
Der erste Aufwuchs ist qualitativ am Besten und deshalb muss er geerntet werden. Dieses Argument ist oft zu hören. Doch bei einer ganzheitlicher Betrachtung wird schnell deutlich, dass es sinnvoller ist, den Aufwuchs gleich vom Vegetationsbeginn weg zu nutzen. Im folgenden Beispiel werden die Zusammenhänge verdeutlicht.
Der Vegetationsbeginn liegt je nach geographischer Lage im Grünland Ende März/Anfang April. Der erste Schnitt findet etwa Anfang Mai statt. Die Erntemenge beträgt zwischen 20 und 25 dt TM/ha. Die Nährstoffkonzentration je kg Trockenmasse (TM) betrug in den vergangenen beiden Jahren 6,0 MJ NEL/kg TM (LKV-Labor Bayern). Für das eher unbefriedigende Niveau sind zum Teil ungünstige Witterungsbedingungen zum optimalen Erntezeitpunkt verantwortlich. Andererseits versuchen manche auch die steigenden Erntekosten auf mehr Futtermasse zu verteilen. Damit sich der Aufwand lohnt, muss dafür eine gewisse Futtermenge bereitstehen.
Beweidung der Schnittnutzung energietechnisch überlegen.
Gräser haben immer nur drei funktionsfähige grüne Blätter. Der Zuwachs eines weiteren Blattes führt zum Absterben des untersten Blattes. Der Mengenzuwachs erfolgt demnach im Wesentlichen durch den Stängel. Im Stängel nimmt der Faseranteil jedoch zu und die Verdaulichkeit des Futters nimmt ab. Der Weideprofi nutzt diesen Ertrag im wachsenden Zustand bei höchster Verdaulichkeit vor der Stängelbildung. So beträgt die Nährstoffkonzentration von wachsendem Gras im Blattstadium im Frühjahr mehr als 7 MJ NEL/kg TM. Betrachtet man nun die gesamte Energiemenge, welche bei einem Ertrag von 20 dt TM/ha geerntet wird, ist die Beweidung der Schnittnutzung somit energietechnisch überlegen.
Weniger Ernte- und Konservierungsverluste
Ein weiterer entscheidender Vorteil der Beweidung des Aufwuchses ist die erhebliche Reduktion von Ernte- und Konservierungsverlusten. Umfangreiche Untersuchungen der LfL Bayern zeigen, dass sich die Feldverluste bei ca. 10 % bewegen. Während dem Silieren liegen die vermeidbaren und unvermeidbaren Verluste bei 10 – 15 % der Trockenmasse. Hinzu kommen die Verluste bei der Ernte, der Entnahme und der Futtervorlage bzw. verbleibende Futterreste. Zusammen genommen betragen so die Verluste bei der Ernte und der Konservierung 25 – 30 %.
Diese Tatsache ist bei einer Systembetrachtung Weide versus Schnittnutzung dringend zu berücksichtigen. Bei den getroffenen Annahmen ergibt sich eine Differenz im möglichen Milcherzeugungswert des ersten Aufwuchses von etwa 1200 kg Milch/ha zu Gunsten der Weidenutzung (siehe Tab. 1). Dieser Trend setzt sich in den Folgeschnitten analog fort.
Tägliche Futteraufnahme aus Weidegras von ca. 16 kg TM
Betriebe, welche auf Vollweide setzen (keine Zufütterung von Grobfutter im Stall) erreichen eine tägliche Futteraufnahme aus Weidegras von ca. 16 kg TM. Beim Verfüttern von Silage oben genannter Qualität wird allenfalls eine Futteraufnahme von ca. 13 kg TM je Tier und Tag realisiert. Diese Zusammenhänge können bei professioneller Umsetzung der Weideführung im System der Kurzrasenweide bzw. einer intensiven Umtriebsweide zu einer deutlichen Steigerung der Milchleistung aus wirtschaftseigenen Grobfutter führen.
Die aktuelle Entwicklung der Produktionskosten verstärkt die Vorzüglichkeit einer professionellen Weidewirtschaft. Neben der höheren Nährstoffkonzentration und der Vermeidung von Ernte- und Konservierungsverlusten spielen die ständig steigenden Energiekosten (z. B. für Diesel) eine beträchtliche Rolle. Weide hat folglich auch einen erheblichen günstigeren CO2-Fußabdruck.
Vielfach wird pro Schnittnutzung argumentiert, dass der erste Schnitt in der Regel der qualitativ hochwertigste in der Jahresernte ist und deshalb siliert werden muss. Auf Grund der genannten Zusammenhänge ist diese Sichtweise nicht stichhaltig. Es ist grundsätzlich eine hohe Qualität in der Schnitt- und in der Weidenutzung anzustreben.
Es gilt: Gras nutzen wenn es gut ist!
