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Lebensmittel

Mais: Mehr als Tierfutter

Polenta Schnitten liegen auf einem Holzbrett. Dahinter steht in einem Holzschüsselchen Maisgrieß und daneben liegt ein Maiskolben.
Anna Knon
Anna Knon
am Freitag, 16.04.2021 - 10:15

Mais gehört zu den bedeutendsten Lebensmitteln der Menschheit. Seit einigen Tausend Jahren wird er in Mittelamerika kultiviert, mit Kolumbus kam das erste Saatgut vor rund 500 Jahren nach Europa.

Mais verbindet man bei uns heute landläufig mit Silomais oder Körnermais, also Tierfutter oder Substrat zur Energiegewinnung, vielleicht noch als Ausgangsprodukt für biologisch abbaubare Verpackung, Einweggeschirr oder andere technische Verwendung der Maisstärke. Als Lebensmittel spielt Mais bei uns mengenmäßig keine Rolle. Fast verschwunden sind auch alte Landsorten.

Mais ist Gemüse des Jahres 2021

Zwei Maiskolben liegen auf weißem Hintergrund. An ihnen hängen noch Blätter.

Auf den drohenden Verlust der Sortenvielfalt hinzuweisen, ist das Anliegen des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN), der Mais als Gemüse des Jahres 2021 benannt hat – wohlwissend, dass Mais zum Getreide und nicht zum Gemüse gehört. Der VEN wollte aber von der eingeführten Kategorie bei „Natur des Jahres“ bleiben, und das sei für ihren Verein nun mal das Gemüse, wie die Vorsitzende Susanne Gura erklärt; entscheidend sei vielmehr, die Aufmerksamkeit auf alte Sorten zu lenken und zu motivieren, sie im Garten anzubauen und sich den Mais wieder als Lebensmittel bewusst zu machen.

Das ist auch die Zielrichtung von Dr. Barbara Eder. Sie arbeitet am Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) in Freising. Für die gebürtige Tirolerin gehört Polenta, also Maisgrießbrei, ganz selbstverständlich zum Speiseplan: „Gulasch mit Polenta ist in Tirol ein Standardgericht, und die Kinder lieben Maisgrießbrei mit Zwetschgenkompott“, erklärt sie.

Vom Grundnahrungsmittel zum schlechten Image

Nach seiner Einführung in Europa um 1500 n. Chr. war Mais jahrhundertelang auch in Bayern fester Bestandteil der Ernährung, vor allem bei der ländlichen Bevölkerung. In vielen umliegenden Ländern wie Frankreich, Schweiz, Italien, Ungarn, Polen, Tschechien und Österreich hat sich diese Esstradition erhalten. Warum das in Bayern bzw. Deutschland anders gelaufen ist, kann sich Eder nur mit dem schlechten Image erklären: „Polenta galt als Arme-Leute-Essen.“ Und das war es bei seiner Einführung im 16. Jahrhundert auch. „1492 entdeckte Kolumbus Amerika, er brachte die ersten Körner mit und bereits 1530 wurde Mais in Italien auf Feldern angebaut. Wieder hundert Jahre später war er in den Gärten in Deutschland und Österreich etabliert. Das ist für die Einführung einer Pflanze wirklich rasant“, erklärt Eder. Der Grund: Die damaligen Feudalherren waren für Neues sehr offen und fanden im Mais einen effektiven Sattmacher, den die Leibeigenen in ihren Gärten selbst anbauen und ihre Familien damit billig ernähren konnten.

Versteckter Hunger, Krankheit, Vitaminmangel

Doch dort, wo sich Europäer armer Bevölkerungskreise einseitig von Mais ernährten, kam es auch zur gefürchteten Krankheit Pellagra mit Hautschäden, Durchfällen und Gehirnleistungsstörungen; die Sterblichkeitsrate war hoch. Erst vor rund hundert Jahren fand man heraus, dass die Ursache von Pellagra ein Mangel an Vitamin B3 ist; dessen Vorstufe enthalten die Maiskörner zwar, sie muss aber erst aufgeschlossen werden, z. B. durch Kalkwasser vor dem (nassen) Vermahlen der Körner im Haushalt. Die Armen in Europa wurden mit einseitiger Maiskost zwar satt, aber es baute sich ein sogenannter „hidden hunger“ auf, also ein versteckter Hunger bzw. Mangel an dem wichtigen Vitamin. In der Heimat des Mais in Mittel- und Südamerika wurde das von alters her vermieden, indem die Maiskörner vor dem Mahlen in Kalkwasser gekocht und so das Vitamin im Organismus verfügbar gemacht wurde. Deshalb ist Pellagra dort trotz der einseitigen Ernährung nicht verbreitet. (Siehe unten, Erzählungen von Maria Hernandez-Mildner)

Mais ist glutenfrei

In einer Schüssel ist Polenta angerichtet mit Käse und Kräuter. Darin steckt ein Löffel.

In deutsche Küchen kommen heute Grieß und Mehl aus Mais wieder zögerlich zurück, vor allem wegen zunehmender Glutenunverträglichkeit; Mais enthält kein Klebereiweiß. Klassische Maisgrießgerichte wie Polentabrei, Polentaschnitten, Polentaauflauf sind hierzulande nach wie vor eher eine kulinarische Randerscheinung. Eder: „Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass hauptsächlich Mahlerzeugnisse von Hybridsorten in den Handel kommen, und die haben relativ wenig Geschmack.“

Die Besonderheiten von Zuckermais und Popcorn

Das gelte auch für Zuckermais, der vorgegart und eingedost oder eingeschweißt in Supermärkten angeboten wird. Süß schmeckt Zuckermais übrigens deshalb, weil der in den Körnern enthaltene Zucker wegen eines Gendefekts aufgrund einer natürlichen Mutation nicht in Stärke umgewandelt wird. Die Kolben müssen allerdings in der Milchreife geerntet werden, damit sie angenehm süß schmecken. Popcorn-Mais bildet kleine, sehr harte Maiskörner aus; bei Hitzezufuhr dehnt sich das Innere der Körner aus, der sich aufbauende Druck entlädt sich im schlagartigen Platzen der Körner. Dabei plustern sich die Körner auf ein Mehrfaches ihrer ursprünglichen Größe auf.

