
Weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist gleich mehr Umweltschutz? So einfach dürfte die Rechnung nicht aufgehen. Das zeigt gerade auch die Diskussion um die sichere Versorgung der Welt mit Lebensmitteln. Doch die Reduktion der Pflanzenschutzeinsätze ist ein erklärtes Ziel der EU, Deutschlands und auch Bayerns und die Landwirte müssen sich darauf einstellen. Die Landesanstalt für Landwirtschaft entwickelt derzeit die fachliche Umsetzung und ihr Präsident Stephan Sedlmayer hat sie im Wochenblatt-Interview erklärt.
Macht es Sinn, angesichts des Ukrainekrieges und seiner Folgen gerade jetzt über weniger Pflanzenschutz zu reden?
Eine Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes muss ja nicht automatisch zu geringeren Erträgen führen. Politisch ist die Richtung klar: Die Staatsregierung hat 2019 das Ziel ausgegeben, dass der Pflanzenschutzmitteleinsatz bis Ende des Jahrzehnts um 50 % reduziert werden soll. Auch auf Bundesebene und auf europäischer Ebene ist das das Ziel. Wir als Landesanstalt müssen einen Weg finden, wie man dorthin kommt, und zwar ohne wirtschaftliche Einschränkungen. Im Gegenteil: für Landwirte muss es machbar und auch interessant sein.
Nachdem die Landwirtschaft seit einiger Zeit am Pranger steht, fragen sich viele Betriebe: Was haben wir schon wieder falsch gemacht?
Die Reaktion verstehe ich durchaus. De facto ist es aber doch so, dass kein Landwirt gerne Pflanzenschutzmittel ausbringt. Die Bevölkerung möchte einen Wandel, die Landwirtschaft wird sich dem nicht verwehren und sucht einen Weg. Und als Landesanstalt ist es unser Auftrag, die Landwirtinnen und Landwirte dabei zu unterstützen und Lösungen zu finden.
An vielen Schrauben drehen

Als erstes fällt einem da der mechanische Pflanzenschutz ein. Gibt es auch andere Themenfelder?
Das ist ein ganz großes Portfolio. Um eine Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes hinzubekommen, müssen auch andere Ziele erreicht werden: Großes Potenzial liegt im ökologischen Landbau und der geplanten Ausweitung von aktuell 12 auf 30 Prozent in Bayern. Wird dieses Ziel erreicht, macht das allein schon rund ein Drittel aus. Zusätzlich gibt es viele weitere Flächen, auf denen wegen rechtlicher Vorgaben keine Pflanzenschutzmittel mehr ausgebracht werden dürfen, zum Beispiel bei Gewässerrandstreifen oder wegen Vorgaben der neuen EU-Agrarpolitik. Gleichzeitig beteiligen wir uns an der Forschung und Entwicklung für biologische Pflanzenschutzmittel. Nicht zu unterschätzen ist auch das Potenzial digitaler Technik und Satellitentechnik, die hilft Pflanzenschutzmittel wesentlich gezielter auszubringen.
Aber Landwirte beklagen, dass etwa mechanische Unkrautbekämpfung auch Jungwild und Gelege gefährdet.
Im Ökolandbau werden mechanische Maßnahmen ja schon lange erfolgreich eingesetzt. Es wird jedoch immer Zielkonflikte geben und nicht jeder kann komplett aufgelöst werden. Aber – und das ist der entscheidende Punkt – wir untersuchen diese Themen, helfen Probleme zu vermeiden und besser zu werden. Digitale Technik kann auch hier weiterhelfen. Von der Bilderkennung eines Rehkitzes in der Wiese zur Erkennung eines Vogels, eines Geleges auf dem Acker ist es nicht weit.
Schadschwellen und Prognosemodelle
Wie passt der integrierte Pflanzenschutz zur Reduktionsstrategie?
Das Arbeiten nach Schadschwellen und mit Prognosemodellen ist ein ganz entscheidender Teil der Reduktionsstrategie. Im Hopfenbau kann dank Prognosemodellen und dem Peronospora-Warndienst die Hälfte der Spritzungen gegen falschen Mehltau entfallen. Die Hopfenbauern arbeiten eng zusammen, auch mit unseren Einrichtungen. Das kann auch ein Weg sein bei anderen Kulturen.
