
Die Energiekrise geht alle an, egal ob Privatpersonen, Industriebetrieb oder öffentliche Hand. Alle Entscheider sorgen sich um Energiesicherheit und hohe Energiekosten. Konsens ist, dass alle verfügbaren Energiequellen genutzt werden sollen. Die Beschränkungen für die Stromproduktion aus Biogas werden gelockert und es kann mehr eingespeist werden.
Doch führen mögliche Mehreinnahmen auch zu einer höheren Rendite? Welchen Wert hat Gärrest unter den aktuellen Rahmenbedingungen? Welche Perspektiven hat Biogas auf dem Energiemarkt? Diese Themen wurden Ende Oktober beim 11. Biogastag, veranstaltet vom Fachzentrum für Energie- und Landtechnik und vom Fachverband Biogas, mit Fachvorträgen beleuchtet und diskutiert.
Gülle ansäuern, um sie zu stablisieren

Zum Auftakt stellte Hans-Jürgen Frieß, Fachzentrum für Energie und Landtechnik Triesdorf, die Projekte und Aktivitäten in Triesdorf vor. Hier wird gerade ein neues Modell- und Demonstrationsvorhaben zur Ansäuerung von Gülle und Gärrestrückständen während der Ausbringung in wachsende Bestände, kurz „Säure +“ im Feld vorbereitet bzw. initiiert.
Am Nachmittag ging es im Fachvortrag von Dr. Michael Tröster, Fachzentrum für Energie und Landtechnik, um den aktuellen (Substitutions-)Wert von Gärrest sowie im Referat der Biogasberaterin Sophia Heinze vom Fachverband Biogas um die vielfältigen und sich oft ändernden rechtlichen Auflagen. Auch Dr. Stefan Rauh, Fachverband Biogas, beleuchtete die momentanen Perspektiven von Biogas am Strommarkt.
Energie als Krisenfaktor in Deutschland

Sehr interessant waren die zentralen Impulsvorträge unter dem Motto „Energie als Krisenfaktor in Deutschland“. Sie beleuchteten die aktuelle Situation aus vier Perspektive: der Gesellschaft, eines regionalen Unternehmens, eines Energieversorgers sowie des Branchenverbandes.
Unter dem Thema „Energie als Krisenfaktor in Deutschland aus der Perspektive der Gesellschaft“ erörterte Nobert Bleisteiner, Leiter des Fachzentrums für Energie und Landtechnik, die aktuelle Situation: „Die Disruption in Märkten und der Gesellschaft wurde durch den Ukrainekrieg seit 24. Februar verstärkt. Mit der Konsequenz einer Energiemangellage bei Gas und Strom, gefährdeter Versorgungssicherheit beziehungsweise Blackout-Gefahr sowie einer Energieabhängigkeit im Winter vom Ausland und einem enormen Preisanstieg.“
Als Beispiel führte er die Verdoppelung bis Verdreifachung der Preise nicht nur im Strommarkt an, denn hinzu kommen eine allgemeine Inflationsrate von rund 10 %, Anstieg der Zinssätze, z. T. bereits Kurzarbeit und Preissteigerungen bei Lebensmitteln sowie Baukostensteigerungen. Wie reagieren die Gesellschaft und die Politik hierauf? Die Verbraucher sparen bei Lebensmitteln. So ist ein Rückgang des Fleischkonsums und regionaler und Bioprodukte zu verzeichnen. „Die Politik hofft auf einen milden Winter“, so Norbert Bleisteiner, „und hat Beschaffungsmaßnahmen für Flüssiggas sowie Kohlekraftwerke aktiviert und den Streckbetrieb der drei Atomkraftwerke und einen Rettungsschirm von 200 Milliarden Euro beschlossen.“
Stetig kursierende Teller-Tank-Trog-Diskussion
Aber auch die Teller-Tank-Trog-Diskussion sowie Extensivierungsmaßnahmen und die Reduktion in der Tierhaltung wie die Halbierung der Tierbestände werden laut Bleisteiner intensiver diskutiert, ebenso die Flächenkonkurrenz zwischen Biokraftstoffen und Biogas oder etwa die Reglementierungen bei Holz. Mit Blick auf die Zukunft stellte Bleisteiner die Frage: „Sind die Klimaziele noch erreichbar?“ Dabei forderte er, dass der Netzausbau ein zentrales Element für einen zielführenden Ausbau erneuerbarer Energien sei. Auch seien eine Priorisierung der Erzeugung von erneuerbaren Energien und direkter bzw. regionaler Verbrauch elementar.
Man müsse zusätzlich eine Intensivierung und Konzentration der Netzausbaukapazitäten auf den höchsten Wirkungsgrad ansteuern, das heißt die tatsächliche Nutzung des Stroms, Kostenminimierung sowie Kapazitäteneinsatz in Einklang bringen. „Dazu ist eine übergeordnete Planung notwendig! Auch das Planungs- und Umsetzungsverfahren muss deutlich vereinfacht werden“, empfiehlt Norbert Bleisteiner.