Der Aufwand für den Speisemais Anbau ist enorm

In einem Bett sprießen die Maispflanzen, zwischen Salatköpfen.

„Speisemais kommt in Deutschland überwiegend aus dem Ausland“, erklärt Eder, „nächstes Jahr starten wir an der Landesanstalt deshalb ein Projekt für Speisemaisanbau, bei dem wir beispielsweise gezielt auf Qualitätsanforderungen für die menschliche Ernährung schauen.“ Damit will die Landesanstalt dazu beitragen, dass die heimische Produktion von Körnermais mit alten Landsorten aber auch neuen Sorten für Mahlerzeugnisse interessanter wird. Ohne viel Idealismus ist es das nämlich derzeit bei den alten Sorten nicht: Die Erträge liegen in ganz anderen Größenordnungen als die der Hybridsorten, außerdem muss getrennt angebaut, gedroschen und getrocknet werden; der Aufwand ist also enorm. Die nächste Hürde ist, dass es nur noch vereinzelt kleine Mühlen gibt, die Mais zum Mahlen annehmen. Und dann muss es noch Verbraucher geben, die bereit sind, dieses (notwendigerweise) hochpreisige Produkt zu kaufen.

Saatgut für alte Sorten von der Landesanstalt bestellen

Generell ist es Dr. Barbara Eder ein Anliegen, Mais als hochwertiges Lebensmittel hierzulande wieder mehr ins Bewusstsein zu bringen, die Sortenvielfalt von Mais zu bewahren und zum Anbau von alten Speisemaissorten im kleinen Stil im Garten zu motivieren. Aus diesem Grund gibt es von der LfL für interessierte Wochenblatt-Leserinnen und Leser Samenportionen von alten Sorten mit jeweils ca. 45 Körnern kostenlos zu bestellen. Es handelt sich um Zuckermais der Landsorte ‘Zuckerfee’, Popcorn-Mais der Landsorte ‘1443’ sowie eine Grießsorte mit dem Namen ‘Gruber’, die gelbe und rote Kolben macht.

So geht‘s: Mail (mit Angabe der Postadresse) an AlteSorten@LfL.bayern.de, Stichwort Speisemais, schicken; Versand nur, so lange der Vorrat reicht. Praxistipps von der Bayerischen Gartenakademie zum Anbau von Mais im Garten finden Sie hier.

Eine Mexikanerin erzählt über Maisgerichte in und aus Mexiko

Ein Portrait von Maria Mildner. Sie trägt einen orangenen Pullover, einen Schal in blautönen und orangenen Mustern. Sie lächelt, trägt eine Brille und fast schulterlange, grau/schwarze Haare.

Maria Hernandez-Mildner lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Wir haben sie gefragt, welchen Stellenwert Mais in Mexiko hat:

„Mais ist in Mexiko nach wie vor eines der wichtigsten Lebensmittel; es werden mehr als 60 Maissorten angebaut, entsprechend vielfältig sind auch die Spezialitäten, die daraus zubereitet werden.

Gerade im Norden von Mexiko, woher ich komme, gehören Maisfladen, sogenannte Tortillas, zu den Grundnahrungsmitteln der Mittel- und Unterschicht. Früher wurden diese Fladenbrote selbst gemacht. Ich weiß noch gut, wie das meine Großmutter gemacht hat; die Maiskörner wurden in Wasser mit Zugabe von etwas Kalk gekocht, das Wasser abgegossen, die Körner nass in einer eigenen Mühle gemahlen und dann aus dem Mehl, etwas Salz und wenig Wasser ein fester Teig gemacht, der dann mittels einer Tortillera zu Fladen gepresst und in der traditionellen Eisenpfanne „Comal“ gebacken wird.

In den 1970er Jahren eröffneten dann immer mehr Tortillerias, in denen man die Fladen kauft – so wie man hier in Deutschland Brötchen beim Bäcker holt. Die Tortillas sind für Mexikaner ein gewisser Brotersatz. Wir essen sie z. B. zu Eintöpfen oder Aufstrichen, aber wir verwenden sie auch für vielerlei Gerichte: Für Tacos werden die Fladen mit Gemüse oder Hackfleisch gefüllt, dann einfach zusammengeklappt und als Fingerfood gegessen. Für Flautas werden Tortillas gefüllt, aufgerollt und frittiert. Quesadillas füllt man mit Käse, Enchiladas werden samt Soße überbacken. Für Suppe werden Tortillas in Streifen geschnitten und mit Brühe aufgegossen.

Auch gedünstete Maiskolben oder Auflauf aus Maismehl gehören zu den Standardgerichten. Ziemlich aufwendig sind Tamales, die daher nur an besonderen Festtagen zubereitet werden. Das sind gefüllte, gedämpfte Täschchen, umhüllt von Lieschblättern.

Heute kann man ja auch in Deutschland gut mexikanisch essen und kochen, weil es die Zutaten zu kaufen gibt, aber vor 30 Jahren habe ich Koffer voller Zutaten aus Mexiko mitgebracht von den Maisblättern bis zum Maismehl. Mexikanisch zu essen gehörte und gehört für mich zu den kulinarischen Höhepunkten, so schmeckt die Heimat.“

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Drei leckere Rezepte mit Mais finden Sie hier.

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