
Immer wenn einer der großen oder kleinen Besucher eine Münze in den Schlitz einer Spendendose einwirft, erwacht die Miniaturwelt zum Leben: Wie auf Kommando schwingen in Tracht gekleidete Paare das Tanzbein, rühren Musikanten die Trommel, zieht Maria mit dem Kind im Arm hinter Josef her. Freundlich winkend grüßt derweil der ehemalige polnische Papst Johannes Paul II., während ein kleines Rennauto aus Holz im Kreis saust. Alles blinkt, leuchtet und bewegt sich.
Figuren bewegen sich

Diese ungewöhnliche Krippenlandschaft präsentiert sich in der Adventszeit in aller Pracht – in der „Kapelle der Blinden und Tauben“. Diese befindet sich in einer Seitenkapelle der mächtigen gotischen Kirche Sankt Maria auf dem Sande in Breslau. Erbaut wurde die „Sandkirche“ von 1334 bis 1430 und ist damit eine der ältesten gotischen Kirchen in Polen. Ideengeber und Schöpfer der beweglichen Krippe war der mittlerweile verstorbene Pfarrer Kazimierz Blaszczyk, der als Seelsorger der Taubstummen und Blinden tätig war. 1967 errichtet und für Kinder mit Hör- bzw. Sehstörungen gedacht, bestand die Krippe zu Anfang nur aus wenigen, von einem einzigen Mechanismus angetriebenen Figuren. Jahr um Jahr ergänzten der findige Pfarrer und seine eifrigen kindlichen Helfer die Krippe um weitere Figuren, Puppen und Spielelemente.
Dabei versammelten sie neben klassischen Figuren wie Maria und Josef, den Heiligen Drei Königen und den Hirten, Heiligen und Seligen auch bedeutende Polen, Helden aus Kindermärchen und Tiere aus aller Welt friedlich nebeneinander bis schließlich, wie heute zu sehen, fast der gesamte Kapellenraum ausgefüllt war. Mit wachsender Beliebtheit stieg auch die Zahl der freiwilligen Helfer – die bis heute ganz überwiegend aus dem Kreis der taubstummen Gemeindemitglieder stammen.
Die Krippe in voller Pracht in der Adventszeit

Besonders gefragt ist ihr Engagement in der Adventszeit. Dann steigt in der Kapelle der Blinden und Tauben regelmäßig eine Helferin oder ein Helfer eine im Fußboden eingelassene Tür hinab in das unterirdische Depot, in dem Accessoires wie Engel, Lametta, Schrauben und Lampen gelagert werden. Wenn es gen Weihnachten geht, soll die Krippe ihre ganze Pracht entfalten. Es kommen Nägel, Schrauben oder sonstige Befestigungsmaterialien aus dem Glasschubladen im hinteren Bereich des Raums oder aus dem unterirdischen Lager zu ihrem Einsatz. Um die notwendigen Arbeiten zu bewältigen, signalisieren sich die taubstummen Helfer mit Gesten, wo gerade angepackt werden muss. Zwei Frauen wechseln defekte Birnen an Weihnachtsbäumen, Häusern und Girlanden aus. Und davon gibt es reichlich, denn die bewegliche Krippe wird inzwischen von mehr als 60 Motoren angetrieben.
Wer aus dem derart bespaßten Krippenraum schließlich wieder in das eigentliche Gotteshaus tritt, erfreut sich unweigerlich nach all dem Drehen, Leuchten, Rasen, Klingeln, Scheppern, Musizieren, Blinken und dem Geschiebe und Gedränge der Besucher an der andächtigen Stille, die hier in der Kirche herrscht.