Die vier deutschen Strom-Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) Tennet, 50Hertz, Amprion und TransnetBW bauen im Auftrag der Bundesnetzagentur momentan Deutschlands Höchstspannungsnetze massiv aus. Für den Betrieb von Drehstrom- und Gleichstrom-Übertragungen bekommen sie eine gesicherte Eigenkapital-Rendite von immerhin noch 6,91 %. Das müsste die Konzerne eigentlich reizen, möglichst viele solcher Strom-Nord-Süd-Korridore zu bauen.
Doch ausgerechnet Klaus Kleinekorte, Mitglied der Geschäftsführung des ÜNB Amprion GmbH, erklärt auf dem FNN-Kongress: „Der Nord-Süd-Korridor sorgt nur für den Transport der Volatilität von Nord nach Süd. Da wird nur ganz viel Geld in die Hand genommen, damit der Strom nicht mehr hinterm Deich liegt.“ Wer es nicht weiß, könnte meinen, dies ist das Statement eines Trassengegners.
Bekanntlich treten seit Jahren quer durchs Land Initiativen gegen die Pläne für Höchstspannungsleitungen auf. Sie stellen Trassenkreuze auf, ziehen lokale Politiker auf ihre Seite – und mit vielen Landwirten sind sich regionale Energieversorger einig: Vor Ort erzeugter Strom aus Wind, Sonne oder Biomasse könnte in Verbindung mit Speichern viele dieser neuen Leitungstrassen überflüssig machen.
Netzentwicklungspläne laufen unkoordiniert nebeneinander her
Nun redet sogar Klaus Kleinekorte in Nürnberg über eine „koordinierten Sektorenkopplung“. Nach seinen Worten liefen bislang Europas 10-Jahres-Netzplan und Deutschlands Strom- und Gas-Netzentwicklungspläne unkoordiniert nebeneinander her. „Das schafft weitere parallele Autobahnspuren. Wir müssen aber langfristig denken.“ Deshalb zeigt Kleinekorte auf „die bestehende Gasinfrastruktur. Da werden künftig Rohre frei.“
Diese Rohre könnten genutzt werden um Wasserstoff (H2) zu transportieren. „Strom als Strom verwenden ist natürlich optimal. Aber Alternative Energie abregeln, das ist verschenkte Energie“, kritisiert der Amprion-Chef die aktuelle Abschalt-Praxis für lokale Wind- und Solar-Kraftwerke, wenn die Netze voll sind. Er will lieber „den Überschussstrom in H2 speichern“. Das Zauberwort dafür ist: Power to Gas (P2G) – die Elektrolyse von Wasser durch Ökostrom zu H2.
Klaus Kleinekorte sieht darin ein „volkswirtschaftliches Interesse. Alles mit H2 machen ist dagegen keine Lösung“ für ihn. Der ÜNB-Manager will so jedenfalls „die Erneuerbaren Energien (EE) grundlastfähig machen. Wir müssen uns wirklich deren Volatilität untertan machen,“ formuliert er, was es für ihn bedeutet, EE-Strom ins Netz zu integrieren.
Schwankende EE-Einspeisung ausgleichen
Auch Stefan Küppers, als Geschäftsführer beim Verteilnetzbetreiber (VNB) Westnetz unter anderem für Digitalisierung und Energiewirtschaft zuständig, lobt „die großen Chancen dieser Sektorenkopplung“. Sie könne schwankende EE-Einspeisung ausgleichen, der Netzausbau auf allen Spannungs-Ebenen würde optimiert und damit billiger werden, und P2G mache die Überschuss-Speicherung möglich. Dafür sei aber „Digitalisierung als wichtigstes Werkzeug“ notwendig, hebt Küppers hervor.
Torsten Falk, vom Bundeswirtschaftsministerium sieht sein Ministerium zwar „bei den Themen Betrieb und Optimierung der Stromnetze zu 95 % in Übereinstimmung mit dem FNN“. Wer Falk zuhört, bekommt jedoch das Gefühl: Im Vordergrund der Politik steht das Kohleausstiegsgesetz. Erst danach kommen Einzelaspekte wie „EEG-Umlage absenken“ oder „Beschleunigung beim Netzausbau. Wie aber auf die Betroffenen zugegangen werden soll, zum Beispiel auf Landwirte, über oder unter deren Böden die Leitungen verlegt werden sollen, dazu sagt er nichts. Und dass es Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die hiesige Netzplanung wegen möglicher Nichteinhaltung der völkerrechtlichen Aarhus-Verträge gibt, davon hat Falk noch nichts gehört.
Das Stromnetz mit seinen zigtausend verteilten Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen entwickelt sich ziemlich dynamisch. Ob mit oder ohne politische Regelungen. Wenigstens gebe es „als Roten Faden für die notwendigen Entwicklungen das FNN-Szenario 2030“, erwähnt Stefan Küppers. Dieses sei nicht statisch, sondern werde ständig angepasst. Aber auch von ihm kein Wort zu den Grundbesitzern und deren Vorstellungen.
Einigkeit bei rechtlichen Rahmen
Dagegen sind sich offensichtlich alle Netzbetreiber – ob ÜNB oder VNB – einig in der Forderung, die Politik müsse dringend rechtlich sichere Rahmen für die Sektorenkopplung Strom-Gas-Mobilität schaffen. Denn, wie es Matthias Sturm von der Thüringer Energie AG ausdrückt: „Wir Deutschen sind nicht mehr Vorreiter der Energiewende. Jetzt dreht sich die Sache um.“ Sprich: Im Ausland werden EE massiv ausgebaut, bei uns bremst die Politik. Aber: „Wir können unsere Erfahrungen der EU-Allgemeinheit zur Verfügung stellen“, so Sturm. Wir waren schließlich einmal vorndran.
Gerade in der E-Mobilität sehen Netzbetreiber Chancen, Sektoren zu koppeln, also EE-Strom möglichst dann zu speichern, wenn er im Überfluss vorhanden ist. Um die Verbraucher hierfür zu begeistern, hat FNN Shary Reeves engagiert. Die ist als Moderatorin der WDR-Serie „Wissen macht Ah!“ gerade der U30-Generation bekannt. Nun erklärt sie auch Älteren, „wie der Stromkunde der Zukunft mit Energie umgeht“. Einige Dreieinhalb-Minuten-Erklärfilme mit Shary zu E-Autos, Stromnetzen und mehr stehen bereits online.
Doch Werbung allein reicht nicht, damit Elektroautos den Straßenverkehr wirklich dominieren und die Netzbetreiber sie als steuerbare Stromspeicher nutzen können: „Wir brauchen echte Anreizmechanismen.“
Das Potenzial wiederum wirkt gigantisch: Wenn denn einmal 10 Mio. E-Autos unterwegs sind, mit jeweils 40 kWh Batterien, können die eine Strommenge von 400 GWh speichern. „Das ist zehnmal so viel wie alle Pumpspeicher hierzulande zusammen“, rechnet Diefenbach vor.
„Offenbar sind wir zu lieb. Wie schaffen wir es, auch gehört zu werden? Stattdessen steht der Kohleausstieg im Blick der Politik“, resümiert Küppers enttäuscht .