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Digitalisierung

Landtechnik: Alles schon Smart oder was?

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Helmut Süß
Helmut Süß
am Donnerstag, 05.11.2020 - 15:07

Der digitale Bauernhof (5): Sensortechnik, Automatisierung, Datenmanage-ment, die Präzisionslandwirtschaft hat vielfältige Potenziale. Kompatibilitätsprobleme zwischen Traktor und Anbaugerät sind leider immer noch vorhanden.

Für jeden Landwirt ist es selbstverständlich, dass er mit jedem Traktor, egal welche Herstellerfarbe, man jedes Anbaugerät an der Dreipunkthydraulik andocken kann und schon kann man mit der Arbeit beginnen. Mit modernen Traktoren und modernen elektronisch steuerbaren Anbaugeräten ist das leider noch nicht so selbstverständlich. Die mechanischen Verbindungelemente funktionieren, aber die elektronische Ansteuerung nicht immer. Warum ist das noch immer so?

Theorie und Praxis?

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Seit Anfang der 90er-Jahre steht der Begriff Precision Farming bzw. die Präzisionslandwirtschaft zunächst für lokale Ertragsmessung. Wenn man weiß, wo auf einer Teilfläche mehr oder weniger wächst, könnte man theoretisch mit diesen Informationen bzw. Daten die Bestände konsequenterweise teilflächenspezifisch bewirtschaften. Warum hat eine praktische Umsetzung der Präzisionslandwirtschaft so lange gedauert bzw. fängt erst jetzt in Teilbereichen an? Antworten bzw. Stellungnahmen dazu von Seiten der Praxis, Wissenschaft und Landtechnikhersteller darauf sind sehr unterschiedlich (siehe Kästen). Bei der Digitalisierung der Landwirtschaft bieten viele Firmen verschiedene Lösungsansätze an. Sie sehen Smart Farming als „Schrittmacher“ für die Landwirtschaft von morgen in Europa an. Das Tempo nimmt zu – und zwar rasant.

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Nur die verschiedenen Spurführungssysteme haben sich als erste GPS-Anwendungen in der breiten Praxis etabliert, denn der Nutzen ist hier schnell realisierbar. Das ist/war dann für viele auch der Einstieg in die Präzisionslandwirtschaft. Auch das Angebot an sensorgestützten Verfahren ist heute sehr groß. Ebenso bieten immer mehr Firmen Lösungsansätze im Bereich Vernetzung von Ackerschlagkarteien und oft internetbasierte Software mit den betriebswirtschaftlichen Daten für erfolgreichen Ackerbau. Hier sind viele Landwirte noch reservierter. Denn die Entwicklung verlief zunächst in oft firmenspezifischen Einzelprojekten bzw. Insellösungen. Und in der gelebten Praxis gab es und gibt es immer noch Abstimmungsprobleme trotz ISOBUS. Doch hier wollen die beteiligten Unternehmen für mehr Kompatibilität sorgen und offen sein für Zusammenarbeit. Denn alle haben das gemeinsame Ziel: Die Betriebe sollen mit Smart Farming effizienter wirtschaften können.

Anwendungsbereiche

Grundsätzlich umfasst das Dach des Smart Farming zwei Säulen bzw. Hauptbereiche: 1. Entscheidungsunterstützung bzw. Management und 2. das klassische Precision Farming.

Bei der Säule Entscheidungsunterstützung/Management finden sich als Unterpunkte:

  • Farmmanagement-Informationssysteme: wie z. B. digitale Ackerschlagkartei, Dokumentation, Flottenmanagement und betriebswirtschaftliche Analysen.
  • Agrar-Apps: wie Wetter, Marktinformationen, Pflanzenschutzinformationen, Maschineneinstellungen
  • Digitale Marktplätze: z. B. Gebrauchtmaschinenbörsen, Betriebsplattformen, Vermarktungsplattformen und Nährstoffbörsen.

Zu Precision Farming zählen die drei Hauptpunkte:

  • Automatisierung beinhaltet z. B. Teilflächenschaltung, Einzeldüsenschaltung, Anbaugerätelenkung und Steuerung sowie Fernüberwachung oder Online-Service und Wartung.
  • Die Feldrobotik beinhaltet Spurführung, spezialisierte Farmroboter oder autonome Fahrzeuge etc.
  • Zur teilflächenspezifischen Bewirtschaftung zählen teilflächenspezifische Bodenbearbeitung, Applikation von Betriebsmitteln, differenzierte Ernte oder auch das Controlled Traffic-Farming.
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Das Bestandsmanagement ist zugleich das Hauptelement der klassischen Präzisionslandwirtschaft. Hierzu gehören zunächst der Kartenansatz und der Sensoransatz sowie darauf aufbauend eine Kombination beider Ansätze. Aus Applikationskarten und/oder Echtzeitsensoren wird dabei die Bedarfssituation eines Pflanzenbestandes ermittelt und darauf aufbauend eine teilflächenspezifische Bearbeitung oder Applikation durchgeführt.

Ziel der Weiterentwicklungen beim Bestandsmanagement ist es, Informationen, die ein Sensor in Echtzeit erfasst oder über Biomassekarten (z. B. Satellitenbilder), mit Informationen über die jeweiligen Bodenverhältnisse, die Witterung oder auch den spezifischen Intensitätsanspruch des Schlages zu verknüpfen und im Hintergrund zu Optimalwerten verrechnen zu lassen, um noch genauer auf die jeweiligen Verhältnisse reagieren zu können. Dafür werden unterstützende Assistenzsysteme benötigt.

