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Förderung

Mehrgefahrenversicherung: Schutz gegen die Extreme

Sturmschaden in Mais: Entschädigt werden nur Schäden, die über den Selbstbehalt von 20 Prozent der Schadensquote hinaus gehen.
Hans Dreier
Hans Dreier
am Donnerstag, 05.01.2023 - 08:01

Bayern greift den Landwirten bei der Absicherung von Wetterrisiken im Pflanzenbau finanziell unter die Arme. Die Prämienzuschüsse gibt es jedoch nur, wenn gleich ein ganzes Paket an Gefahren versichert wird.

Wegen des Klimawandels kommt es in der Landwirtschaft immer häufiger zu schweren Ertragsverlusten infolge von extremen Wetterereignissen. Die Gefahren drohen gleich von mehreren Seiten: Hagel, Sturm, Starkregen, Frost oder Trockenheit verursachen jedes Jahr enorme Schäden. Auf Initiative von Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber werden die Landwirte jetzt vom Freistaat Bayern untersützt, wenn sie sich dagegen versichern wollen.

Angebote für spezielle Mehrgefahrenversicherungen gibt es von der Versicherungswirtschaft zwar schon seit längerem, die Prämien dafür sind jedoch so hoch, dass der Großteil der Landwirte bisher davor zurückschreckte. Ohne eine staatliche Förderung sind diese Versicherungen für den einzelnen Landwirt nicht bezahlbar. Das zeigt ein Blick in die USA, dort ist die staatlich bezuschusste Mehrgefahrenversicherung schon seit Jahrzehnten ein zentraler Baustein der Agrarförderung.

Gefördert wird nur das ganze Gefahren-Paket

Nachdem auf EU- und Bundesebene seit Jahren nichts vorangeht, hat Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber vor zwei Jahren ein Pilotprojekt gestartet und ein Sonderprogramm für Versicherungsprämienzuschüsse im Obst- und Weinbau aufgelegt. Aufgrund der guten Erfahren wird das Förderprogramm für die Mehrgefahrenversicherung ab 2023 auch für Ackerbau, Grünland, Hopfen und Baumschulen angeboten.

Teilnehmende Landwirte bekommen durch das neue Sonderprogramm künftig einen Zuschuss von bis zu 50 % ihrer Versicherungsprämie. Bayern ist damit Vorreiter in Deutschland und bietet als einziges Bundesland eine breite Förderung für die Mehrgefahrenversicherung an.

Voraussetzungen für die Förderung

Für die drei neuen „Pakete“ bei der Mehrgefahrenversicherung gelten folgende Bedingungen für eine staatliche Förderung:

Ackerbau: Förderfähig sind die Gefahren Hagel, Sturm, Starkregen, Frost, Trockenheit sowie Fraßschäden durch Saatkrähen und Wildgänse. Die Versicherung muss für alle genannten Gefahren abgeschlossen werden. Es besteht keine Möglichkeiten, nur einzelne Gefahren, auszuwählen. Eine Wahlmöglichkeit besteht dagegen bei den zu versichernden Kulturen. Wer nicht alle angebauten Kulturen versichern möchte, kann auch nur eine oder zwei Kulturen absichern. Versicherbare Kulturen sind: Getreide, Mais, Raps, sonstige Ölfrüchte, Rüben, Kartoffeln und Hülsenfrüchte.

Grünland: Förderfähig sind die Gefahren Hagel und Trockenheit sowie Fraßschäden durch Maikäferengerlinge. Die genannten Gefahren können auch hier nur gemeinsam versichert werden, eine Auswahl ist nicht möglich. Bei Grünland bildet jeder Schnitt einen eigenen Versicherungsgegenstand.

Obst, Wein, Hopfen und Baumschulen: Förderfähige Gefahren sind Hagel, Starkregen, Sturm und Starkfrost. Neben Hagel ist minestens eine weitere Gefahr zu versichern, die jedoch frei wählbar ist.

Die Förderrichtlinie verlangt außerdem einen Selbstbehalt im Schadensfall von mindestens 20 % der Schadensquote (bezogen auf die geschädigte Kultur). Folglich kann die Entschädigung maximal 80 % der Versicherungssumme betragen.

