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Videospielsucht

Spielfieber im Internet

Fortnite-Titel
Carmen Knorr
Carmen Knorr
am Dienstag, 20.08.2019 - 15:00

250 Millionen Spieler zocken Fortnite, es ist das beliebteste Spiel aller Zeiten – immer mehr Teenies verlieren sich in der virtuellen Welt. Wir geben Tipps, wie Eltern schon früh in das digitale Spielverhalten ihrer Kinder eingreifen können.

Max ist zwölf Jahre alt. Seit Wochen zockt er exzessiv das Onlinespiel Fortnite. Er spielt es auf seinem Handy und PC und kann oft nicht damit aufhören. In letzter Zeit lässt er deshalb sogar das Fußballtraining sausen. In der Schule schreibt er immer mehr Fünfen. Er schläft und isst wenig. Auch seine Freunde hat er nach der Schule schon lange nicht mehr getroffen. Er zieht sich häufig in sein Zimmer zurück, sodass seine Eltern wenig davon mitbekommen und sein übermäßiges Spielverhalten gar nicht wahrnehmen. Auf Ansprachen seiner Eltern reagiert Max zunehmend gereizt. Wir mussten diesen Max erfinden. Selbst nach wochenlanger Suche wollten keine Betroffenen oder deren Eltern mit uns reden. Max’ Symptome sind aber echt. Das bestätigt Barbara Schielein. Sie ist Suchtberaterin bei der Online-Elternberatung ELSA für suchtgefährdete und abhängige Kinder und Jugendliche.

Extremfälle wie Max gibt es, aber nicht alle Vielspieler sind gleich suchtgefährdet. Viele Kinder und Jugendliche verlieren sich dennoch täglich in der virtuellen Welt. Obwohl es Fortnite erst seit Juli 2017 gibt, gilt es laut aktueller JIM-Studie (Jugend, Information, Medien) als das beliebteste Videospiel unter den 12- bis 17-Jährigen. Seitdem haben sich weltweit 250 Millionen Spieler registriert (Stand März 2019). Sogar eine eigene Weltmeisterschaft gibt es. Ende Juli setzte sich im Finale ein 16-jähriger Amerikaner gegen 99 Konkurrenten durch. Er gewann ein Preisgeld von 3 Mio.USD. Mehr hat vor ihm noch kein Einzelspieler in einem Videospiel-Wettbewerb gewonnen.

Gegner finden sich ständig

Doch warum ist Fortnite bei Kindern so beliebt? Es ist ein Kampf- und Bauspiel – aber nicht im klassischen Stil. Fortnite zeigt weder realistische Gewalt- noch Tötungsszenen. Es spielt in einer Comicwelt. Wenn jemand stirbt, löst er sich in einer Art Wolke auf, ganz ohne Blut. Das Spielprinzip folgt dem der Jugendfilm-Triologie „Die Tribute von Panem“: Hundert Spieler werden auf einer Insel abgesetzt, das Spielfeld wird mit der Zeit immer enger und der Spieler, der am Ende überlebt, gewinnt. Für den Sieg kämpft man allein oder im Team. Gegner finden Spieler ständig, denn online ist immer irgendjemand. Laut Spielentwickler Epic Games zocken zeitweise bis zu 10,8 Millionen Spieler gleichzeitig.

Pädagogische Konzepte sind selten bei Kinderapps

„Fortnite kommt dem menschlichen Bedürfnis entgegen, sich zu behaupten, Teams zu bilden, besser zu sein“, erklärt Marc Urlen. Er ist Medienpädagoge am Deutschen Jugendinstitut (DJI) und Experte für Kinderapps. Er sagt auch, dass viele Kinderspiele und -apps mit einer besonders niedlichen Comicgrafik auftreten. „Damit erscheinen sie kindgerechter“, unterstreicht er, „doch schaut man genauer hin, merkt man, dass es erschreckend viele Spiele gibt, die das nur vortäuschen“. Ein pädagogisches Konzept verfolgen laut Urlen die wenigsten.

Meistens seien das sogenannte Free-to-play-Spiele. Jeder kann sie erstmal kostenlos herunterladen. Später haben Spieler dann die Möglichkeit, ihr Taschengeld für In-App-Käufe (Einkäufe innerhalb der App) auszugeben. Auch bei Fortnite ist das so. Was man kaufen kann, sind sogenannte Skins, also Dinge, die das Aussehen des eigenen Charakters verschönern. Zum Beispiel einen cooleren Rucksack oder attraktiveren Gleiter, mit dem die Spieler am Anfang auf die Insel schweben. Das Interessante: Einen Vorteil im Kampf verschaffen die gekauften Teile aber nicht. Gezahlt wird in V-Bucks. 1000 V-Bucks entsprechen 10 €. Wer einen neuen, stilbewussteren Charakter will, muss dafür etwa 800 bis 1000 V-Bucks zahlen. „Man muss nichts kaufen, doch Viele machen es“, erzählt Klaus Lutz, pädagogischer Leiter des Medienzentrums Parabol in Nürnberg. Er ist aber auch der Meinung, dass Eltern In-App-Käufe nicht von vorneherein verbieten sollten: „Es ist wichtig, dass Jugendliche selbst entscheiden, wie sie ihr Taschengeld ausgeben, egal ob sie sich Sammelbilder kaufen oder 10 € für Fortnite ausgeben“.

