Für Landwirt Herbert Bauer (Name geändert) war der Tag schon kurz vor Mittag gelaufen. Das Mineralfutter wurde nicht wie mit dem Händler vereinbart am Morgen geliefert und die Mitarbeiterin im Stall hat sich krank gemeldet. Dann hat ihm auch noch die Aushilfe, die in solchen Notfällen einspringt, abgesagt. Als er kurz darauf mit hochrotem Kopf und fahrig lenkend den Traktor in Bewegung setzte, war es kein Wunder, dass er mit dem Frontlader dann auch noch sein eigenes Auto an der Stoßstange beschädigte.
Solche Stresstage kennt jeder Landwirt nur zu gut. Vor allem, wenn in der Erntezeit Helfer fehlen oder plötzlich ausfallen, kann es schnell zu einer Überdosis Stress kommen. Stress ist generell nichts Schlechtes, er weckt Leistungsreserven, man läuft zur Höchstleistung auf – wie ein Sportler bei der WM. Doch wird Stress meist als unangenehm erlebt, die Hektik belastet, es entstehen Fehler im Arbeitsablauf. Die wichtigste Regel: Stress frühzeitig erkennen und sofort reagieren. Stressreduzierung geht leichter, wenn der Stress nicht schon am Siedepunkt angekommen ist.
Klarheit verschaffen über die Ursachen
Effektive Stressbewältigung erfordert zunächst eine Inventur, einzelne Stressauslöser werden differenziert und bewertet. Damit entsteht Klarheit über Ursachen, die man einzeln angehen kann. Das ist Voraussetzung dafür, Handlungsmuster zu entwickeln.
Die nebenstehende Tabelle zeigt, wie man hier vorgeht. Eine niedrige Zahl in der Spalte „Stressintensität“ bedeutet, dass der Stressor leichter zu beeinflussen ist, der Stress-Level sich insgesamt aber nur geringfügig verbessert. Man hat die Wahl, welches Thema man durch gezielte Maßnahmen verändern will. Änderungen bei einem Thema mit einer hohen Punktzahl schaffen eine spürbare Verbesserung, sind aber mit hoher Anstrengung verbunden. Es kommt darauf an, extreme Ansprüche anderer abzulehnen, auch einmal „Nein“ zu sagen. Wer immer nur „Ja“ sagt und alles annimmt, ändert nichts am Stressor.
In unserer Leistungsgesellschaft ist der Satz „Ich bin im Stress“ sogar positiv, denn das heißt, dass es sehr gut läuft. Wer Stress hat, wird gebraucht, ist wichtig, genießt Ansehen. Stress bringt anfangs höhere Leistung, man befindet sich in einem optimalen Aktivierungsniveau, nur solange Stress noch erträglich ist
Um die Arbeitsmenge termingerecht zu schaffen, wird das Arbeitstempo erhöht und damit auch das Risiko, Fehler zu machen. Jüngere Landwirte finden das in Ordnung und sie entwickeln sich dabei zum „Tempoholiker“. Bei einem Arbeitsfehler kommt dann die Erkenntnis „Hätte ich mir doch mehr Zeit gelassen“ oft zu spät. Bei einfachen Arbeiten lässt sich Tempoerhöhung vorübergehend rechtfertigen. Hohes Tempo sollte die Ausnahme bleiben.
Ein normales Arbeitstempo darf nicht automatisch mit Unfähigkeit, Trägheit, oder Inkompetenz gleichgesetzt werden. „Das Gras wächst nicht schneller, wenn du daran ziehst“, sagt ein afrikanisches Sprichwort.
Man wird nicht nur von außen unter Druck gesetzt, Druck entsteht auch eigenbestimmt durch hohe Zielsetzung. Wer immer mehr, immer besser, immer schneller werden will, fördert den Stress.
Zu den Stresstypen gehört auch der „Perfektionist“. Er ist nicht mit 100 Prozent zufrieden, er will 120 Prozent. Typische Meinung des Perfektionisten: „Wenn ich nicht immer mein Bestes gebe, bin ich mit meinem Betrieb nicht wettbewerbsfähig. Es beginnt eine Spirale des „Immer besser Werdens“, beruflich wie privat. Endstation der Arbeitssucht ist Burn-out.
