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Rinderhaltung

Boden und Biodiversität brauchen Rinder

Grünland lässt sich nur über den Wiederkäuermagen zu wertvollen Lebensmittel veredeln.
Ulrich Graf
Ulrich Graf
am Donnerstag, 09.02.2023 - 16:56

Futterflächen sind keine Ressourcenverschwender, wie Kritiker der Nutztierhaltung häufig behaupten. Sie fördern den Humusgehalt der Böden und dienen Insekten als Nahrung und Lebensraum. Diese wichtigen ökologischen Funktionen werden häufig unterschlagen.

Sind Futterflächen eine Verschwendung von Ressourcen? Das dafür angeführte Argument ist hinlänglich bekannt und lautet: Direkt für den menschlichen Verzehr geeignete Pflanzen anzubauen, ist effizienter als sie über den Tiermagen zu Milch oder Fleisch zu veredeln. So braucht es drei Kilogramm Getreide, um ein kg Fleisch zu erzeugen (FAO-Studie, September 2017).

Mit der 1:3-Relation lässt sich einfach hochrechnen, dass sich über eine Abschaffung der Nutzierhaltung mehr Menschen bei gleichbleibender oder sogar verminderter Agrarfläche ernähren ließen. Das ist aber zunächst einmal eine am grünen Tisch ausgekartete, blanke Theorie. Denn es stehen zwei wichtige Gründe dagegen. Erstens: 75 Prozent der Agrarfläche sind Grünland. Es lässt sich nur über den Wiederkäuermagen zu Lebensmittel für den Menschen veredeln. Zweitens: Ein rein auf die Monogasterernährung ausgerichteter Ackerbau belastet die Böden.

Weizen, Kartoffeln und Mais sind Humuszehrer

Getreideernte

Dass Grünland und Rinder eine Einheit bilden, ist hinlänglich bekannt. Dass Äcker vom Futteranbau profitieren, ja ihn sogar brauchen, ist außerhalb der Landwirtschaft aber kaum bekannt. Dazu muss man wissen, dass die wichtigsten für den menschlichen Verzehr geeigneten Ackerkulturen, wie Weizen, Mais oder Kartoffeln, Humuszehrer sind. Das heißt, sie belasten den Humushaushalt des Bodens.

Werden Humuszehrer in zu enger Folge angebaut, sinkt der Humusgehalt und die Bodenstruktur leidet. Es droht dadurch eine Bodendegradation. Klar, einige werden sich jetzt entspannt zurücklegen und sagen, dass das auf ihren Böden nicht passiert. Dazu muss man die Ausgangslage berücksichtigen. Wer auf meterdicken Lössböden mit einer ausgezeichneten mineralischen und physikalischen Struktur ackert, wie etwa dem Gäuboden oder der Kölner Bucht, kann gelassen bleiben. Je weiter sich das Spektrum zu leichten oder extrem schweren Böden verschiebt, desto wichtiger wird aber Humus als Wasserspeicher und Bodenlockerer. Nur für den Monogastermagen bestimmte Kulturen auf den Äckern anzubauen, würde damit die Ernährungssicherung eher gefährden als befördern.

Feldfutter sorgt für Humus und Bodenstruktur

Futterfläche

Die Aufgabe, der Bodendegradation entgegenzuwirken, fällt den Humusmehrern zu, allen voran dem Feldfutter, das sich aus Leguminosen, Ackergras oder einem Gemenge aus beiden zusammensetzt. Danach folgen, wie die Grafik zeigt, in ihrer Wirkung Brache – in Form einer gezielten Begrünung – Untersaat, Körnerleguminosen, Winterzwischen- und Stoppelfrüchte. Diese wichtige Funktion scheint vielen aber nicht bekannt zu sein, sonst wüssten sie um die Grenzen einer rein veganen Ernährung. Denn, wenn schon Futter anfällt, macht es Sinn, das auch zu verwerten. Erfolgt dies nicht, werden dadurch Lebensmitteln - auch wenn es sich um Vorstufen handelt - vernichtet.

