
Sein erstes Fest, das man in einem Wirtshaus feiert, ist meist die Taufe. Darauf folgen die Kommunion, die Kreismeisterschaft mit dem Fußballverein, viele Faschingsbälle, die eigene Hochzeit und die der Freunde, die runden Geburtstage der Familienmitglieder, bis hin zum Leichenschmaus seiner eigenen Beerdigung.
Nicht zu vergessen die vielen Besuche am Stammtisch, zum Kartln oder Frühshoppen oder zum Mittagessen mit der Familie an Ostern und Weihnachten. Der Dorfwirt wird im Laufe unseres Lebens zu einem zweiten Zuhause. Umso schmerzlicher ist es, dass immer mehr Wirtshäuser schließen.
Wir haben uns die Geschichte der Wirtshäuser – ein Stück bayerische Identität – einmal genauer angesehen und klären, warum gerade in den letzten 100 Jahren die Anzahl der Wirtshäuser immer weiter zurückgegangen ist. Basis für diesen Artikel ist die aktuelle Bayernausstellung „Wirtshaussterben? Wirtshausleben!“ im Haus der Bayerischen Geschichte (HdBG) in Regenburg.
Die ersten Wirtshäuser hatten noch einen ganz anderen Namen. In der Römerzeit vor etwa 1800 Jahren, spricht man von Tavernen. Gerade in den großen Städten, wie Augsburg und Regensburg, die an den Hauptstraßen angebunden waren, rentierten sich die Unterkünfte für Soldaten und Reisende. Dort gab es allerdings nicht nur Essen und Trinken, die Tavernen waren vor allem bekannt als Orte für Glücksspiel, Trunkenheit, Gewalt und Prostitution. Die Wirte damals waren deswegen nicht sehr hoch angesehen.
Die ersten bayerischen gewerblichen Gasthäuser entstanden etwa im 11. Jahrhundert. Auch sie waren überwiegend in Städten, an Handelsplätzen oder in der Nähe von Burgen und Klöstern angesiedelt. Betreiben durfte man sie nur mit einer Erlaubnis. Der Wirt leistete Verpflegung mit Essen und Trinken und bot Gästezimmer an. Er lieferte mit seinem Gasthaus auch eine Plattform für menschliche Kommunikation unter Einheimischen und Fremden.
Es sollte gemütlich sein

Bis ins 19. Jahrhundert hielt diese Form der gewerblichen Gastlichkeit. Ab etwa 1870 änderte sich vor allem das Aussehen der bayerischen Gasthäuser und sie wurden immer mehr zum Wirtshaus, so wie man sie heute noch vielerorts sieht. Gerade an der Inneneinrichtung wurde vieles verändert. Es sollte gemütlich sein. So wurden Dielenböden verlegt, Holzvertäfelungen kunstvoll mit Schnitzereien verziert, Kachelöfen gebaut, mit umlaufenden Bänken auch ein Herrgottswinkel integriert und es wurde elektrisches Licht installiert.
Das Wirtshaus stellte neben der Kirche den Mittelpunkt des Dorfes dar, schon allein deswegen, weil viele Wirtshäuser direkte neben dem Gotteshaus angesiedelt waren. So war es fast schon Pflicht, nach dem Kirchgang einzukehren.
Doch auch wenn man vom Berufsalltag abschalten, sich informieren oder austauschen wollte, ging man ins Wirtshaus. Selbstverständlich kam auch der Spaß nicht zu kurz: Man traf sich zum Schafkopfen und versuchte mit der ein oder anderen Frau anzubandeln. Das alles begleitet von einem kühlen Bier in der Hand. Wirtshauskultur war und wird immer mit Bierkultur gleichgesetzt werden.
Nicht selten waren die Wirte im Haupterwerb Bauern, Brauer, Bäcker, Metzger oder Posthalter. Vom ursprünglich zweifelhaften Ruf des Wirts war nichts mehr zu merken. Wirte waren mittlerweile angesehen und vielerorts in Führungspositionen. Der Wirt war meist der einzige der eine Zeitung bekam, durch den regelmäßigen Besuch von Wandermusikanten und anderen Reisenden war er daher der am besten Informierteste im Dorf.
Wohnzimmer Wirtshaus
Wie Stephan Hahn in seinem Buch „Wohnzimmer Wirtshaus“ schreibt, spiegelte das Dorfwirtshaus auch immer die Dorfgesellschaft und deren soziale Differenzierung wieder. So konnte man auch die dörfliche Hierarchie an der Sitzordnung im Wirtshaus ablesen: Die besten Plätze besetzten die Großbauern, an den hintersten Tischen fand man die Männer, mit dem geringsten Eigentum und Besitz. Frauen fand man nur selten im Wirtshaus, meist nur bei Familienfeiern oder an kirchlichen Feiertagen.