Prämie mehr als doppelt so hoch wie bei Hagel

In Bayern gibt es drei Anbieter von Mehrgefahrenversicherungen: die Bayerische Versicherungskammer, die Allianz Agrar sowie die Vereinigte Hagel. Alle drei haben speziell auf die bayerische Förderung abgestimmte Policen entwickelt und unterbreiten derzeit ihren Kunden Angebote für die Umstellung bestehender bzw. den Abschluss neuer Verträge.

Beim ersten Blick auf das Angebot und die dort genannte Prämie wird vielen Landwirten zunächst der Schreck ins Gesicht fahren. Wer beispielsweise bisher eine Hagelversicherung abgeschlossen hatte und nun auf das Mehrgefahrenpaket umstellen möchte, sieht sich mit einer Prämienerhöhung um mehr als das Doppelte konfrontiert. So ist es auch bei Landwirt Otto Müller (Name geändert), der einen 30-ha-Ackerbaubetrieb mit Weizen und Mais bewirtschaftet. Bei einer Versicherungssumme von 3000 €/ha zahlte er für die Hagelversicherung im Jahr 2022 ca. 1300 € Beitrag. Jetzt hat ihm seine Versicherungsgesellschaft ein Angebot für eine Mehrgefahrenversicherung unterbreitet. Darin ist ein vorläufiger Jahresbeitrag von 2800 € für das Jahr 2023 ausgewiesen.

Ein Angebot, das man nicht ausschlagen kann?

Die Prämieerhöhung um mehr als das Doppelte relativiert sich jedoch, wenn man dafür die staatliche Förderung in Höhe von 50 % erhält. Berücksichtigt man den Zuschuss, reduziert sich im Beispiel der Beitrag in Höhe von 2800 € um die Hälfte auf 1400 € und liegt damit nur geringfügig über dem bisherige Niveau. Das heißt: Gegen einen kleinen Aufschlag ist man nicht nur gegen Hagel versichert, sondern im Falle des Ackerbaus auch gegen Sturm, Starkregen, Frost, Trockenheit und Fraßschäden.

Will Landwirt Müller seinen Ackerbau weiterhin nur gegen Hagel versichern, bekommt er keine staatliche Förderung und zahlt dann wie bisher 1300 € Jahresbeitrag. So gesehen ist die Förderung der Mehrgefahrenversicherung ein Angebot, das man eigentlich nicht ausschlagen kann.

Allerdings ist zu bedenken, dass bei der geförderten Mehrgefahrenversicherung eine deutlich höhere Eigenbeteiligung im Vergleich zur Hagelversicherung vorgeschrieben ist. In der reinen Hagelversicherung gibt es die Regelung, dass Schäden bis zu 8 % der Versicherungssumme vom Landwirt alleine getragen werden müssen. Nur die darüber hinausgehenden Schäden werden bei dieser sogenannten „Integralfranchise“ von der Versicherung ersetzt (dann aber in voller Höhe).

Knackpunkt ist die hohe Eigenbeteiligung

Im Gegensatz zur reinen Hagelversicherung ist bei der geförderten Mehrgefahrenversicherung jedoch eine deutlich höhere Eigenbeteiligung in Form einer „Abzugsfranchise“ vorgeschrieben. Die Abzugsfranchise ist ein Selbstbehalt (Franchise = Freiteil) am Schadenaufwand, den der Versicherungsnehmer bei jedem Schaden selbst trägt. Der Versicherer tritt nach Abzug des vereinbarten Selbstbehaltes ein.

Bei der geförderten Mehrgefahrenversicherung beträgt der Selbstbehalt 20 %-Punkte der Schadensquote. Das heißt im Klartext: Bis zu einer Schadensquote von 20 % muss der Landwirt den Schaden stets alleine tragen. Bei einer höheren Schadensquote entschädigt die Versicherung nur den Teil, der über 20 % hinausgeht.

Beispiel: Nach einem Hagelschlag ermitteln die Schätzer der Mehrgefahrenversicherung eine Schadensquote von 30 %. Daraus ergibt sich bei einer Versicherungssumme von 3000 €/ha eine Schadenssumme in Höhe von 900 €/ha. Nach Abzug der Selbstbeteiligung von der Schadensquote (30 % Schadensquote – 20 %-Punkte Selbstbehalt) bekommt der Landwirt nur 10 % der Versicherungssumme als Entschädigung ausbezahlt, im vorliegenden Fall also 300 €/ha. Vom Schaden in Höhe von 900 €/ha wird also nur ein Drittel tatsächlich ersetzt.

