Ein Hofbaum wächst jahrzehntelang über Generationen hinweg. Man findet ihn immer noch auf vielen bayerischen Bauernhöfen. Oft ist es eine mächtige Kastanie, eine prächtige Eiche oder eine großgewachsene Linde. An ihnen baumelt eine Schaukel, darunter steht ein schattiges Bankerl oder er dient als Klettergerüst. Kein Wunder, dass vielen Hofbäumen eine Seele angedacht wird.
So erzählt es auch Dr. Getrud Scherf. Die niederbayerische Sachbuchautorin und Biologin erklärt im Gespräch mit dem Wochenblatt: „Ganz wichtig ist die Vorstellung, dass Mensch und Baum eng verwandt sind.“ Man glaubte, dass die Seele der Toten in den Baum übergehen würde.
Bayerischer Volksglaube: "Das Schicksal des Hofs ist mit dem Hofbaum verknüpft"
So sei man davon ausgegangen, schreibt Scherf in ihrem Buch „Baumsagen und Sagenbäume in Bayern“, dass das Schicksal des Hauses und der Familie mit dem des Ahnen-, bzw. Schutzbaumes verknüpft sei. Wie Scherf erklärt, spiegelte sich der Umgang mit dem Baum im Alltag auf dem Hof wieder: „Wenn man den Baum mit Respekt behandelt und gut pflegt, sollen die Ahnen im Baum den Hof, das Haus und die Menschen die darin wohnen beschützen.“
Auch der österreichische Landschaftsarchitekt Heinz-Peter Türk schreibt in der Sammlung „Dorfökologie: Bäume und Sträucher“ von der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege: „Im Schatten eines alten Baumes begegnen sich jung und alt und ein großer Teil des häuslichen Lebens spielt sich darunter ab.“ Er stellt in der Sammlung die Vermutung auf, dass der Glaube an die Verwandtschaft zwischen Baum und Mensch daher kommt, dass besonders der Wechsel vom Tod zum Leben in der jahreszeitlichen Veränderung des Baumes ersichtlich sei. Der Kreislauf der Jahreszeiten sei für die Menschen früher etwas Gewaltiges, Mystisches gewesen, da sie den Ereignissen und Kräften der Natur viel mehr ausgeliefert waren als wir heute.
Der Hofbaum in den Grimmschen Märchen
Auch die Gebrüder Grimm verleihen dem Baum in ihren Geschichten immer wieder eine bedeutende Rolle, wie Getrud Scherf beschreibt. So zum Beispiel im Märchen Aschenputtel. Darin pflanzt Aschenputtel einen Haselreis auf das Grab ihrer Mutter, woraus ein schöner Baum wächst. In diesem soll die Seele der Mutter gewohnt haben, die von dort aus weiterhin ihr Kind beschützt. Je nach Fassung hilft sie ihrer Tochter mittels eines Vogels, der auf dem Baum sitzt oder von Haselnüssen, die herabfallen, und beim erfüllen ihrer Wünsche helfen.
Scherf führt auch das Märchen „Von dem Machandelboom“ an. Es ist in Plattdeutsch geschrieben und handelt von einer Mutter, deren Seele in Form eines Vogels im Hofbaum, einem Wacholderbaum, wohnt. So sorgte die Seele der Verstorbenen, nach einer grausamen Familientragödie, für das Ende des Familienstreits. Das oberpfälzer Märchen „Die Stiefmutter und der Seelenvogel“ gleicht dem Märchen vom Machandelboom – mit dem Unterschied, dass die Seele der Mutter in der bayerischen Fassung in einer Hoflinde wohnt.
Hofbäume sind heute rar, aber sehr nützlich

Wie Scherf erzählt, sind heutzutage nur noch wenige alte Hofbäume erhalten. Ein besonders alter Hofbaum steht auf dem Bauernhof Lehndobl im niederbayerischen Triftern (Lks. Rottal-Inn). Wie die Hof- und Baumbesitzer erzählen, haben Experten die Eiche auf ein Alter von etwa 400 Jahren geschätzt. Sie steht unter Denkmalschutz.
Eine gelebte Tradition ist das Pflanzen eines Baumes zur Geburt eines Kindes. Oft wird dabei das erste Badewasser zum Gießen für den Setzling genutzt.
Neben spirituellen sprechen praktische Gründe für einen Hof- oder Hausbaum. Gertrud Scherf erklärt: „Je nach Baumart trägt er Früchte, spendet Schatten, und ist gut fürs Klima.“ Ob schlank, hoch, breit oder kugelig, mit herabhängenden Zweigen oder Blütenpracht im Frühjahr. Bei der Auswahl von Sorte und Standort geht es um die Endgröße und ob unter dem wachsenden Baum Maschinen fahren sollen. Meist kann die örtliche Baumschule bei der Entscheidung helfen.