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Schweinehaltung

Bissverletzungen richtig erfassen

Beschäftigungsmaterial
Dr. Johanna Moritz, Bayer. Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
am Freitag, 07.06.2019 - 10:38

Seit dem 1. Juli muss jeder Schweinehalter, der weiterhin die Schwänze seiner Tiere kupieren will, eine Tierhaltererklärung abgeben. Das Wochenblatt gibt Praxistipps zur Erfassung von Bissverletzungen im laufenden Betrieb.

Auf einen Blick

  • Die Erhebung von Schwanz- und Ohrverletzungen ist Voraussetzung für die weitere Haltung schwanzkupierter Tiere.
  • Nur wenn über 2 % der Tiere Verletzungen aufweisen, ist die Unerlässlichkeit des Kupierens gegeben.
  • Da das Schwanzbeißinterventionsprogramm SchwiP und die Erhebung von Schlachthofbefunden in Bayern noch kaum nutzbar sind, müssen die meisten Landwirte die Erhebung im eigenen Bestand durchführen.
  • In Bayern steht eine Arbeitshilfe zur Verfügung.
  • Die Erhebung muss in jeder Produktionsstufe mindestens zweimal jährlich erfolgen.
  • Ausbrüche von Schwanz- und Ohrenbeißen sind gesondert zu erfassen.
  • Eine Beratung durch den Hoftierarzt und/oder landwirtschaftliche Berater empfiehlt sich.

Gefürchtete Verhaltensstörung

Verhaltensstörung

Schwanzkannibalismus ist eine gefürchtete Verhaltensstörung, die durch aufsteigende Infektionen zu schwerwiegenden Erkrankungen der Tiere und zu wirtschaftlichen Verlusten führen kann. Zur Prävention werden deshalb in Deutschland bislang fast flächendeckend die Schwänze bei Ferkeln kupiert. Das routinemäßige Kupieren ist aber tierschutzrechtlich in der EU nicht zulässig. Mit einem Aktionsplan verfolgt Deutschland nun das vorgegebene Ziel, schrittweise auf das routinemäßige Kupieren zu verzichten.

Wie bereits in Wochenblatt 14/2019 berichtet, muss jeder Schweinehalter, der weiterhin bei seinen Tieren die Schwänze kupieren oder Tiere mit kupierten Schwänzen einstallen will, ab dem 1. 7. 2019 mithilfe der sogenannten Tierhaltererklärung belegen, dass dieser Eingriff für die Haltung der Schweine in seinem Betrieb unerlässlich ist, das heißt, dass auf diesen Eingriff zum Schutz der Tiere derzeit noch nicht verzichtet werden kann.

Unerlässlichkeit muss vorliegen

Verletzung

Die Unerlässlichkeit gilt nur dann als gegeben, wenn im Laufe eines Jahres mehr als 2 % der Tiere tatsächlich Bissverletzungen an Schwanz und/oder Ohren aufweisen. Um die bayerischen Schweinehalter bei der Umsetzung des Aktionsplanes zu unterstützen, wurde am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) eine Facharbeitsgruppe mit Experten aus der Landwirtschafts- und Veterinärverwaltung, dem TGD sowie praktizierenden Tierärzten eingerichtet. Diese Facharbeitsgruppe hat eine Arbeitshilfe für Tierhalter als Entscheidungshilfe und zum praktikablen Erfassen der Befunde im Stall erstellt.

Der Nationale Aktionsplan eröffnet dem Tierhalter grundsätzlich drei Möglichkeiten, den Anteil der von Schwanz-/Ohrverletzungen betroffenen Schweine in seinem Bestand 
zu erfassen. Die Nutzung des „Schwanzbeißinterventionsprogramms“ (SchwIP) oder von Schlachthofbefunden muss erst noch etabliert werden.

Welche Möglichkeiten zur Erfassung gibt es?

Die Betriebe müssen daher derzeit in der Regel die Erhebung, getrennt nach Produktionsstufen, mindestens zwei Mal im Jahr selbst im Bestand durchführen. Hierbei soll die Arbeitshilfe Unterstützung bieten. Auf Schwanz- oder Ohrenverletzungen zu kontrollieren sind

  • im Abferkelbereich alle Tiere in einem Abteil, in der Regel in der Woche vor dem Absetzen,
  • in der Aufzucht und Mast alle Tiere jeweils in mindestens zwei Abteilen, in der Regel zu Beginn und am Ende der Aufzucht bzw. Mast,
  • In Aufzucht- und Mastbetrieben, in denen mehr als 150 Tiere pro Abteil gehalten werden, genügt es, 150 Tiere zu bewerten. 

Was muss erfasst werden?

