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Pflanzenbau

Unnötige Grenzen für Qualitätsweizen

Karola Meeder
Karola Meeder
am Donnerstag, 19.05.2022 - 12:00

Qualitätsweizen-Anbau: Laut Dr. Volker Michel bietet die Züchtung Lösungen - doch der Handel gibt diesen keine Chance.

Weizen-abladen

Es wirkt schon fast wie ein Blick in die Geschichtsbücher des Ackerbaus: „Rund um das Jahr 2000 haben wir in Mecklenburg-Vorpommern den Peak der Stickstoffdüngung erreicht“, sagt Dr. Volker Michel, Sachgebietsleiter der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei MV.

„Da haben wir bei Winterweizen an der 250-kg-Marke je Hektar gekratzt. Das ist heute unvorstellbar“. Die Düngermengen gingen laut Michel in den Folgejahren erst von selbst stetig zurück, dann kam die Novellierung der Düngeverordnung – und mit ihr sind die Stickstoffmengen auf unter 200 kg/ha gesunken.

Während man also in den experimentellen Jahren zu viel gedüngt hat, setzt die Düngeverordnung (DüV) nun so enge Grenzen, dass die Erzeugung von Qualitätsweizen schwer bis unmöglich ist – gerade in den Roten Gebieten, wo die Stickstoffdüngung im Schnitt 20 % unter Bedarf liegen muss.

Was also tun? Volker Michel lenkte den Fokus bei einem Online-Seminar der DLG in Kooperation mit der I. G. Pflanzenzucht weg von der DüV und hin zu den Weizensorten, der Züchtung – und dem Handel.

Protein oder Ertrag? Eine negative Korrelation

Aber beginnen wir von vorne – das Grundproblem ist folgendes: Ob Weizen Qualitätsweizen ist, wird am Proteingehalt gemessen. Leider besteht aber zwischen den Eigenschaften Proteingehalt und Ertrag eine negative Korrelation. Proteinstarke Sorten sind also in der Regel ertragsschwach – und umgekehrt.

Gleichzeitig gibt es, bezogen auf den Proteingehalt der einzelnen Sorten, starke jahresabhängige Schwankungen. Volker Michel zeigte das eindrücklich anhand langjähriger Daten der Landesforschungsanstalt MV. So erreichten in einem Zehnjahreszeitraum die getesteten A-Sorten in je fünf Jahren die Marke von 13 % Rohprotein – in den anderen fünf Jahren wurden die 13 % allerdings nicht erreicht.

„Der Proteingehalt ist schwer steuerbar, und enge Grenzen bei der Düngung machen es nicht leichter“, fasste Michel zusammen.

Wer Qualitätsweizen erzeugen will, setzt also auf proteinstarke (aber ertragsschwächere) Sorten – eine Garantie, dass man am Ende auch wirklich Qualitätsweizen erntet, gibt es aber nicht. Wird dann der nötige Proteingehalt tatsächlich nicht erreicht, kommt man schnell in einen unwirtschaftlichen Bereich. Denn man erzielt je Tonne Weizen einen geringeren Preis als erwartet – und erntet gleichzeitig weniger Tonnen vom Hektar, als es für Weizen in dieser Preisklasse üblich ist.

N-Effizienz und „positive Korrelationsbrecher“

An diesem Punkt brachte Michel die „positiven Korrelationsbrecher“ ins Spiel. Was das sein soll? Das sind Weizensorten, die die negative Korrelation von Proteingehalt und Ertrag aufbrechen. Sie bringen also sowohl gute Proteinwerte als auch gute Erträge. Das gelingt ihnen, weil sie den Stickstoff besser nutzen. Ihre Stickstoffeffizienz ist also höher als die der anderen Sorten; laut Michel geht es hier um rund 20 kg je Hektar.

Er appellierte, dass man beim Qualitätsweizenanbau unbedingt auf Sorten setzen soll, die zwar proteinstark sind, aber auch so ertragsstark, dass das Verfehlen des Qualitätsziels vertretbar ist.

Gleichzeitig appellierte er auch an den Handel und die Politik, „die schon längst hätte eingreifen müssen“: „Wir müssen endlich weg vom Proteingehalt als zentrales Qualitätsmerkmal im Handel“, ist er überzeugt. Denn der Proteingehalt sei ja gar nicht das eigentliche Ziel. Er gelte ja nur als indirekte Maßeinheit für das Backvolumen – ganz nach dem Motto: Hohe Proteingehalten führen zu hohen Backvolumen.