Wichtig ist die Absicherung bei Großschäden

Bei größeren Schäden relativiert sich die Wirkung des Eigenanteils. Beträgt die Schadensquote zum Beispiel 80 %, dann ergibt sich bei 3000 €/ha Versicherungssumme eine Schadenssumme von 2400 €/ha. Nach Abzug des Eigenanteils in Höhe von 600 €/ha bekommt der Landwirt 1800 €/ha ausbezahlt, in diesem Fall werden also drei Viertel des Schadens ersetzt.

Dieser Ansatz ist durchaus sinnvoll. Bei einer Versicherung ist es entscheidend, dass man vor allem bei Großschäden gut abgesichert ist, die einen selbst überfordern. Kleinere Schäden tun zwar auch weh, kosten aber nicht gleich die Existenz. Obendrein werden durch einen hohen Eigenanteil die Kosten für die Versicherungsprämien im Zaum gehalten. Der Eigenanteil von 20 % ist deshalb vom bayerischen Landwirtschftsministerium bewusst vorgegeben worden. „Mit der Förderung soll kein Vollkasko-Schutz finanziert werden, sondern es sollen insbesondere schwere und existenzbedrohende witterungsbedingte Ertragsverluste abgesichert werden“, heißt es seitens des Ministeriums. Kleinere Schäden sollte jeder Landwirt im Rahmen der eigenen Vorsorge tragen können.

Angesichts des Selbstbehalts von 20 % darf sich der Landwirt nicht der Illusion hingeben, umfassend gegen alle Wetterrisiken geschützt zu sein. Auch bei Abschluss einer geförderten Mehrgefahrenversicherung wird man immer nur einen Teil des tatsächlichen Schadens ersetzt bekommen. Bei einem Hagelschaden ist der selbst zu tragende Eigenanteil in der Mehrgefahrenversicherung sogar deutlich höher als bei einer reinen Hagelversicherung mit 8 %.

Auf eigene Kosten den Eigenanteil senken?

Bei den Versicherungsgesellschaften besteht die Befürchtung, dass der hohe Eigenanteil viele Landwirte vom Wechsel zur Mehrgefahrenversicherung abhalten könnte. Sie bieten den Landwirten deshalb an, den Eigenanteil zu senken. Dafür fallen jedoch zusätzliche Versicherunsbeiträge an, die vom Landwirt alleine übernommen werden müssen.

Von den Versicherungsgesellschaften werden hier verschiedene Varianten angeboten. Beim Abschluss des Vertrages sollte man sich genau erläutern lassen, ob die Absenkung des Selbstbehalts für alle versicherten Gefahren gilt. Manche Versicherer bieten die Absenkung nur für die Gefahren, Hagel, Sturm, Starkregen und Frost an, nicht jedoch für Trockenheit und Fraßschäden.

Der Versicherer von Landwirt Müller bietet zum Beispiel an, den Selbstbehalt auf 10 % zu reduzieren. Der reduzierte Eigenanteil bezieht sich bei dieser Variante auch nicht mehr auf die Versicherungssumme, sondern auf die Schadenssumme.

Dürre im Mais: Die Entschädigung erfolgt bei zu geringen Niederschlägen laut Wetterstation in Form einer Pauschale.

Beispiel: Auf einem 1 ha großen Feldstück von Landwirt Müller, das mit 3000 €/ha versichert ist, wird nach einm schweren Sturm eine Schadensquote von 30 % festgestellt. Daraus ergibt sich ein Schadensbetrag von 900 €.

Da der Landwirt den reduzierten Selbstbehalt gewählt hat, beträgt sein Eigenanteil 10 % der Schadenssumme, also 10 % von 900 €.

Das Beispiel zeigt, dass sich die Absenkung des Selbstbehalts vor allem bei kleineren und mittleren Schäden positiv auswirkt. Weil der Eigenanteil in diesem Fall von der Schadenssumme und nicht von der Versicherungssumme berechnet wird, bekommt man auch bei kleineren Schäden noch eine Entschädigung. Kleinschäden unter 8 % der Versicherungssumme (Integralfranchise) muss der Landwirt aber auch bei dieser Variante stets alleine tragen.