Gerade im Bereich Maschinensteuerung, automatische Teilbreitenschaltung oder Integration von Sensoren ist in letzter Zeit viel Bewegung von Seiten der Landtechnikhersteller: automatische Lenksysteme in Kombination mit Controlled Traffic oder das Tractor Implement Management (TIM). Beim TIM steuern die Sensorinformationen vom Anbaugerät den Traktor bzw. Schlepperfunktionen. Die verschiedenen Funktionen sollen im Hintergrund ablaufen, um dem Fahrer die Arbeit zu erleichtern.

Vor- und nachgelagerter Bereich verknüpft

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Längst gibt es auch Möglichkeiten, die vor- und nachgelagerten Bereiche, sprich Hersteller, Lieferanten, Berater und Kunden der Erzeuger, mit den landwirtschaftlichen Betrieben digital zu verknüpfen. Gerade in diesem Punkt ist aber deutliche Skepsis zu spüren. Fragt sich doch der Landwirt, wer Zugriff auf seine Daten hat und wie sie von wem verwendet werden sollen und könnten. All das gilt es noch grundlegend zu klären.

Laut den Experten birgt die Digitalisierung Potenziale entlang der gesamten landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette. So lassen sich beispielsweise Aussaat, Ernte(-logistik), optimierte Maschinenauslastung und Qualitätssicherung miteinander vernetzen.

Der tägliche Einsatz von Maschinen lässt sich mittels Telemetrie-Lösungen weiter optimieren. Ein Ziel vom System Smart Farming ist, indem bestimmte Einzelfunktionen und -techniken, die es bereits gibt, noch einfacher und komfortabler bedienbar und gleichzeitig in ein Gesamtsystem integriert werden: Effizienz anstatt Kapazität zu steigern. Das heißt ein effizientes und optimales Verhältnis von Input und Output mit intelligenten und zielorientierten Analysieren, Planen und Beobachten zu schaffen.

Smarte Lösungen

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Zu den ersten Anwendungen zählte, bei Aussaat und Düngung eine höhere Präzision zu erzielen. Denn große Flächen unterliegen Schwankungen in der Bodenqualität und im Nährstoffgehalt. Der Vorteil einer teilflächenspezifischen Bewirtschaftung ist das Zusammenspiel von Satellitenortung, Software und Pflanzenbauwissen, um Saatgut und Dünger zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, in der richtigen Menge in den Boden zu bringen. Teilflächenspezifische Aussaat von Mais oder Getreide: Auf Basis von Biomassepotenzialkarten wird die Anzahl der Saatkörner exakt auf die Bodenbeschaffenheit angepasst. Das soll den Ertrag optimierten bei vermindertem Ressourceneinsatz.

Insbesondere in den Bereichen Pflanzenschutz, Düngung und Sätechnik bieten die Hersteller von Düngerstreuern und Feldspritzen zahlreiche Lösungen für das Smart Farming an. Ein im Bereich des Smart Farming typisches Beispiel ist hier die automatische Vorgewende- und Teilbreitenschaltung oder die elektrische Einzeldüsenschaltung mit den Vierfach-Düsenkörpern. Damit kann man z. B. die einzelnen Düsen am Spritzgestänge mit unterschiedlichen Intensitäten fahren und somit ganz spezifisch und kleinräumig auf unterschiedliche Begebenheiten auf der Fläche eingehen.

Als Schnittstelle zwischen dem Anwender und den Maschinen gehören zunächst die Terminals zum Smart Farming. Manche Hersteller verfolgen hier die Strategie, mit unterschiedlichen Terminals für jeden Betrieb eine optimal passende Lösung anzubieten. Die Palette beginnt bei den maschinenspezifischen Terminals, mit denen man jeweils eine Maschine bedienen kann, über maschinenübergreifende ISOBUS-Terminals, sodass man die ISOBUS-Maschinen von anderen Herstellern ebenfalls damit bedienen kann. Neu hinzu gekommen ist der Einsatz von iPads.

Daten aufbereiten

Smart Farming kann nur dann erfolgreich sein, wenn die essenziellen Daten gesammelt, aufbereitet und miteinander verknüpft werden. Das System sollte dabei modular aufgebaut sein, damit man auch nachträglich weitere Funktionen und Geräte in dieses System einbinden kann.

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Zurzeit erfolgt bei der teilflächenspezifischen Ausbringung der Datenaustausch vielfach über einen USB-Stick, sodass man beispielsweise Applikationskarten laden und parallel dazu mit der Teilbreitenschaltung fahren kann. Die Nutzung von Shape-Dateien ist ebenfalls möglich. Sie sind ein weltweiter Standard zur Definition von geografischen Daten, mit deren Hilfe man heute über moderne grafische Ackerschlagkarteien Applikationskarten erzeugen kann. Sinnvoll ist dabei, alle Daten über den ISOBUS und XML-Dateien zwischen dem Hof-PC oder einer Cloud einerseits und dem Terminal andererseits auszutauschen. Dieser Austausch kann sowohl per USB-Stick als auch drahtlos erfolgen.

Zudem sind die frei zugänglichen Service-Tools auf den Hersteller-Homepages Bestandteile des Smart Farming. Das Tool „ELearning“ hilft zum Beispiel die verschiedenen Funktionen der immer komplexer werdenden Maschinen kennenzulernen oder sogar zu trainieren.

Die Digitalisierung verbreitet sich in beeindruckender Geschwindigkeit. Die moderne digitale Welt ist inzwischen allgegenwärtig, sichtbar an der mobilen Kommunikation, den intelligenten Geräten und einer vielfältigen Vernetzung. Fachleute sprechen auch von einer neuen Ära in der Landwirtschaft. Aber die Landwirte brauchen praxisgerechte Lösungen, die auch bei unterschiedlichen Geräten und Schleppermodelle funktionieren.