Sein volles Potenzial kann Feldfutter vor allem dann entfalten, wenn es mehrjährig angebaut wird. Dann bekommt der Boden eine Ruhepause ohne aktive Bearbeitung. Nur so kann sich Humus aufbauen. Daraus ergibt sich auch der Vorsprung der Brache vor der gezielten Begrünung, die in der Regel nur einjährig erfolgt.

Zwei wichtige Eigenschaften von Feldfutter für den Boden sind:

  • Die Pflanzen durchwurzeln die Krume sehr intensiv. Das stabilisiert das Bodengefüge, steigert die Wasserspeicherkapazität, vermindert die Erosion und schafft gute Auswuchs- und Bearbeitungsbedingungen durch einen krümeligen Boden.
  • Die große Wurzelmasse bringt viel organische Substanz ein, was dem Humushaushalt zugutekommt.

Dreiviertel der Agrarfläche ist Grünland

Ein krümeliger, gut durchwurzelter Boden ist das Ziel des Feldfutterbaus. Regenwürmer sind ein guter Hinweis dafür.

Der Weltklimarat hat in seinem Bericht „Klimawandel und Landsysteme“ eine Übersicht zur Landnutzung erstellt. Danach werden global rund 13 Prozent der eisfreien Landoberfläche ackerbaulich genutzt. Als Wiesen und Weideflächen dienen rund 39 Prozent. Bei einem Verzicht auf das Weideland würden folglich rund 75 Prozent der Agrarfläche verloren gehen. Die darauf erzeugten tierischen Produkte würden dann fehlen und könnten keinen Beitrag mehr zur menschlichen Ernährung leisten.

Das hätte je nach Landstrich unterschiedliche Auswirkungen. In ariden Gebieten kann das Anlegen von Ackerland direkt in die Degeneration und Versalzung von Böden führen. Der in den gelockerten Boden eindringende Sauerstoff baut die organische Substanz bei den dort herrschenden hohen Temperaturen und Trockenheit innerhalb kürzester Zeit ab. Bei Bewässerung, sofern überhaupt Wasser verfügbar ist, verdunstet das Wasser bei oberflächlicher Ausbringung sehr schnell. Zurück bleiben die darin gelösten Mineralien die sich dann als Salzkruste anreichern.

Wer unter ariden Bedingungen Ackerbau betreiben will, braucht damit ein verdammt gutes Konzept. Ansonsten bleibt die Beweidung die nachhaltigste Bewirtschaftungsform in diesen Regionen. Als Nomaden lebende Völker wissen durchaus, was sie tun und warum es sie tun. Ohne Tiere würde man diesen die Lebensgrundlage entziehen.

Grünland als Hotspot der Artenvielfalt

Dauergrünland, ja gerne. Rinderhaltung, nein danke. Zielkonflikte, gibt es nicht. Diese Devise scheinen einige Zeitkollegen zu fröhnen - selbst bei massiven Widersprüchen.

Ein hoher Anteil an ackerfähigem Boden ist ein Privileg von Gunststandorten. In Bayern beträgt er rund zwei Drittel an der landwirtschaftlichen Fläche, im Bundesdurchschnitt ist es sogar noch etwas mehr. Beim restlichen Drittel der Agrarfläche handelt es sich meist um absolutes Grünland, das heißt, es ist nicht anderweitig nutzbar, weil die Lage zu steil oder zu nass ist oder andere Gründe dagegensprechen.

Wiesen und Weiden sind Kulturland. Sie bleiben nur durch eine fortlaufende Nutzung erhalten. Bei einem starken Abbau der Rinderbestände würden diese Flächen ihre Funktion verlieren. Erfolgt keine Mahd oder Beweidung mehr, setzt die Sukzession ein. Die Flächen wachsen mit Sträuchern und Bäumen zu. Dadurch wäre die für Grünlandstandorte so typische reichhaltige Flora und Fauna gefährdet. Betroffen wären unter anderem zahlreiche Insektenarten.

