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BBV-Ackerbauabend der Erzeugerwoche

Energiekrise: Herausforderungen und Chancen für Landwirte

Ackerbauabend-Herrsching-2022-02: Ein Mann und eine Frau im Gespräch auf einer Bühne.
Bettina Hanfstingl
am Freitag, 25.11.2022 - 11:15

Risiken und Chancen in der Landwirtschaft während der Energiekrise: Beim Ackerbauabend des BBV, während der Woche der Erzeuger und Vermarkter in Herrsching, gab Volkswirtschaftsexpertin Sylwia Bialek einen Überblick.

Deutliche Worte zur drohenden Energiekrise wählte BBV-Präsident Günther Felßner beim Ackerbauabend im Rahmen der Woche der Erzeuger und Vermarkter in Herrsching am Ammersee. Man frage sich, ob die Bundesregierung hier so schlecht beraten sei, oder ob sie auf ihre Berater schlicht nicht höre. Gerade würden vor allem im Energiebereich neue Abhängigkeiten geschaffen, anstatt die inländische Versorgung zu stärken. In der Regel sei es auch so, dass relevante Branchen bei Schwierigkeiten gestützt würden, bei der Landwirtschaft merke man davon aktuell jedoch nichts. Die Herausforderungen, etwa durch die neue GAP, würden im Gegenteil sogar steigen.

Landwirtschaft erhält kaum Aufmerksamkeit in der Energiekrise

Gerichtet waren diese Fragen an die Referentin des Abends, Ph. D. Sylwia Bialek, Referentin für Umwelt- und Energiepolitik. Sie sitzt im wissenschaftlichen Stab des deutschen Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Bialek bestätigte, dass sie persönlich es von ihrer volkswirtschaftlichen Perspektive aus auch so wahrnehme, dass die Landwirtschaft in der Energiekrise wenig politische und öffentliche Aufmerksamkeit erhält. Sie rief dazu auf, noch intensiver darauf hinzuarbeiten, dass gewisse Agrarprodukte als relevant eingestuft und deutlich gestützt werden. Vorhaben wie der geplanten Gewinnabschöpfung bei Biogasanlagen erteilte Bialek eine Absage. Ihr Gremium habe der Bundesregierung auch mitgeteilt, dass dies nicht der richtige Weg sei. „Die Bundesregierung war generell nicht zufrieden mit unserem jüngsten Lagebericht“ erklärte die Volkswirtschaftsexpertin.

Eine wirtschaftliche Rezession trete nur deshalb nicht in diesem Kalenderjahr ein, da das erste Halbjahr 2022 noch gut verlaufen sei. Im kommenden Jahr werde das Wirtschaftswachstum jedoch sehr wahrscheinlich sinken, und die Lage werde sich auch so schnell nicht erholen. Dadurch sinke auch die Kaufkraft der Konsumenten, der Absatz in den oberen Preissegmenten werde beeinträchtigt werden. Erst etwa im Jahr 2025 sei eine Stabilisierung, ein sogenanntes „new normal“ zu erwarten – Rahmenbedingungen wie in den vergangenen Jahren vor der Krise seien jedoch künftig nicht mehr zu erwarten. „Es gilt nun, die nächsten zwei, drei Jahre bis zu diesem „new normal“ zu überbrücken“, skizzierte Bialek die kommenden Herausforderungen. Die Landwirtschaft habe aber immer wieder bewiesen, dass sie anpassungsfähig sei.

Fünf Herausforderungen für die Landwirtschaft, die Energiekrise zu meistern

Die einzelnen Sparten der Branche seien von den drohenden Herausforderungen im Energiebereich sehr unterschiedlich betroffen. „Für einige von Ihnen wird das Ganze gut ausgehen“ erklärte Bialek. Welche Betriebe das sein werden, könne man anhand von fünf Aspekten näher betrachten.