Nicht jeder muss verzichten und auch nicht heute
Bei steigenden Preisen für Agrarprodukte sinkt aber die Schadschwelle, eine Behandlung wird schon bei geringerem Befall wirtschaftlich.
Das Reduktionsziel bedeutet ja nicht, dass jeder einzelne Landwirt jetzt und heute auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel verzichten soll. Wir stehen erst am Anfang von vielen technologischen Entwicklungen, die auch künftig hohe Erträge bei gleichzeitig deutlich geringerem Pflanzenschutzmitteleinsatz ermöglichen. Auch bei der Züchtung haben wir noch einiges in Petto, um resistentere Pflanzen zu erhalten. Im Mais zum Beispiel gelingt es zum Teil heute schon, ohne Pflanzenschutzmittel auszukommen.

Digitalisierung und Satellitendaten eröffnen uns kontinuierlich weitere Möglichkeiten, um nicht nur die Bestände exakt zu erfassen, sondern auch Unkräuter per Einzelpflanzenerkennung und -behandlung, dem sogenannten Spot Spraying zielgenau zu bekämpfen.
Auch die Robotik steht erst am Anfang der Entwicklung, die Hacktechnik wird noch präziser werden. Wir arbeiten mit Start-Ups zusammen, mit denen wir noch präzisere Geräte sowie Prognose- und Analysemethoden entwickeln.
Noch einmal: Es muss zum Schluss ein ganzes Bündel an Maßnahmen sein. Und ebenfalls noch einmal: Der Landwirt muss nicht heute und jetzt auf 50 % der Pflanzenschutzmittel verzichten. Das geht nur in einem Gesamtsystem.
2014 bis 2018 als Basis
Von welcher Basis wird die Reduktion gerechnet?
Als Ausgangsbasis sollen die Zahlen zum Absatz von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland zwischen 2014 und 2018 dienen. Von diesen Absatzdaten wird der Einsatz in Bayern prozentual abgeleitet. Um verlässliche Zahlen zu bekommen und um Aussagen zu einzelnen Kulturen machen zu können, wird von der LfL momentan ein repräsentatives Netz aufgebaut. Die Reduktion wird nur möglich sein, wenn sich zum Beispiel durch die Ausweitung im Öko-Landbau im Gesamtsystem etwas verändert und es gleichzeitig gelingt, dem einzelnen Betrieb konkrete Ansätze an die Hand zu geben, damit er einen Beitrag leisten kann.
Und wenn aufgrund ungünstigen Wetters oder neuer beziehungsweise wieder aufflackernder Pflanzenkrankheiten Schadschwellen vermehrt überschritten werden?
Abhängig von Jahresverlauf und der Witterung wird es Wellenbewegungen und auch Rückschläge geben. Der Hacktag in Ruhstorf zum Beispiel hat wieder gezeigt, was mit modernster Technik oder Feldrobotern bereits heute alles möglich ist. Wir müssen uns gemeinsam auf jene Dinge fokussieren, die machbar sind.
Erfüllt der Ökolandbau seine Pflicht?
Sie haben vorher den Ökolandbau angesprochen, der Absatz stagniert da aber.
Die Ukrainekrise hat für einen Anstieg bei Nahrungsmittelpreisen und Lebenshaltungskosten gesorgt. Und das führt zum Teil zu verändertem Verbraucherverhalten. Aber die Situation auf den Märkten ist volatil, entscheidend ist die langfristige Entwicklung. Der Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel wird inzwischen enorm kritisch gesehen, gleichzeitig wächst die Nachfrage nach Öko-Produkten und nachhaltigen Erzeugnissen aus der Region.
Die Aufgabe der Landesanstalt heißt für mich in dieser Situation: forschen, ausprobieren und anwenden. Da arbeiten wir eng mit der Praxis zusammen, wir machen zum Beispiel in Schwarzenau und in Ruhstorf Tests und Versuche genau dort, wo neue Technik oder neue Pflanzen sich bewähren müssen: auf dem Feld.