Atemtechnik: Stress einfach wegatmen?
Bei zunehmendem Leistungsdenken und längerem Stress kann man durch gezielte Atmung innere Gelassenheit finden. Hektik und Termindruck lassen sich durch bessere Atmung eher ertragen. Bei Stress atmen die meisten unbewusst falsch, atmen nicht mehr voll durch und halten für Sekunden sogar die Luft an. Bei Anspannung verändern sich die natürlichen Atemgewohnheiten. Vor allem das Ausatmen, der Abtransport des verbrauchten Sauerstoffs, wird dann vernachlässigt. Bei Stress wird die Atmung unbewusst flach, gepresst, kurz und das Hirn unzureichend mit Sauerstoff versorgt.
Ein- und Ausatmen ist ein unbewusster Vorgang, der ins Bewusstsein kommen muss, um ihn zu regulieren. Atem ist eine „erneuerbare Energie“, die grenzenlos zur Verfügung steht. Sie kostet nichts und bringt viel. Richtige Atmung ist die Basis für mehr Stressstabilität und eine gute Möglichkeit innere Spannungen ab zu bauen. Ideal ist es, wenn man ein Bewusstsein für die Atmung entwickelt, wenn man spürt, ob man flach oder unregelmäßig atmet.
Resilienz – die innere Widerstandskraft
Der Begriff Resilienz stammt aus dem lateinischen „resilire“ und bedeutet „zurückspringen“ oder “abprallen“. Damit werden die inneren Kräfte bezeichnet, die helfen, nach den starken Arbeitsbelastungen an einem langen Tag wieder den normalen Modus zu finden. Es geht dabei nicht um die Reduzierung von Stress selbst, sondern wie man nach der Belastung schnell wieder das Gleichgewicht findet.
Die Sorgen um die Zukunft sind eine Dauerbelastung. Die eigene Widerstandskraft dagegen zu stärken, erfordert zwei Grundhaltungen: die Akzeptanz der Situation und den Optimismus trotz der Belastungen. Man soll sich nicht gegen Umstände auflehnen, die nicht änderbar sind, z. B. dass die Öffentlichkeit die Landwirtschaft kritisch betrachtet und immer mehr Umweltschutz fordert.
Stress ist kein Schicksalsschlag, sondern die Aufforderung für den Chef und sein Team, richtig damit umzugehen. Wer Belastungen meistert, empfindet am Ende des Tages Stolz, Genugtuung, vielleicht sogar ein angenehmes Gefühl. Wenn Arbeit als sinnstiftend erlebt wird, wenn es untereinander auch Anerkennung gibt, wird Stress besser verarbeitet.
Hilfreich ist es außerdem, mit jemandem über die Stresssituation zu sprechen. Die Methode „Aussprache“ öffnet das Ventil und schafft so Erleichterung. Wer über Stress berichtet, darf den Tatbestand gerne etwas übertreiben – Hauptsache, man hat einen Zuhörer gefunden, der Anteil nimmt und Verständnis hat. Es geht dabei nicht darum, Tipps zu erhalten, wie man mit dem Stress besser klar kommt.
Negative Selbstaussagen nicht zulassen
Stress baut sich oft schon im Vorfeld auf, wenn man über eine bevorstehende Belastung nachdenkt. Meist stellt man sich dann negativ darauf ein. Besser ist es, die mentale Energie dafür zu nutzen, unabänderliche Gegebenheiten mit einer positiven Haltung zu verarbeiten. Negative Sichtweisen beunruhigen und schränken die Wahrnehmung für Chancen ein.
Negative Selbstaussagen vermeiden
Negativ
„Das wird schief gehen.“
„Das schaffe ich nicht.“
„Ich werde schon nervös.“
„Was da auf mich zukommt.“
„Ich habe versagt.“
„Jetzt bin ich fix und fertig.“
Positiv
„Erst einmal probieren.“
„Ich gebe mein Bestes.“
„Ich entspanne mit der Atmung.“
„Früher habe ich es auch geschafft.“
„Es hätte schlimmer sein können.“
„Aber ich habe es geschafft.“