Um den Schwund an Grünland zu vermeiden und es als Nahrungs- und Lebensraum zu erhalten, fand in Bayern eine Volksabstimmung zum Schutz der Insekten statt. Es wandte sich zwar primär gegen den Umbruch des Grünlands, letztendliche hätte eine Verwaldung aber ähnliche Folgen. Das Wissen um die Bedeutung der Wiesen und Weiden für die Artenvielfalt ist damit in breiten Kreisen angekommen.

Ein Drittel Insektenbiomasse des Kuhgewichts

Zusätzlich zum Lebensraum Weide schaffen Rinder noch einen weiteren - den ihres Dunges. Eine grobe Faustformel besagt, dass ein Weiderind rund ein Drittel an Insektenbiomasse erzeugt. Exemplarisch lässt sich das ganz gut an einem Versuch in Amerika nachvollziehen. Dort wurde ein Teil der Prärie in ein Naturschutzgebiet umgewandelt. Die Flora entwickelte sich ganz gut, bloß mit der Fauna wollte es nicht klappen. Erst nach dem Ansiedeln von Rindern, ging es bei den Insekten dann aufwärts.

Grünlandboden als großer Humusspeicher

Und noch eine herausragende Funktion hat das Grünland. Es weist die größte Menge an organischem Kohlenstoff im Boden auf. Sie beträgt 181 Tonnen pro Hektar. Der Wald folgt mit 100 Tonnen, dicht gefolgt von Äckern mit 95 Tonnen. Das geht aus der Bodenzustandserhebung des Thünen-Instituts (Report 64) hervor. Betrachtet wird der Horizont von 0 bis 90 cm.

Damit spielt Grünland eine bedeutsame Rolle als Kohlenstoffspeicher und ist auch eine wichtige CO2-Senke. Das wird von einigen Kreisen zwar nur abschätzig betrachtet, weil Wiesen und Weiden eine Einheit mit Wiederkäuern bilden, also zu den bösen Methanemittenten gehören, trotzdem zählt es in der Bilanz mit.

Je mehr Humusmehrer, desto besser die Humusbilanz

Luerne ist die Königin des Feldfutterbaus.

Der Green Deal hat sich zum Ziel gesetzt, weniger Mineraldünger auszubringen und weniger chemischen Pflanzenschutz zu betreiben. Ein Vorbild dafür, wie das funktioniert, kann der Ökolandbau sein. In dessen gängigen Fruchtfolgen ist ein Anteil von einem Fünftel bis zu einem Drittel an Feldfutter in Form von Kleegras oder Luzerne üblich. Selbst viehlose Betriebe setzen diese Kulturen für den Bodenerhalt ein.

Rechnet man die Zahlen für Bayern hoch, ergibt sich daraus ein Anteil von über 50 Prozent. Bei einem Anteil von 20 Prozent Feldfutter in der Fruchtfolge wäre es 53 Prozent.

Diese Zahl basiert, wie erwähnt, auf den Anforderungen des Ökolandbaus. Der konventionelle Landbau kann über die Zufuhr von mineralischen Düngern einen wesentlichen Teil der Funktionen der Humusmehrer kompensieren und damit gänzlich ohne Feldfutterbau auskommen. Nachdem im Leitbild der Bundesregierung, der EU und der Umweltverbände der Humuserhalt oder sogar Humusaufbau eine klare Aufgabensetzung ist, kann der 50-Plus-Wert aber durchaus als Zielgröße betrachtet werden.

Hinweis: Wem aufgefallen ist, dass da noch was fehlt, hat Recht. Die Bedeutung des Feldfutterbaus und des Grünlands für die Stickstoffversorgung des Ackers und damit des Nährstoffkreislaufs gehen wir in einem weiteren Artikel  ein.