Verhaltensstörung beim Schwein

Eine Schwanzverletzung liegt vor, wenn am Schwanz eine deutlich sichtbare blutende Wunde, Kruste oder Schwellung erkennbar ist. Auch Schwanzspitzennekrosen können gezählt werden. Eine Ohrverletzung ist eine deutlich sichtbare, meist blutende Wunde und/oder Kruste am Ohr. Schweine, die sowohl eine Schwanz- als auch eine Ohrverletzung haben, werden nur einmal gezählt. Abgeheilte Substanzverluste (Verluste von Teilen des Schwanzes oder des Ohres) sind bei der Erhebung nicht mitzuzählen.

Auch kleine Kratzer oder leichte Verletzungen werden nicht gezählt. Die Arbeitshilfe enthält Beispielfotos von eindeutigen Fällen und von Grenzfällen, die die richtige Einordnung erleichtern. Die letzte Seite der Arbeitshilfe kann zum Erfassen der verletzten Tiere im Stall als Strichliste verwendet werden. Die jeweilige Produktions- und Altersstufe, das Abteil und die Gesamtzahl der bewerteten Tiere werden ebenfalls eingetragen. Sie dient gleichzeitig als Nachweis für die im Rahmen des Nationalen Aktionsplans vorgesehene Dokumentation. 
Sollte es zu relevanten Schwanz- oder Ohrbeißausbrüchen kommen, sind diese zusätzlich aufzuschreiben. Diese Vorgabe ist im Übrigen nicht neu, da nach der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (§ 4 Absatz 2) ohnehin jeder Schweinehalter Aufzeichnungen über das Ergebnis der täglichen Überprüfung des Bestandes sowie alle medizinischen Behandlungen führen muss.
 

Wie oft müssen die Schweine erfasst werden?

Für die jeweils ein Jahr gültige Tierhaltererklärung muss der Mittelwert über den Anteil der betroffenen Schweine in den letzten zwölf Monaten ermittelt werden. Dazu sind an mindestens zwei Erhebungsterminen je Halbjahr die Verletzungen zu erfassen und der Mittelwert über den Anteil der betroffenen Schweine zu ermitteln. 

Beim erstmaligen Durchführen der Erhebung bis zum 1. Juli 2019 gilt ausnahmsweise der Wert der einmaligen Stichtagserhebung. Relevante Schwanz- und Ohrbeißausbrüche können bei der Berechnung mit herangezogen werden. Alternativ von dieser zweimaligen Erhebung pro Jahr können Tierhalter die Schwanz-/Ohrverletzungen kontinuierlich in ihrem Bestand erfassen und diesen Wert als Bemessungsgrundlage verwenden. 

Praktische Tipps zur Erfassung der Daten

Am besten eignet sich für die Erfassung der Verletzungen ein Zeitpunkt, an dem die Tiere mit der Aufnahme von Futter oder mit einem neuen Beschäftigungsmaterial befasst sind. Insbesondere die Haltung des Schwanzes gibt wichtige Hinweise auf das Vorliegen von Beißgeschehen in der Bucht. Tiere, die den Schwanz einklemmen, weisen oft schon kleine Verletzungen auf. Hier gilt es, besonders aufmerksam zu sein, die Tiere intensiv zu beobachten, behandlungsbedürftige Tiere sofort zu kennzeichnen und Beißer möglichst zu identifizieren.

Wie im Nationalen Aktionsplan vorgesehen ist es empfehlenswert, sich bei der ersten Erhebung von einem landwirtschaftlichen Berater oder dem Hoftierarzt unterstützen zu lassen, die bereits Erfahrung mit der Erhebung und Dokumentation dieser Verletzungen haben. Dadurch können Fragen schnell geklärt und für den Betrieb geeignete und gut in den Ablauf integrierbare Vorgehensweisen gefunden werden. Mit der Zeit entwickelt sich ein genauerer Blick auf die Tiere, der es erlaubt, Probleme früh zu erkennen und schnell gegenzusteuern – was sich auch aus wirtschaftlicher Sicht rechnet.

Im Hinblick auf betriebliche Optimierungsmaßnahmen sollte bereits anlässlich der Befunderfassung auf die möglichen Ursachen geachtet werden. Vor allem bei Saugferkeln muss unterschieden werden, ob es sich um nekrotische Veränderungen handelt, die nicht durch gegenseitiges Bebeißen entstehen. Die Wissenschaft geht davon aus, dass ein bedeutender Anteil der Ferkel eine generalisierte Entzündungsreaktion durchläuft, die sich auch in Nekrosen der Ohren und Schwänze äußern kann (sog. Entzündungs- und Nekrosesyndrom beim Schwein – SINS). Ursächlich wird neben Umweltfaktoren (z. B. Sauengesundheit, Fütterung, Wasserangebot) die Genetik diskutiert. Beim Auftreten verdächtiger nekrotischer Veränderungen ist daher der Hoftierarzt hinzuzuziehen.