  1. Der erste Punkt sei die vertragliche Sicherung der Stromversorgung der Betriebe, führte Bialek aus. Es habe sich aktuell gezeigt, dass kleinere Unternehmen, darunter die meisten Landwirtschaftsbetriebe, tendenziell längerfristige Stromverträge haben als große. Bei bestehenden Verträgen sei es den Stromversorgern so bisher noch nicht möglich gewesen, die gestiegenen Preise im Großhandel weiterzureichen – ein Vorteil für diese Abnehmer, der mittelfristig jedoch wegfällt.
  2. Ebenfalls eine große Rolle spiele der Grad der Energieintensität der Produktion, der zwischen, aber auch innerhalb der Sparten stark schwanke. So entfielen etwa bei der Herstellung von Fetten und Ölen zwischen unter zwei bis über neun Prozent der Gesamtherstellungskosten auf den Energieverbrauch. Ähnlich sei es bei der Kartoffelverarbeitung. Bei Mahl- und Schälmühlen liege der Anteil der Energiekosten an den Gesamtkosten unter vier Prozent, bei der Milchverarbeitung sogar unter drei Prozent. Eine große Rolle spiele in diesem Zusammenhang jedoch auch die Art der eingesetzten Energieträger – und das sei in der Milchverarbeitung zu einem hohen Anteil das Erdgas, ebenso wie bei der Herstellung von Ölen, Fetten, Bier, Malz und Fruchtsäften.
  3. Als dritten Punkt analysierte Bialek die Möglichkeiten für Erzeuger, gestiegene Energiekosten über die Erzeugerkosten an die Abnehmer weiterzugeben. Das hänge davon ab, inwieweit die Konsumenten auf ähnliche, andere Produkte ausweichen können. Im Lebensmittelbereich sei dies zum Beispiel bei Biofleisch oder Tomaten zu erwarten. Bialek erklärte, dass in anderen Teilen der Welt die Energiekosten bei weitem nicht so stark gestiegen seien – das eröffne diesen Ländern vor allem bei transportfähigen Lebensmitteln einen Wettbewerbsvorteil, wenn hierzulande die Endverbraucherpreise angehoben werden. Ebenso sei es natürlich möglich, dass die Konsumenten auf bestimmte Produkte ganz verzichten und diese Märkte schrumpfen.
  4. Einzelbetriebliche Anpassungsmöglichkeiten an die veränderten Bedingungen in der Energieversorgung seien ein weiterer Aspekt, erklärte Bialek. Neue Energiekonzepte, die bisher unrentabel erschienen, könnten sich nun rechnen. Auch die Relevanz vom Biogas werde wieder zunehmen. Diese Energieform sei jedoch in der politischen und öffentlichen Diskussion nach wie vor umstritten. Von den kommenden politischen Gesprächen werde deshalb sehr viel abhängen.
  5. In diesem Zusammenhang stehe auch der fünfte Punkt: die zukünftige politische Unterstützung der Betriebe in Bezug auf die Energiekosten. Hier gelte es, gute Kompromisse zu finden, die nicht zu einer Drosselung der Energiesparanreize führen. Bei der Weiterentwicklung der Energiepolitik werde es spannend zu sehen, wie Biogas und Technologien wie der Einsatz von Wasserstoff positioniert werden. Auch die CO2-Steuer werde Kalkulationen im Transportwesen verändern, das sei ein Vorteil für inländische Transportketten.

Magisches Dreieck: Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit

BBV-Präsident Felßner erklärte, in seiner Wahrnehmung werde die Krise leider immer noch nicht genutzt, um inländische Strukturen, auch in der Energieversorgung, zu stärken. Er hoffe, dass bei den kommenden Entscheidungen das magische Dreieck aus Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit die Maßgabe ist. Felßner appellierte an Frau Bialek, in Beratungen ihre Stimme für die Landwirtschaft zu erheben. „Wir lesen gerne Analysen, etwa aus der Industrie, zum Beispiel zum Thema Mehrbelastung durch die Strompreise“, erklärte die Volkswirtschaftsexpertin. Wenn auch die Agrarbranche solche Analysen liefern könne, würde das einen echten Mehrwert für die Arbeit des wissenschaftlichen Stabes des Sachverständigenrates bieten.

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