
Vor Schreck wäre ich fast rückwärts die Leiter heruntergefallen“, erinnert sich Petra Sandjohann an jenen Tag, als sie einen der älteren Obstbäume auf der Streuobstwiese geschnitten hat und sie plötzlich zwei Augen anstarrten - eine der Höhlen des Baumes hatte sich der Steinkauz als Nisthöhle ausgesucht.
Und auch wenn sie sich im ersten Moment erschreckt hat, ist die Freude bei Petra Sandjohann natürlich groß über diesen Gast auf ihrer Streuobstweise. Der Steinkauz ist in Bayern gefährdet und seine Anwesenheit ist „ein echter Ritterschlag für jede Streuobstwiese“, zeigt sich auch Matthias Luy begeistert. In Bayern gebe es nur 250 Brutpaare, erklärt er weiter.
Luy ist Landwirtschaftsreferent beim Landesbund für Vogelschutz (LBV) und gemeinsam mit weiteren Vertretern des LBV und Naturland zu Besuch auf dem Gut Obbach in Unterfranken.
Auf dem Betrieb von Petra Sandhojan und Berndhard Schreyer haben die beiden Verbände nämlich ihren Leitfaden Biodiversität offiziell vorgestellt. Er soll die Betriebe dabei unterstützen, individuelle und standortangepasste Maßnahmen zu finden, um die Förderung der Biodiversität künftig noch gezielter in den eigenen Betriebsablauf zu integrieren. „Er soll helfen, Ökölogie und Ökonomie noch besser zu vereinen“, wie Naturland Präsident Hubert Heigl erklärte.
Ökölogie und Ökonomie zu vereinen, gelingt dem Betriebsleiterpaar von Gut Obbach unter anderem bei der Bewirtschaftung ihrer Streuobstwiesen.
Zu den wichtigsten Maßnahmen gehört, dass jedes Jahr neue Bäumchen gepflanzt werden - die alten, ausgefallen Bäume aber stehen bleiben. Auch wenn sie umfallen, bleiben sie an Ort und Stelle, denn sie bieten für viele Arten ein wertvolles Habitat.
Kein Naturschutzmuseum, sondern Produktionsfläche
Ebenso wird nie die ganze Streuobstwiese auf einmal gemäht und über den Winter bleiben gezielt Streifen mit hohem Gras stehen - sie dienen als Winterqurtier für viele Arten. „Das alles macht nicht mehr Arbeit. Die Abläufe sind etwas anders, aber die Maßnahmen lassen sich gut integrieren“, betont Petra Sandjoahnn.
„Ebenso sind unsere Streuobstwiesen kein Naturschutzmuseum, sondern Produktionsfläche mit der wir einen Teil unseres Einkommens erwirtschaften“, macht sie deutlich. Naturschutz und Wirtschaftlichkeit schließen sich nämlich nicht aus - im Gegenteil: Nur wenn es gelingt, Naturschutz und Wirtschaftlichkeit zusammenzubringen, ist Naturschutz langfristig überhaupt erst umsetzbar, ist Petra Sandjohann überzeugt.
Die Ernte ihrer Streuobstwiesen vermarktet das Gut Obbach als Apfelsaft, Schorle, Cider und Essig über den eigenen Hofladen, den Lebensmitteleinzelhandel und Gastronomiebetriebe.
Wer es richtig gut machen will, muss Details kennen
Der Leitfaden widmet sich mehreren Bereichen der Landwirtschaft - unter anderem auch der Hofstelle, denn auch hier lässt sich schon mit geringen Maßnahmen ein wertvoller Beitrag für die Artenvielfalt leisten. Zum Beispiel das gezielte Stehenlassen von Brennesselecken.
Wer Schwalben an den Gebäuden ungestört nisten lässt, macht schon etwas richtig - was viele aber nicht wissen ist, dass sie auch auf unbewachsenen, offenen Boden angewiesen sind. Damit bauen sie nämlich ihre Nester, wie Luy erklärte.
„Und genau auf diesen Input der Fachleute sind wir angewiesen“, sagt Bernhard Schreyer. Denn oft mache man einfach aus dem Gefühl heraus schon etwas Gutes – „wenn man es aber richtig gut machen will, muss man die Details kennen. Und die liefert unter anderem der neue Leitfaden“, erklärt der Betriebsleiter.

Der Leitfaden hat natürlich auch Kapitel zu Grünland und zum Ackerbau. Darum führte Schreyer seine Gäste auch auf eine seiner Winterhaferflächen zur Saatguterzeugung. Die Initiatoren des Leitfadens lenkten den Blick auf die Ackerwildkräuter. Kurz gebückt, hatte der Naturlandberarter von Gut Obbach, Stefan Veeh, schon verschiedene Beikräuter aus dem Bestand gesammelt - Acker-Steinsame, Kamille, Ehrenpreis und Erdrauch.
Nun sei es von Haus aus so, dass auf Äckern ohne den Einsatz mineralischer Dünger und Pflanzenschutzmitteln eine größere Vielfalt an Ackerwildkräutern zu finden sei. Zusätzlich könne man die Beikräuter durch bestimmte Bewirtschaftungsmahmen fördern - die Maßnahmen hängen dabei natürlich von den vorkommenden Arten ab.
Naturlandpräsident Heigl zeigte sich begeistert von der Vielfalt der Ackerwildkräuter auf dem Acker des Gut Obbach. Nach seinen Worten besteht rund 30 % der Fläche Deutschlands aus Ackerflächen. „Angenommen, wir könnten auf dieser gesamten Fläche eine Vielzahl an Ackerwildkräutern etablieren, dann hätten wir eine riesige Blühfläche dazugewonnen, ohne dafür Acker aus der Nutzung zu nehmen“, sagte er.
Der LBV-Vorsitzende Norbert Schäffer ergänzte, dass die Ackerwildkräuter die Grundlage allen tierischen Lebens darstellen - und damit ein wichtiges Rädchen innerhalb eines funktionierenden Ökosystems sind.
Ernährungssicherheit und Artenschutz vereinen
Nun ist die Vorstellung des Leitfadens in eine Zeit gefallen, in der die Themen Lebensmittelknappheit, Ernährungssicherheit und Hunger auf der Welt unheimlich präsent sind. Der verstärkte Fokus auf die Artenvielfalt könnte einigen sauer aufstoßen. Dass es dazu keinen Grund gebe, erklärten beide Verbände - natürlich stehe die Ernährungssicherheit an erster Stelle.
Zudem gehe es bei dem Leitfaden ja darum, die landwirtschaftliche Produktion stärker mit dem Artenschutz zu verzahnen. „Es muss aber auch klar sein, dass wir gerade jetzt nicht den Artenschutz hinten runterfallen lassen können. Gerade in Krisenzeiten sind ein funktionierendes Ökosystem und eine intakte Natur besonders wichtig“, bekräftigte Norbert Schäffer.
Die Verbände planen weitere Leitfäden speziell für Wein, Obst und Gemüse - wollen wir hoffen, dass sich bis zu deren Vorstellung die Welt wieder in ruhigerem Fahrwasser befindet.