen Umständen ist es auch bei optimaler Fütterung sehr schwierig, die Kälber gesund zu erhalten.
Kosten und Handling
Wochenblatt: Gelten spezielle Regelungen für Biobetriebe?
Lorenz: Im Biobetrieb muss drei Monate lang natürliche Milch verfüttert werden, also fällt Milchaustauscher weg. Bislang schreibt kein Verband eine kuh- oder muttergebundene Aufzucht vor. Auch zu den Tränkemengen gibt es keine genaueren Angaben. Der entsprechende Paragraph in der EU-Öko-Verordnung steht aber unter der Überschrift „Futtermittel zur Deckung des ernährungsphysiologischen Bedarfs der Tiere“ was man schon so interpretieren kann, dass so viel gegeben werden sollte, dass der Bedarf gedeckt wird. Damit sind wir wieder bei der Ad-Libitum-Tränke, die natürlich auch im Biobetrieb sinnvoll und möglich ist, ohne dass die Kälber an den Müttern bleiben. Zum Ansäuern der Milch gibt es einige Produkte mit einer Zulassung für Biobetriebe. Informationen dazu können die Fachberater der Bioverbände geben oder man kann auch gerne bei mir nachfragen.
Wochenblatt: Wie beurteilen Sie das Handling und den Kostenfaktor?
Lorenz: Was die Mehrkosten durch mehr vertränkte Milch angeht, wurde ja schon beschrieben, dass die Kühe das später wieder wettmachen. Ansonsten hängt der Mehraufwand an Geld und Zeit natürlich stark davon ab, für welches System man sich entscheidet. Entscheidet man sich zum Beispiel für die Handfütterung mit angesäuerter Milch, wird sich der Mehraufwand, wenn erst mal alle benötigten Utensilien vorhanden sind und das System eingespielt ist, in Grenzen halten. Versucht man es mit der Ammenkuhhaltung, muss man vermutlich erst in eine geeignete Aufstallung investieren. Danach verlagert sich die Arbeit vom Kälberfüttern völlig auf die Auswahl geeigneter Ammen und die Sicherstellung, dass auch immer genug Milch für alle Kälber zur Verfügung steht. So haben alle Systeme ihre Vor- und Nachteile und jeder Betrieb muss für sich herausfinden, was unter den gegebenen Umständen am besten funktioniert. Wir Tierärzte vom Rindergesundheitsdienst sind da gerne bereit zu helfen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die meisten Probleme mit der Kälbergesundheit durch eine Anpassung der Fütterung deutlich verbessert werden können. Im Rahmen der vom Landwirtschaftsministerium und der Tierseuchenkasse geförderten Projekte haben alle bayerischen Tierhalter das Recht darauf, uns zu Rate zu ziehen. Nachdem es in der Agrarpolitik im Moment ja nicht so viel Positives zu berichten gibt – um es mal vorsichtig auszudrücken – ist das doch eine richtig gute Sache. Ich würde mir wünschen, dass möglichst viele davon Gebrauch machen.