Anders sieht es bei den Kellnerinnen und Wirtinnen aus. Sie sind seit jeher das Aushängeschild eines Wirtshauses. Diese Frauen übten um 1900 einen der härtesten Berufe aus: Sie bekamen kaum Lohn, meist nur das Trinkgeld, hatten 17, 18 Stunden lange Arbeitsschichten und wurden nicht selten von den männlichen Gästen sexuell belästigt. Ihre Arbeit war Ausbeutung, aber zugleich bedeutete es auch Unabhängigkeit für sie. Nur als Magd oder Kellnerin konnten die Frauen damals ihr eigenes Geld verdienen.
Die in Bayern wohl bekannteste Kellnerin ist Coletta Möritz, alias „Schützenliesel“. Das fünf Meter hohe und drei Meter breite Gemälde von Friedrich August von Kaulbach machte sie bekannt. Der Maler war damals Stammgast in dem Wirtshaus, in dem Coletta als „Biermadl“ arbeitete. Er überredete die 18-jährige 1878 ihm Modell zu stehen. Die Schützenliesel ist seither auch ein beliebtes Marketingsymbol für die bayerische Bier- und Wirtshauskultur. Ihr Bild findet man auch heutzutage noch auf Bierkrügen, Postkarten und anderen Souvenirs. Das Originalgemälde wird in der Wirtshausausstellung des HdBG in voller Größe präsentiert.
Serviert haben die Kellnerinnen, damals und heute, zumeist bayerische Spezialitäten. Allen voran die Klassiker der bayerischen Wirtshausküche: Schweinsbraten, Weißwürste, Bratwürste, Lüngerl, Knödl, Spätzle. Anders als in den meisten Privathaushalten spielte auf der Speisekarte im Wirtshaus Fleisch eine große Rolle. Gekocht wurde überwiegend ohne Strom, auf einem Holzofen. Dazu wurde traditionell Bier getrunken. In der Gegend um Regensburg und in Franken war es aber auch nicht selten, dass Wein aus dem Bocksbeutel bevorzugt wurde. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde immer bekannter, wie schädlich und süchtigmachend Alkohol ist. Von da an wurden auch alkoholfreie Getränke, wie Spezi und Kracherl, immer beliebter.
Junge Gäste weggelockt
Auch in Sachen Unterhaltung wurde vieles immer zuerst beim Wirt eingeführt: Musikabende, Konzerte, Theater, Kino, Fernseher, Jukebox, Flipper. Damit sollten junge Gäste angelockt werden. Doch dann eröffneten eigenständige Kinos und Spielhallen. Immer mehr Menschen konnten sich selbst einen Fernseher leisten und zogen das eigene Wohnzimmer dem Wirtshaus vor. Auch Vereine schafften sich ab den 1960er Jahren zunehmend eigene Vereinsheime.
Hinzu kam die wachsende Mobilität. Sie erlaubte der ländlichen Bevölkerung in weiter entfernte Diskotheken oder in Städte zu fahren. Die Stammtische am Sonntag wurden immer leerer, weil immer weniger Leute in die Kirche gehen. Auch die Regionalität der Speisen wurde ab den 1980er Jahren immer weniger bedeutend. Es eröffneten Pizzerien oder Asia-Restaurants und in den Supermärkten konnte man fertigen Kartoffelsalat ebenso kaufen wie Pommes für den Backofen.
Auch Wirt zu sein wird immer schwieriger, die Kosten für Brandschutz, Personal und Pacht steigen. Hinzu kommt, dass immer weniger Kinder das Wirtshaus der Eltern übernehmen wollen, 2010 brach das Rauchverbot vielen Stehausschänken das Genick und Fachpersonal ist immer schwerer zu finden. Zwischen 2008 und 2019 mussten ein Viertel aller Schankwirtschaften in Bayern schließen. Seit 2020 führte vor allem die Coronapandemie zu enormen Umsatzeinbußen. Wo es 2019 noch 4655 Schankwirtschaften in Bayern gab, waren es 2020 nur noch 3736.
Nicht alle Wirte geben auf
Doch nicht alle Wirte geben auf. Viele überlegen sich kreative Modelle, um auch in der Pandemie den Betrieb aufrecht zu erhalten. Sie boten Essen und Getränke zum Abholen an. Auch aufgrund der Klimakrise, dem Krieg in der Ukraine und der damit verbundenen Versorgungssituation, wird das Bewusstsein für regionale, saisonale bayerische Küche wieder mehr geschärft.
Doch jede noch so neue und kreative Idee eines Wirts oder einer Wirtin, ist nutzlos, wenn die Gäste ausbleiben. Die Gäste müssen von sich aus gerne kommen, sie alleine haben die Wahl daheim selber zu kochen, schnell etwas Fastfood zu holen oder lieber gemütlich beim Wirt im Dorf einzukehren, um ihn damit zu unterstützen – und hoffentlich noch lange zu erhalten.