Sein Fazit für zukünftige Strategien: „Eine ganzheitliche Betrachtung sowie Pragmatismus vor Ideologie und eine multifaktorielle Konzeption müssen die Ziele sein. Dabei ist es außerdem wichtig, Kommunen, Energiewirte und Bürger an der Wertschöpfung zu beteiligen. Hier sollte eine intensive, ehrliche und transparente Kommunikation mit den Bürgern erfolgen.“
Der Blickwinkel eines Energieversorgers
Als Vertreter eines Energieversorgers sprach Heiko Linder von N-ergie: „Die gesamte deutsche Energiewende war auf die Prämisse von hohen Erdgaslieferungen aus Russland gebaut.“ 95 % des in Deutschland benötigten Erdgases werden importiert. Die wesentlichen Herausforderungen sind laut Linder: „Der Ausbau des Stromverteilnetzes dauert deutlich länger als der Ausbau der erneuerbaren Energien. Diese unterschiedlichen Zeiträume der Maßnahmenumsetzung führen zu exponentieller Zunahme von Abregelungen und aufgrund hoher Strompreise zu extremen Kosten“, erklärte der Leiter der N-ERGIE Konzernkommunikation. Ein koordinierter Zubau sei unerlässlich und kommunale Energienutzungspläne seien Teil der Lösung.
Heiko Linders Fazit: „In den nächsten Jahren ist mit kritischen Versorgungslagen in Deutschland zu rechnen. Trotz politisch beschlossener Entlastung werden auf die Kunden deutlich höhere Energieausgaben zukommen. Nur ein koordinierter massiver Zubau von erneuerbarer Energien kann langfristig das Energieproblem lösen.“
Energiemanagement für Unternehmen
Jürgen Roth ist der Leiter Technischer Einkauf bei der Firma Hans Kupfer & Sohn, er gab die Sicht bzw. Probleme eines regionalen Unternehmens wieder. Die Firma Kupfer in Heilsbronn gibt es seit 1906. Sie ist als großer Wurstfabrikant über die Region hinaus bekannt. „Die Energiekrise hat uns kalt erwischt, da wir hohe Energieverbräuche haben: 31 Millionen Kilowattstunden Strom sowie 37 Millionen Kilowattstunden Gas sind in der Wurstproduktion pro Jahr nötig. Den Gasverbrauch haben wir durch eigenen Strom aus PV-Modulen teilweise ersetzt. Ein weiterer wichtiger Ansatz zum Energiesparen war, die Temperatur und den Druck beim Dampfgaren deutlich zu senken. Die Qualität durfte allerdings nicht darunter leiden.“
Jürgen Roth stellte klar, dass das Familienunternehmen ein Energiemanagement aufgebaut hat. Dabei werden Konzepte erstellt und geprüft, wie man eventuell die Energiekrise auch als Chance nutzen könnte. Es müsse ein Umstellen im Bereich Energie erfolgen. So sollen der Zeitpunkt des Einkaufes von Strom optimiert werden, die Versorgungssicherheit gewährleistet und die Produktion energieoptimiert umgestellt werden. „Unser konkreter Plan ist, zukünftig noch mehr Eigenstrom aufzubauen. Ein weiterer Ansatz ist, dass eine eigene Biogasanlage in die betriebseigene Kläranlage integriert wird. Unser ambitioniertes Ziel ist, Geld zu sparen und CO2-Neutralität anstreben“, erklärte Jürgen Roth: „Das Transformationskonzept beruht auf regenerativer Energie mit Biokraftanlagen und Biogasanlagen. Zukünftig gilt es nicht nur, wie man Wurst produzieren, sondern auch möglichst klimaneutral wirtschaften kann.“
Perspektiven von Biogas am Strommarkt

Stellvertretend für den Branchenverband referierte Dr. Stefan Rauh, Geschäftsführer Fachverband Biogas, über die Perspektiven von Biogas am Strommarkt. „Durch den Ukraine-Krieg kam es zu neuen Strömungen in der Bundesregierung, denn es kam zum Teil zu extrem hohen Energiepreisen“, so Rauh.
Er kritisierte: „Die Politik sucht nach Lösungen, dabei ist Biogas Teil der Lösung.“ Biogas stehe nach wie vor im Spannungsfeld: mehr Energie bzw. Klimaschutz versus Fläche für Nahrung bzw. Biodiversität sowie Fläche für Ökolandbau und Extensivierung.
Für Dr. Stefan Rauh war die nationale Politik im Frühjahr mit dem Osterpaket und dem Fokus auf Biomethan absolut ernüchternd. Zu diesem Zeitpunkt war die Not noch nicht groß genug, so Rauh.