Ein weiterer, meist nicht beachteter Effekt der Weidehaltung ist die Verringerung von Ammoniakverlusten. Bei der üblichen Güllewirtschaft können die Stall-, Lager- und Ausbringungsverlusten je nach TS-Gehalt, Ausbringung, Witterung etc. bis zu 70 % des Ammoniaks betragen. Verantwortlich hierfür ist unter anderem das Enzym Urease. Diese bewirkt bei der gemeinsamen Lagerung von Kot und Harn die Umwandlung von Harnstoff in flüchtiges Ammoniak. Werden nun auf der Weide Kot und Harn getrennt abgesetzt, wird in Folge nur minimal Ammoniak gebildet und die Verluste reduzieren sich in der gesamten Prozesskette um bis zu 50 %.
Durch eine professionelle Weideführung und Tränkestellenanordnung ist für eine weitgehend gleichmäßige Verteilung der Ausscheidungen auf der Weide zu sorgen. Gerade im Hinblick auf die explodierenden Kosten für Stickstoffdünger ist dies ein weiterer ökonomischer Vorteil einer konsequenten Weidehaltung.
Weidestart zu Vegetationsbeginn
Der Weideprofi beginnt mit dem Weideaustrieb zu Vegetationsbeginn. Neben den bereits geschilderten Vorteilen hat diese Vorgehensweise entscheidende Vorteile für das Tier. Zunächst wird mit einem stundenweisen Weidegang begonnen. Die Tiere finden zunächst nur wenig Gras auf der Fläche. Die Hauptration wird noch im Stall aus Silagen/Heu und Kraftfutter bestehen. Mit zunehmenden Graswachstum wird der Grasanteil in der Ration höher und die Stallration wird fließend zurückgefahren. Dadurch wird ein gleitender Übergang hin zur reinen Grasration erreicht. Zu beachten ist, dass junges Weidegras hohe Zuckergehalte aufweist. Damit der Anteil an leichtlöslichen Kohlehydraten in der Ration nicht zu hoch wird, ist der Getreideanteil (schnell ab-baubare Stärke) in der Ration um 2 – 3 kg je Kuh und Tag zu reduzieren.
Die Meinung, junges Weidegras sei im Frühjahr ein zu eiweißreiches Futter und führt zu problematischen N-Überschuss (stark positive RNB) ist zu relativieren. Gerade im Frühjahr weist Gras, wie bereits erwähnt, sehr hohe Energiegehalte auf und ist deshalb als fast ausgeglichenes Futtermittel anzusehen. Vor allem auf ökologisch wirtschaftenden Betrieben kann sich im Frühjahr sogar ein leichter Eiweißmangel zeigen. Grund dafür ist, dass der gedüngte organische Stickstoff erst bei steigenden Bodentemperaturen in eine pflanzenverfügbare Form umgewandelt wird. Im Vergleich zu einem ersten Weideaustrieb nach dem ersten Schnitt ergibt sich für die Rinder ein weiterer Vorteil. Der frühe Austrieb ermöglicht den Tieren ein langsames „Hineingleiten“ in die steigenden Temperaturen und der Sonneneinstrahlung. Werden Rinder nach dem ersten Schnitt erstmals ausgetrieben ist die Umstellung mit erheblichem Stress für die Tiere verbunden. Vor allem Sonnenbrand am Euter und am Flotzmaul sowie die plötzliche Fliegenplage sind zu erwähnen. Eine frühe Beweidung fördert die Grasnarbe. Es resultiert ein dichter Bestand.
Weidebetonte Jungviehaufzucht
Im Schnitt der Betriebe werden etwa 40 % der Futtervorräte von den Jungrindern „verbraucht“. Deshalb ist es naheliegend, die genannten Vorteile der Weidehaltung auch in der Jungrinderaufzucht zu nutzen. Pilotbetriebe zeigen, dass eine weidebetonte Jungrinderaufzucht kostengünstig ist. Vor allem können die Anforderungen an die tierischen Leistungen voll genügen. So setzten Vollweidebetriebe konsequent ein Erstkalbalter von 24 – 25 Monaten erfolgreich im Betrieb um. Auch bei den Jungviehweiden gilt: So früh wie möglich mit dem Weidebetrieb beginnen. Rinder, welche in der Stallfütterung überwiegend Grasprodukte (Silage/Heu) erhalten, könne ohne Übergangsphase auf Weidegras umgestellt werden, da sich die Futterart nicht ändert.
Werden die Rinder auf kurzes Gras getrieben, werden sie keinerlei Durchfallgeschehen zeigen. Der Durchfall stellt sich ein, wenn Rinder in langes Gras getrieben werden. Der Weidebeginn gelingt am besten mit einem niedrigen Tierbesatz zu Vegetationsbeginn (z. B. drei tragende Rinder/ha). Mit zunehmenden Graswachstum wird die Besatzstärke anschließend erhöht.
Es gilt also, die Möglichkeiten der Weide zu erkennen und konsequent zu nutzen. Die größte Umstellung erfolgt allerdings im Kopf der Betriebsleiter, der derzeit enorme wirtschaftliche Druck bzw. die politischen Rahmenbedingungen tun dazu ihr übriges.