Michel machte deutlich, dass es diese Korrelation bei den neuen Sorten aber nicht mehr zwingend gibt. Denn es sind Sorten auf dem Markt, die trotz moderater Proteingehalte ein hohes Backvolumen bieten. „Diese Sorten wären eigentlich der Schlüssel für gute Vermarktungsmöglichkeiten und um gleichzeitig Umweltbelastungen zu minimieren“, fasst es Michel zusammen. Denn sie bringen hohe Backvolumen – „und das ohne exorbitante Qualitätsgaben, die ertraglich nichts bringen, sondern nur ein unnötiges Qualitätsmerkmal fördern sollen“.

Züchtungsfortschritt wird ausgebremst

Aber wenn es diese Sorten längst auf dem Markt gibt, warum setzt man dann nicht auf sie? „Weil der Handel diese Ware schlichtweg nicht akzeptiert“, erklärt Michel. Denn man halte immer noch unbeirrt an dem Qualitätsmerkmal Proteingehalt fest. Und das sei nicht nur für Qualitätsweizenerzeuger ärgerlich, sondern behindere die Überführung des Züchtungsfortschrittes in die Praxis. Denn was der Handel nicht akzeptiert, wird auch nicht angebaut. Das ist laut Michel übrigens kein neues Phänomen – erste Stimmen, die den Züchtungsfortschritt durch die Bestimmungen des Handels eingebremst sahen, wurden laut Michel schon vor 20 Jahren laut.

20 Jahre – fast so lange dauert es, um eine neue Weizensorte zu entwickeln, nämlich 12 bis 15 Jahre, wie Dr. Carsten Reinbrecht, Winterweizenzüchter bei der Saatzucht Streng-Engelen, erklärt. Das heißt, die Züchter müssen heute schon wissen, welche Sorteneigenschaften in 15 Jahren gefragt sind – ohne Glaskugel ist das eine ziemlich schwere Aufgabe.

Denken wir nur mal an die Eigenschaften, die in Zukunft wohl wichtiger werden – wir aber im Grunde genommen heute schon bräuchten. Da spielen drei Faktoren eine große Rolle: der Klimawandel und seine Auswirkungen, die engen Grenzen der DüV und die geringeren Möglichkeiten des chemischen Pflanzenschutzes durch wegfallende Wirkstoffe, Resistenzprobleme und das politische Bestreben, den Pflanzenschutzeinsatz zu reduzieren.

Klima und Politik erhöhen Ansprüche an die Sorte

Daraus ergeben sich beim Winterweizen sehr viele Zuchtziele. Carsten Reinbrecht nannte folgende:

  • trockentolerante Sorten: Hitze- und Dürreresistenz;
  • standfestere und resistentere Sorten: kurz und resistent gegen Halmbruch, sechs pilzliche Schaderreger Blatt, zwei pilzliche Schaderreger Ähre, ein bis zwei pilzliche Schaderreger Samen, zwei bis drei tierische Schaderreger;
  • Sorten mit erhöhter Nährstoff-Effizienz: N-effizient und P-effizient.

„So kommen wir auf 17 Merkmale, etwa zehn davon werden bereits in konventionellen Züchtungsprogrammen bearbeitet“, fasst Reinbrecht zusammen. Will man nun 17 Merkmale bearbeiten, so würde sich der Zeitaufwand für die Entwicklung einer Sorte (12 bis 15 Jahre) vervielfachen – und dabei sind die Faktoren Ertrag und Qualität noch gar nicht berücksichtigt.

Glücklicherweise verfügen die Züchter über Mittel und Wege, die Zeit zu verkürzen; Reinbrecht stellte einige vor. Mit ihnen könnte man dann für die Entwicklung einer Weizensorte mit den oben genannten Züchtungszielen 12 bis 20 Jahre zuzüglich drei Jahren Wertprüfung veranschlagen.

Um zu demonstrieren, dass man in seinem Züchterhaus schon gestern wusste, was die Praxis heute braucht, stellte Reinbrecht eine neue Sorte vor: Sie heißt „Absolut“, die Zulassung wird noch im Mai erwartet und die Sorte steht heuer in allen Landessortenversuchen. Der A-Weizen soll auch unter reduzierten N-Gaben gute Eiweißgehalte liefern, eine gute Resistenzausstattung mitbringen, frühreif sein und gute Erträge liefern.

Die Ergebnisse der Landessortenversuche werden zeigen, was Absolut kann. Und die Zukunft wird zeigen, ob Volker Michels Appell an Politik und Handel Gehör findet.