Eltern sollten sich vor Augen führen: Digitale Spiele sind heutzutage ein zentraler Bestandteil im Alltag der Jugendlichen. Laut JIM-Studie gibt es in nahezu allen Familien Smartphones, Computer und Internetzugang. Damit sind die Teenager unter der Woche drei Stunden und 34 Minuten pro Tag online. Die meiste Zeit (35 %) verwenden sie für Kommunikation. Fast ein Viertel (24 %) entfällt auf Spiele. Hier unterscheiden sich die Geschlechter am meisten: 2018 spielten 73 % der Jungen (zwischen 12 und 19 Jahren) mehrmals die Woche. Dazu zählten Computer-, Konsolen-, Tablet- und Handyspiele. Bei den Mädchen waren es nur 43 %. Bei 29 % der Buben, aber nur bei 6 % der Mädchen, ist Fortnite das Lieblingsspiel. Der Rest ihrer täglichen Nutzungszeit teilt sich, in Unterhaltung (31 %) und das Suchen von Informationen (10 %).

Medienwelten gemeinsam erkunden

Den Umgang mit Medien sollten Kinder deshalb schon früh lernen. Kinderapp-Experte Urlen rät Eltern, die Medienwelten mit den Kindern gemeinsam zu erkunden. Er weiß: „Haben Kinder erst einmal ein eigenes Smartphone, chatten, spielen und surfen sie auch damit“. Eltern sollten sich fragen, ob das schon im Grundschulalter sein müsse, so Urlen. Besser sei es, gemeinsam mit dem Kind und einem Tablet nach draußen zu gehen und das eigene Umfeld digital zu erschließen. Damit sollten Eltern bereits anfangen, wenn ihr Kind in den Kindergarten geht. Das DJI bietet auf seiner Webseite verschiedene Projekte dafür an. Zum Beispiel: Regenwürmer erforschen mit dem Tablet.

Werden die Kinder größer, rät Medienpädagoge Lutz den Eltern, die Regeln zum Spielen gemeinsam aufzustellen: „Wichtig ist dabei, die Bedürfnisse des Kindes zu berücksichtigen“. Eltern sollten vorab fragen: Wann möchtest Du spielen? Wie viel Zeit brauchst Du? Und: Wie lange dauert eine Runde? „Der Dialog ist ausschlaggebend“, erklärt Lutz. Die Regeln seien dadurch in jeder Familie anders. Außerdem sollten sie nicht zu starr sein und mit dem Alter gehen. Ein 12-Jähriger hätte andere Bedürfnisse wie ein 16-Jähriger.

Computerspielen ist Jugendkultur

Fortnite spricht mit seiner comichaften Grafik und seinem Spielprinzip, der Beste zu sein, zielgerichtet Kinder und Jugendliche an. Regeln Eltern aber individuell, früh und altersgerecht die Mediennutzung ihrer Kinder, können sie nahezu jedes Spielverhalten kontrollieren. Dass es zu einem Extremfall wie Max ausartet, wird dadurch unwahrscheinlicher. Lutz resümiert: Es sei ein Prozess, den die Eltern zusammen mit ihren Kindern gehen. Angefangen vom ersten Kontakt im Kindergarten- bis ins Erwachsenenalter. Bei all der Problematik sagt er aber auch: Computerspielen ist Jugendkultur“ und erinnert sich an seine Jugend: „Wir haben auch Musik gehört, die unsere Eltern blöd fanden.“

Tipps für Eltern kompakt

Lernen, mit Medien umzugehen, ist ein Prozess. Er soll bereits im Kindergartenalter beginnen und Eltern sollen ihn gemeinsam mit ihren Kindern gehen. Die Tipps von Medienpädagoge und Kinderapp-Experte des DJI, Marc Urlen und dem pädagogischen Leiter des Medienzentrums Parabol in Nürnberg, Klaus Lutz, helfen dabei:

  • Viele Kinderapps verfolgen kein pädagogisches Konzept. Eltern sollten Kinderspiele vorher selbst ausprobieren, bevor die Kinder sie spielen. Auch später, wenn die Kinder älter sind, sollten Eltern wissen was ihre Kinder spielen. Entweder auch diese Spiele selbst testen oder sich den Inhalt vom Kind genau erklären lassen.
  • Vermeintlich kostenlose Apps beinhalten oft In-App-Käufe. Eltern sollten diese nicht von vornherein verbieten. Kinder sollten selbst entscheiden dürfen, wofür sie ihr Taschengeld ausgeben. Meist brauchen sie aber dafür die Kreditkarte der Eltern, daher erfolgen die Käufe – im Normfall – sowieso in Absprache.
  • Den Umgang mit Medien sollten Kinder schon früh lernen. Ab dem Kindergartenalter können Eltern beginnen, die Medienwelten langsam, kreativ und gemeinsam mit dem Kind zu erschließen. Ihnen die Vorteile zeigen, aber auch die Risiken erklären.
  • Etwa ab dem Grundschulalter stellt man die Regeln gemeinsam mit dem Kind auf. Dafür die Bedürfnisse des Kindes berücksichtigen und vorher fragen: Wann möchtest Du spielen? Wie viel Zeit brauchst Du? Wie lange dauert eine Runde? Wann spielen Deine Freunde?
  • Die Regeln zum Spielen sollten nicht zu starr sein. Jede Familie und jedes Kind braucht eigene Regeln. Zudem sollten sie an das Alter des Kindes angepasst werden. Ein 12-Jähriger hat andere Bedürfnisse als ein 16-Jähriger.