Die Vereinbarung eines niedrigeren Selbstbehalts ist allerdings nicht billig. Bei unserem Beispielslandwirt Müller betragen die Mehrkosten für die Jahresprämie des 30-ha-Betriebes rund 400 €. Die Mehrkosten für diese Anpassung sind nicht förderfähig und müssen vom Landwirt alleine getragen werden. Zudem gilt die Absenkung des Selbstbehalts im Beispiel nicht für das Risiko Trockenheit/Dürre.

Ermittlung der Schadenshöhe

Wenn es zu einem witterungsbedingten Schaden kommt, werden auch bei der Mehrgefahrenversicherung die betroffenen Flächen von Schätzern besichtigt und dann die Schadenshöhe ermittelt. Eine Ausnahme besteht hier bei den Schäden infolge von Trockenheit, die nicht bei einer Feldbegehung geschätzt werden können. Das Risiko Dürre wird deshalb stets über eine Indexversicherung abgesichert.

Die Entschädigungszahlung ist somit – anders als bei den übrigen Gefahren – nicht an den Nachweis eines tatsächlich eingetretenen Schadens an den angebauten Kulturen geknüpft. Der Versicherungsnehmer erhält hier eine pauschale Zahlung, sobald ein vorher durch den Versicherungsvertrag festgelegter kritischer Niederschlagswert (Index) unterschritten wird.

Der kritische Niederschlagswert wird im Vertrag festgelegt.

Die Versicherungsgesellschaften schlagen dem Landwirt im Angebot jeweils eine Haupt- und eine Ersatzwetterstation in seiner Nähe vor. Für jede Wetterstation wird ein auf jede Fruchtart angepasster kritischer Niederschlagswert festgelegt, der für einen bestimmten Zeitraum gilt.

Die Vereinbarung lautet dann zum Beispiel: Silomais, 1. 5. 2023 bis 31. 8. 2013, Wetterstation X, 170 mm Niederschlag. Der Schadensfall tritt dann ein, wenn an der Wetterstation X im betreffenden Zeitraum weniger als 170 mm Regen fällt. Liegt der Niederschlag auch nur einen Milimeter über dem Grenzwert, gibt es nichts.

Beispiel: Landwirt Müller vereinbart mit seiner Versicherung für die Gefahr Trockenheit eine pauschale Entschädigung in Höhe von 30 % der Versicherungssumme. Tritt der Schadensfall ein, wird die pauschale Entschädigung ausgezahlt. Wurde vereinbart, dass der Landwirt 20 % Selbstbehalt tragen muss, reduziert sich die Auszahlung von 30 auf 10 %. Bei einer Versicherungssumme von 3000 €/ha beträgt die Entschädigung im Schadensfall damit pauschal 300 €/ha – egal wie hoch der Schaden tatsächlich ist.

Fixe Entschädigung auch bei Fraßschäden

Eine pauschale Entschädigung gibt es nicht nur bei Trockenheit/Dürre. Auch bei Fraßschäden durch Saatkrähen und Wildgänse wird nur eine pauschale Entschädigung abzüglich des Selbstbehalts gewährt. Bei einem notwendigen Umbruch nach Starkregen oder beim Einknicken von Getreide nach Starkregen oder Sturm (Lagergetreide) wird ebenfalls mit pauschalen Entschädigungen gearbeitet.

Fazit: Förderung macht Versicherung erschwinglich

Mit der Förderung der Mehrgefahrenversicherung ermöglicht der Freistaat Bayern den Landwirten, sich besser gegen Risiken im Pflanzenbau abzusichern. Der Zuschuss von 50 % macht den Abschluss solcher Versicherungen jetzt erschwinglich. Zwar ist auch dann noch keine hundertprozentige Absicherung gegeben, bei extremen Wetterereignissen lässt sich aber zumindest eine Existenzbedrohung abwenden.

Voraussetzung für die Förderung ist, dass man mindestens ein Angebot einholt. Es ist ratsam, sich mehrere Vergleichsangebote machen zu lassen.