Biogas wurde sehr kritisch gesehen, insbesondere in den Arbeitsebenen der Ministerien. Eine Vor-Ort-Verstromung werde nicht als Lösung gesehen. Die Mais- und Tank-Teller-Diskussion war nicht zu überwinden. Dabei sei es Zeit für einen Strategiewechsel, zumal die Förderung über das EEG aktuell eher nur eine Absicherung sei.
„Aufgrund des Ukrainekrieges veröffentlichte die Europäische Kommission am 18. Mai ihren Plan, wie die EU die Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen beenden kann“, berichtete Dr. Stefan Rauh. Er fußt auf vier Säulen:
- Energieeffizienz – mit einem höheren EE-Ziel und Verhaltensmaßnahmen,
- Diversifizierung der Versorgung – gemeinsame Beschaffung von grünem Wasserstoff, LNG und (Bio-)Gas von zuverlässigen Handelspartnern,
- Beschleunigung der Energiewende – höhere Ziele für erneuerbare Energien,
- Investitionen und Reformen – überarbeitete Konjunktur- und Resilienzpläne, Ad-hoc-Zuschüsse für REPowerEU und Aufforderunge zur Einreichung von Vorschlägen im Rahmen der wichtigsten EU-Finanzierungsprogramme.
Insgesamt sollen Biogas und Biomethan verdoppelt werden. Mitgliedsstaaten müssen Biomethanaktionspläne erstellen. Rauhs Fazit zur Europapolitik: „Biogas und Biomethan haben einen deutlichen Rückenwind und sind Teil der EU-Strategie. Der EU-Fokus liegt auf nachhaltigen Substraten – Stichwort Green Deal.“
Für Deutschland werden im REPowerD-Biogas-/Biomethanaktionsplan folgende Ziele aufgeführt:
- größere Unabhängigkeit Deutschlands von fossilen Gasimporten;
- Diversifizierung der Versorgung mit grünem Gas,
- schnelle Umsetzung durch Nutzung des bestehenden Biogas-/Biomethananlagenparks,
- Ausbau der Biogas-/Biomethanproduktion von 100 auf 130 TWh in 2030, davon 65 TWh Biomethan; der Energieoutput kann durch Ergänzung von Power-to-Gas um 60 TWh erhöht werden. Kurzfristig lassen sich 24 bis 32 % des russischen Gases ersetzen, langfristig sogar 29 bis 41 %;
- Beginn der Transformation bei der Substratbasis von klassischen Energiepflanzen zu RED-III-konformen Substraten.
Biogas liefert Strom für 10 Millionen Haushalte
Dabei legte Rauh die Angebote der Biogasbranche für den kommenden Winter vor:
- Knapp 10 000 Biogasanlagen produzieren bedarfsgerecht Strom für fast 10 Millionen Haushalte und Wärme für mehr als 1 Million Haushalte.
- Viele Anlagen können kurzfristig ihre Gas-, Strom- und Wärmeproduktion erhöhen und so den Erdgasbedarf reduzieren, um die Gasspeicher im Winter zu schonen.
- Das kurzfristig mobilisierbare technische Potenzial wird auf eine Steigerung von durchschnittlich 20 % geschätzt, insgesamt also zusätzliche 19 TWh Biogas bzw. 7 TWh Strom, was knapp 4 %der russischen Erdgasimporte vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine bzw. dem Stromverbrauch von zwei Million Haushalten entspricht.
- Um dieses Potenzial zu heben, sollten regulatorische Einschränkungen für eine Erhöhung der Energieproduktion kurzfristig und befristet ausgesetzt werden.
Abschließend zog Dr. Stefan Rauh folgendes Fazit: „Die Politik hat endlich die Bedeutung von Biogas in der Notlage erkannt und geht Veränderungen im Sinne der Branche an. Sie gibt aber keine eindeutigen Signale, wie zum Beispiel der Konflikt Energie- kontra Umweltpolitik angegangen werden soll. Ein weiterer Abbau von Hemmnissen muss folgen. Aber die Politik hat auch klar signalisiert, dass ein ‚einfach so weiter wie bisher‘ nicht gewünscht ist, insbesondere mit Fokus auf den Einsatz von Energiepflanzen. Die Branche kann jetzt ein überzeugendes Angebot machen, das für beide Seiten attraktiv ist und Rahmenbedingungen zulässt, die stabil sind und die Krise überdauern. Doch das Damoklesschwert ‚Zufallsgewinn‘ könnte alles zunichtemachen.“
Alle Vertreter stellten sich bei der anschließenden Podiumsdiskussion den zahlreichen Fragen der Besucher. Die rege Diskussion und das volle Forum in Triesdorf zeigten, dass die Energiekrise und Biogas brandaktuelle und brisante Themen sind.